Der Kanujäger. Larry Lash
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Die sogenannten „Segnungen“ der Zivilisation hatten diese Stämme noch nicht erreicht. Sie waren noch nicht von Krankheiten der übelsten Art überschüttet worden, mit Seuchen und billigem Fusel, mit schlechten Feuerwaffen und Messern. In Tom Darnell war das Wissen um viele Dinge, die er schauen und erleben durfte, die sich in ihm eingeprägt hatten, die er bis zum letzten Atemzug in sich tragen würde. Längst schon hatte er herausgefunden, dass er kaum jemanden finden würde, dem er von dem Erlebten hätte Mitteilung machen können. Die Menschen würden ihn für einen Phantasten und Narren halten, wenn er ihnen von den weißen, brodelnden und schäumenden Wassern in Minnesota erzählen würde. Sie würden ihn für einen Lügner halten, wenn er ihnen von der Wucht erzählen würde, mit der das Wasser die Niagara-Fälle hinunterdonnerte. Was wussten die Menschen schon von den unheimlichen Geisterstädten der Indianer, in denen die Häuptlinge hoch zu Ross bestattet und in Felsenkammern eingemauert wurden?
Die Hinterwäldler kannten nur um Whisky bettelnde Indianer und wussten, dass diese Grenzindianer zu Hunderten in elender Verfassung in der Nähe der Weißen-Siedlungen wohnten und vollends verkamen. Was wussten sie schon von den indianischen Völkern, die tief im Lande in voller Freiheit nach ihren alten Gesetzen lebten, deren Stolz ungebrochen war. Sie hatten einen freiheitlichen Lebensstil, der jedem Weißen Bewunderung abverlangen musste. Diese roten Menschen kannten die Lüge nicht. Sie waren gastfreundlich, edel und gut, obwohl das Kriegsführen ihnen im Blute lag. Sie bekämpften sich hart untereinander, doch nahmen sie tapfere gefangene Gegner unbedenklich in den eigenen Stamm auf. Im Kampf schonten sie Greise, Kinder und
Frauen. Heldenmut und Tapferkeit wurden auch bei den Gegnern geachtet. Der Krieger, der in der Verteidigung tötete, wurde mehr geachtet als jener, der einem Gegner beim Angriff den Skalp nahm. Mochten sich zwei Stämme noch so feindlich gegenüberstehen, so hörte doch aller Kampf auf, wenn ein Unbewaffneter zu den Heiligen Steinbrüchen unterwegs war, um sich den roten Ton für sein Kalumet zu holen.
Tom Darnell hatte mit den roten Kriegern zusammen in einem Zelt gelebt. Er hatte mit den Angehörigen der verschiedensten Stämme gejagt und gelitten und an Kriegszügen teilgenommen und hatte schließlich so gedacht wie sie. Er hatte die Kost der Roten kennengelernt und die Leckerbissen, die fast bei jedem Stamm verschieden waren. Ein auf assiniboinisch zubereiteter Büffelhöcker hatte durch das Dämpfen und Einreiben mit besonderen Gewürzkräutern einen anderen Geschmack als ein Büffelhöcker, der von einer Sioux-Squaw über dem offenen Feuer gebraten worden war. Ein Wildputer, von den Irokesen zubereitet, unterschied sich im Geschmack kaum von dem Hundefleisch, das die Winnibogas äußerst delikat zubereiten konnten. Bärenschinken, Elchfleisch und Bärentatzen, die einige Tage in lehmigem Boden eingegraben wurden, waren nicht schlecht im Geschmack. All das hatte er gekostet und Geschmack daran gefunden.
Nach Jahren würde er bald wieder Maisbrot zu essen bekommen und dazu aus Ziegenmilch bereitete Butter und den Weißfisch, den sein Bruder aus dem See fischte. Auch das waren Leckerbissen, von denen er oft geträumt hatte, wenn sein Proviant zur Neige ging und das Hungergespenst sich zeigte.
Ja, oft genug hatte er hungern müssen. Sein hager geschnittenes, braungebranntes Gesicht verriet deutlich, dass er wie ein Indianer zu leben gewohnt war. Oft hatte es sehr viel zu essen gegeben und dann wieder so wenig, dass ein weißer Mann vor Entkräftung bald umgefallen wäre. Die Eigenart der Indianer, sehr viel zu essen und dann lange zu hungern, war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. In den letzten Jahren war er abgehärtet, zäh und genügsam geworden. Unbewusst hatte er den Maßstab für die Zivilisationswerte verloren. Das machte ihm aber im Augenblick wenig Sorge. In wenigen Tagen, so hoffte er, würde er sich wieder an das Leben der Weißen
gewöhnt haben. Die ruhelose Zeit war dann ein für allemal vorbei. Nach Jahren würde er endlich wieder ein Dach über dem Kopf haben, nach Jahren wieder eine Schlafstatt unter sich spüren, auf der er sich bequem ausstrecken konnte. Er freute sich darauf, dass es bald so sein würde.
Nur noch zwei Meilen Fahrt bachaufwärts durch die Schilfwand hindurch, dann würde er wieder daheim sein. Daheim … was war das für ein Zauberwort! Er sprach das Wort laut vor sich hin in die Nacht hinein.
Jetzt hatte er den Biberdamm hinter sich gelassen und glitt auf die Mündung des Baches zu. Vergeblich hatte er nach einem Schilfdurchbruch Ausschau gehalten. Unangenehm überrascht hielt er vor der Schilfwand an. Er fragte sich, warum sein Bruder in diesem Jahr keinen Einbruch in die Schilfwand gemacht haben mochte.
Nun, in zehn Jahren konnten sich die Angewohnheiten der Menschen ändern. Vielleicht hatte Ralph das Fischen völlig aufgegeben. Vielleicht hatte eine Fischseuche den Bestand im See so dezimiert, dass es sich nicht mehr lohnte, auf Fischfang zu gehen. Gegen diese Ansicht sprach aber die Tatsache, dass die Fischottern noch immer im See waren. Tom Darnell sah gerade zwei Fischotterköpfe auftauchen und dann schnell wieder verschwinden. Er überlegte weiter, dass sich vielleicht der Geschmack der Geschwister geändert haben mochte, und dass man es jetzt vorzog Wildbret zu essen. Es war noch kein Grund zur Sorge. Im Moment hieß es, sich einen Weg durch die Schilfwand zu bahnen. Das hielt zwar auf, war aber notwendig. Das Mündungsgebiet des Baches war so versumpft, dass ein Weitermarsch über Land bald im Sumpf geendet haben würde.
Mückenschwärme schienen jetzt die Ankunft des Mannes bemerkt zu haben und schwirrten heran. Die Insekten konnten einem Menschen schon schwer zu schaffen machen, und wenn man nicht aufpasste, war man hinterher so zerstochen, dass einen die nächsten Verwandten nicht erkannten.
Tom Darnell arbeitete mit der stoischen Ruhe der Indianer, ohne sich stören zu lassen. Langsam schob sich sein Kanu in die Schilfwand hinein, stetig kam er vorwärts. Die Schilfhalme ragten zu allen Seiten des Kanus in den Himmel hinein. Umschwärmt von Mücken arbeitete Tom sich vorwärts, so wie er es schon als Junge getan hatte, wenn eine Fahrrinne zum See geschaffen werden musste. Im Frühjahr war es jedoch bedeutend leichter gewesen, die trockene Schilfwand zu durchstoßen. Wenn man täglich zum Fischfang fuhr, war es auch nicht schwer gewesen, die Schilfwand offen zu halten. Jetzt allerdings war es sehr mühselig, zeitraubend und anstrengend. Oft blieb das Kanu stecken. Wenn Tom sich einige Minuten ausruhte, gluckerte das Wasser an der Bootswand. Der Wind trug Moorgeruch heran. Das Wasser war schwarz und unheimlich anzusehen.
Es dauerte nahezu zwei Stunden, bis der Schilfbewuchs lichter wurde und das Boot zügiger voran getrieben werden konnte. Das Ufer war jetzt mit seinen Weidenbeständen nahe herangerückt. Tom erkannte, dass er sich nicht in der Richtung geirrt hatte und den geraden Weg durch die Schilfwand eingeschlagen hatte. Von jetzt an kam er schneller vorwärts. Der Schilfbestand hörte auf, und das Moorufer ging in festen Uferboden über. Deutlich waren Tannenbestände zu erkennen, die ihre Spitzen gen Himmel reckten. Das Kanu glitt zügig durch das träge Wasser des Baches. Bald musste das Darnell‘sche Anwesen sichtbar werden.
Es lag vom See aus gerechnet hinter der dritten Bachkrümmung. Zehn Meilen bachaufwärts lag das kleine Dorf Mobile, das einst von französischen Waldläufern gegründet worden war. Sie hatten hier eine Handelsstation errichtet und waren von hier aus zum Fallenstellen aufgebrochen. Das war aber alles längst vorbei, und nur der Himmel mochte wissen, wie viele französische Familien noch im Dorf waren. Was mochte sich inzwischen alles am Otterbach geändert haben?
Etwas