Ein erlesener Mord. Фиона Грейс
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„Ich bin gerade gegangen. Ist es dringend? Ich kann meine Mails gerne sofort checken.“
Oliva merkte, wie sie sich automatisch aufrechter hinsetzte, und hörte ihren schwungvollen, professionellen Ton, den sie instinktiv auflegte, wenn sie mit ihrem Boss sprach.
„Nicht dringend, aber wichtig. Wir müssen uns sofort morgen früh treffen. Ich habe ein wirklich gutes Feedback von der Valley Wines-Kampagne erhalten.“
Olivia merkte, wie ihr das Herz in die Hose rutschte, als der Uber die Boutique passierte. Sie fuhren nun auf West Loop zu, eine Gegend, die für ihre Aneinanderreihung von Alt und Neu bekannt war – niedrige Backsteinhäuser und glasüberzogene Wolkenkratzer, schicke Restaurants, die die Straßen säumten und eine spürbare Abwesenheit von Unterwäschegeschäften.
Sie würde in genau zwei Minuten in ihrer Strumpfhose mit einem Loch der Größe der International Space Station an der Villa 49 ankommen, und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte.
„Ich bin froh, dass die Kampagne so gut läuft“, sagte sie.
„Ich schicke dir später eine E-Mail mit allen Details über deinen Bonus. Du hast dir ordentlich was daran verdient.“
Das Taxi schwenkte, um einen Bus zu überholen, und Olivias Handtasche kippe zur Seite. Der Inhalt ergoss sich über den Sitz.
„Weißt du, wer Des Whiteley ist?“, fuhr James fort.
„Ich glaube ich habe ihn im cc in einigen E-Mails gesehen“, sagte Olivia und versuchte dabei verzweifelt, ihren Parfüm-Atomizer zu schnappen, während das Taxi einen weiteren Schlenker fuhr.
„Er ist der CEO. Der Chief Executive Officer.“
„Von Valley Wines?“, fragte sie.
„Nein, nein. Von deren Holdinggesellschaft Kansas Foods. Er hat mich gebeten, dir seine persönlichen Glückwünsche zu übermitteln. Die Verkäufe gehen durch die Decke.“
„Das ist super.” Olivia streckte sich, um ihre Geldbörse, ihren Lippenstift und eine Packung Abschminktücher zu erwischen.
Ihr Lidschatten, eine kleine Schatulle, die sie ebenfalls immer dabeihatte, lag unter den Tüchern.
Die Farbe nannte sich „Schimmernde Kohle“.
Olivia hatte eine Idee.
Sie öffnete das Kästchen und rieb ihren Finger über den Lidschatten. Dann strich sie damit über die freiliegende Haut ihres Beins.
Erfolg. Schimmernde Kohle färbte ihr Bein in der gleichen Farbe wie ihre Strumpfhose. Sie tarnte damit den Schaden, bis er fast nicht mehr erkennbar war.
„Ich habe ihm gesagt, dass deine Herangehensweise an die Kampagne die Werte des Unternehmens versinnbildlicht hat“, fuhr James fort. „Methodisch und organisiert.”
“Organisiert”, wiederholte Olivia und schmierte sich noch mehr Lidschatten auf den Finger.
„Kreativistisch diszipliniert und ergebnisorientiert.”
“Ergebnisorientiert”, echote Olivia zustimmend, und rieb sich mehr von dem Pulver auf die klaffende Stelle.
„Planung für jede Eventualität“, sagte James.
„Absolut. Planung.“
Sie sollte besser einen größeren Bereich ausmalen, entschied Olivia, da die Strumpfhose beim Gehen verrutschen, oder der Riss sich noch weiter ausbreiten könnte. Vorsichtig fuhr sie mit ihrem Finger unter das Nylon.
„Wir reden morgen weiter. Ich bin um sieben im Büro, also lass uns dann anfangen. Wir brauchen mindestens zwei Stunden dafür. Wir haben erst ein kurzes Briefing unter vier Augen, dann ein Gruppenmeeting mit der Chefetage.“
Worum könnte es wohl gehen?, fragte sich Olivia.
„Wir sehen uns”, sagte sie, und er legte auf.
Olivia schloss das Kästchen und steckte es zurück in ihre Tasche.
Der Erfolg der Kampagne hatte alle erstaunt, sogar sie selbst. Als einzige Frau in dem Team aus leitenden Angestellten, war sie es trotz ihrer jahrelangen, harten Arbeit gewohnt, nur zu applaudieren, während andere das Lob einsteckten. Sie hätte nie gedacht, dass sie irgendwann selbst auf einer Art Erfolgsschiene fahren würde. Denn die Arbeit an dieser Kampagne hatte sich in gewisser Weise wie die Verschleierung ihres Strumpfhosenschadens angefühlt.
Sie fühlte sich, als hätte sie einfach nur Glück gehabt, während sie sich geradeso durchgewurschtelt hatte, und hatte das Lob weder verdient noch gewollt.
„Hatten Sie etwas gesagt?”, unterbrach der Uber-Fahrer ihren Gedankenzug und sah zu ihr nach hinten. „Sie wollten etwas fragen, aber dann hat ihr Telefon geklingelt.“
„Oh. Nein, schon gut. Ich dachte, ich müsste woanders aussteigen, aber wies aussieht, musste ich das gar nicht.“
Er nickte. „Sie haben von Valley Wines gesprochen. Arbeiten sie für die?“
„Nicht direkt”, sagte Olivia. „Ich arbeite für eine Agentur, die ihre Accounts händelt.“
„Taugen die was? Meine Frau steht auf eine der kalifornischen Marken. Ich kann mir den Namen nie merken, aber er hat ein hübsches Etikett. Wir konnten ihn letztens nicht finden, darum hab ich ihr gesagt, sie soll einen anderen probieren.“
Olivia überkam ein Schuldgefühl. Regalplätze waren begrenzt, und der Erfolg von Valley Wines bedeutete, dass andere Marken darunter leiden würden.
Kurz überlegte sie, eine Standardantwort zu geben. Dass die Weine großartig wären, und seine Frau sie unbedingt probieren sollte. Aber sie entschied sich dagegen. Immerhin kannten sie und der Taxifahrer sich überhaupt nicht, und es war leichter, Fremden gegenüber ehrlich zu sein.
„Wenn Sie meine persönliche Meinung wissen wollen“, begann sie. „Versuchen Sies gar nicht erst mit Valley Wines. Die Weine sind schrecklich, billig gemacht und ihr Geld nicht wert.“
Sie hatten ihr Ziel erreicht. Das Taxi hielt vor der Villa 49.
„Danke für den Rat“, sagte der Fahrer. „Wir schauen uns nach einem anderen Wein um.“
„Gern geschehen. Danke für die Fahrt.“ Olivia stieg aus.
Mit ihrem Kleidungsdebakel unter Kontrolle, war es jetzt an der Zeit, darüber nachzudenken, was sie Matt sagen wollte.
„Das ist für dich jetzt bestimmt ein Schock, aber ich bin wirklich unglücklich.“
Das sollte ihre Einstiegszeile sein.
Während sie darüber grübelte, was sie als nächstes sagen sollte, betrat Olivia das Restaurant.
KAPITEL ZWEI
Für einen Moment stand Olivia in der Villa 49, ließ das gedimmte Licht auf sich wirken, lauschte dem Gemurmel aus Stimmen und atmete die Aromen ein, die vom nächstgelegenen Tisch zu ihr herüberdrangen.
Ein Duft aus geröstetem Knoblauch, Thymian