Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan Zweig
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Langsam geht es vorwärts in den ersten drei Jahrzehnten und gefährlich langsam. Immer mehr fremde Schiffe besuchen – nach der Auffassung Portugals: widerrechtlich – die neuen Häfen, um Holz zu holen. 1530 entschließt sich der König endlich, um Ordnung zu schaffen, eine kleine Flotte hinüberzusenden unter Martim Alfonso de Sousa, der sofort drei französische Schiffe in flagranti ertappt und als ersten Eindruck dem Könige meldet, was bisher jeder gemeldet: Brasilien muß besiedelt werden, sonst geht es der Krone verloren. Wie immer aber seit Beginn der heroischen Zeit sind die Kassen leer; die Besatzungen in Indien, die Festungen in Afrika, die Aufrechterhaltung des militärischen Prestiges, kurzum, der portugiesische Imperialismus zieht alles Kapital und alle Tatkraft an sich. So muß ein neues Experiment versucht werden, de povoar a terra, oder vielmehr eines, das sich auf den Azoren und Kap Verde bereits bewährt hat: die Förderung der Kolonisierung durch Privatinitiative. Das soviel wie unbewohnte Land wird in zwölf capitanias aufgeteilt und jede einem Manne mit vollem Erbrecht zugeteilt, der sich verpflichten muß – was schon in seinem eigenen Interesse liegt – diesen Strich Land oder vielmehr dieses Reich kolonisatorisch zu entwickeln. Denn was diese Capitane zugeteilt bekommen, sind wirkliche Reiche, jedes so groß wie Frankreich oder Spanien. Ein Adeliger, der in Portugal nichts besitzt, ein Offizier, der sich in den Kämpfen in Indien bewährt hat und Belohnung verlangt, ein Geschichtsschreiber wie João de Barros, dem der König Dank schuldig ist, sie alle erhalten jeder mit einem Federstrich ein Zwölftteil Brasilien, also eine phantastische Region, in der Erwartung, daß sie nun ihrerseits Menschen hinüberziehen würden und damit das verliehene Land wirtschaftlich kultivieren und indirekt dem Heimatland erhalten.
Dieser erste Versuch, in die ganz zufällige und zersplitterte Art der Besiedlung eine gewisse Methode zu bringen, ist großzügig gedacht. Die Vorteile für die donatários sind unermeßlich; außer dem Münzrecht sind ihnen bei geringen Pflichten alle Rechte eines souveränen Fürsten eingeräumt; wüßten sie wirklich ein Volk nach sich zu ziehen, so müßten ihre Kinder und Enkel gleichwertig sein allen Monarchen Europas. Aber die Beschenkten sind zumeist ältere Leute, die das Beste ihrer Energie längst in königlichem Dienst verbraucht haben; sie nehmen zwar das verliehene Land als Erbschaft für Kinder und Kindeskinder an, ohne es aber mit tatkräftiger Arbeit für sich selbst wertvoll zu gestalten. In den nächsten Jahrzehnten erweist es sich, daß nur zwei der Capitanias, die von São Vincente und Pernambuco – Nova Lusitânia genannt – dank der rationellen Zuckeranpflanzung prosperieren. Die anderen geraten durch Gleichgültigkeit ihrer Besitzer, durch Mangel an Kolonisten, durch die Feindseligkeit der Eingeborenen und verschiedene Katastrophen zu Wasser und zu Land bald in einen anarchischen Zustand. Die ganze Küste droht in Stücke zu zerfallen; abgesondert voneinander, ohne Übereinkommen, ohne gemeinschaftliches Gesetz, ohne Kriegsmacht, ohne Befestigungen und Soldaten liegen die Capitanias jeder feindlichen Macht, ja sogar jedem einzelnen verwegenen Korsaren täglich zur Beute bereit. Und verzweifelt schreibt am 12. Mai 1548 Luís de Góis an den König: »Wenn Eure Majestät nicht in kürzester Zeit den Capitanias an der Küste zur Hilfe kommen, werden nicht nur wir unser Leben und unsere Besitzungen verlieren, sondern auch Eure Majestät das ganze Land.« Wenn Portugal nicht Brasilien einheitlich organisiert, ist Brasilien verloren. Nur ein entschlossener Vertreter des Königs, ein governador geral, der auch militärische Macht mit sich bringt, kann Ordnung schaffen und rechtzeitig die abbröckelnden Stücke in eine Einheit zusammenschweißen.
Es bedeutet eine große Entscheidung in der Geschichte Brasiliens, daß der König João III. den Hilferuf rechtzeitig erhört und als Gouverneur Tomé de Sousa, einen schon in Afrika und Indien bewährten Mann, am 1. Februar 1549 mit dem Auftrag entsendet, an irgendeiner Stelle, am besten in Bahia, eine Hauptstadt zu begründen, von der aus das ganze Land endlich einheitlich verwaltet werden soll.
Tomé de Sousa bringt außer der erforderlichen Beamtenschaft sechshundert Soldaten und vierhundert Degredados mit, die alle späterhin in der Stadt oder auf dem Lande sich ansiedeln werden. Auch das Nötigste an Material für den Aufbau der Stadt wird ausgeschifft, und sofort macht sich alles gemeinsam ans Werk; in vier Monaten wird eine Festungsmauer errichtet, um den Platz zu verteidigen, Häuser und Kirchen werden errichtet, wo vordem nur klägliche Lehmhütten gestanden. Eine koloniale und eine städtische Verwaltung wird in dem vorläufig noch höchst provisorischen Palácio do Governo eingerichtet und als sichtbarstes Zeichen einer endlich eingeführten und schon höchst notwendigen Justiz ein cárcere erbaut, erster mahnender Hinweis auf den Willen zu strenger künftiger Ordnung. Alle sollen fühlen, daß sie nicht mehr Ausgesetzte, Vergessene, Exilierte und Heimatlose sind jenseits von Recht und Pflicht, sondern angeschlossen an das heimische Gesetz. Mit der Gründung einer Hauptstadt und der Einsetzung eines Gouverneurs hat der bisher bloß amorphe Organismus Brasilien ein Herz und ein Hirn gewonnen.
Sechshundert Soldaten oder Matrosen und vierhundert Degredados nimmt Tomé de Sousa mit sich, tausend Männer im Harnisch oder rauhen Arbeitshemd; aber wichtiger als diese tausend Männer des Arms und der Kraft werden für das Schicksal Brasiliens die sechs Männer in schlichten dunklen Kutten sein, die der König zu geistiger Führung und geistlicher Beratung Tomé de Sousa mitgegeben. Denn diese sechs Männer bringen das Kostbarste, was ein Volk und ein Land zu seiner Existenz benötigt: eine Idee und zwar die eigentlich schöpferische Idee Brasiliens. Diese sechs Jesuiten haben eine neue und noch ganz unverbrauchte Energie, denn ihr Orden ist jung und voll heiligen Eifers, seinen besonderen Sinn zu bewähren. Noch lebt der Führer Ignacio de Loyola, der ihn begründet, noch gibt sein asketischer Wille, seine eherne Denkkraft, sein zielklarer Fanatismus ihnen sinnliches, sichtliches Beispiel der Selbstdisziplin; wie bei allen religiösen Bewegungen ist bei den Jesuiten die seelische Intensität, die sittliche Reinheit in den Jahren des Anfangs und vor dem eigentlichen Erfolg auf der höchsten Stufe. 1550 sind die Jesuiten noch keine geistliche, weltliche, politische, ökonomische Macht wie in den späteren Jahrhunderten – denn jede Form von Macht vermindert die moralische Reinheit eines Menschen wie einer Partei. Besitzlos in jedem Sinne der einzelne wie der Orden, verkörpern sie nur einen bestimmten Willen, also ein durchaus noch geistiges, noch nicht ins Irdische ganz eingemengtes Element. Und sie kommen zur besten Stunde, denn für ihre großartige Konzeption, durch geistige Kriegerschaft die religiöse Einheit der Welt wiederherzustellen, bedeutet die Entdeckung der neuen Erdteile einen unerhörten Gewinn. Seit 1519 der wilde Deutsche auf dem Reichstag von Worms den religiösen Weltkrieg entfachte, ist Europa schon zu einem Drittel und beinahe zur Hälfte von der Kirche abgefallen und der Katholizismus, einstmals die ecclesia universalis, eher in die Verteidigungsstellung gedrängt. Welcher Vorteil darum, wenn man die neuen Welten, die sich plötzlich aufgetan haben, rechtzeitig für den alten, den wahren Glauben erobern und damit gleichsam eine zweite und breitere Front hinter der ersten schaffen könnte! Da die Jesuiten nichts fordern, keine Besoldung, keine Bevorzugung, billigt der König João ihre Absicht, dies neue Land für den Glauben zu gewinnen und gestattet sechs dieser »Soldaten Christi«, die Expedition zu begleiten. Aber in Wirklichkeit werden diese