Der Kanujäger. Larry Lash

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Der Kanujäger - Larry Lash

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schien der Frau und den Kindern den Mund verschlossen zu haben. Jetzt konnte Tom begreifen, warum die Kinder so schnell gegessen und immer wieder zu seinem Teller geblickt hatten, so als wäre es ein Unrecht von ihm, von ihren Portionen zu essen. Kinderaugen verrieten das Elend. Es war gleichgültig, ob es sich nun um Kinder von weißer oder roter Hautfarbe handelte. Vor fünf Jahren war er in der Nähe von Fort Churchill auf der Suche nach Kupfer im Lande der froststarrenden Wälder einer halbverhungerten Schar von Indianern begegnet, die ihm die Schlittenhunde mitsamt dem Geschirr geraubt hatten. Die Rothäute hatten sie abgeschlachtet und in die Kochtöpfe geworfen. Alle waren über das halbgare Fleisch hergefallen wie eine Schar aus der Hölle entsprungener Teufel. Zum Glück bekam er Hilfe von einigen Pelzjägern, die den Indianern von ihren Vorräten zu essen gaben. Einige geringe Mahlzeiten hatten dem ganzen Stamm wieder helfen und auf die Beine bringen können.

      Weiße Menschen waren allerdings viel empfindlicher und anfälliger als Indianer. Der Hunger, wenn er sie voll traf, brachte sie viel zu schnell um. War es nicht, als ob die Schatten des Todes sich bereits grausam in den Augen dieser Menschen eingenistet hatten?

      „Bevor ich noch Auskunft über meine Geschwister haben will, folgen Sie mir zu meinem Kanu, Hicks. Ich habe noch ein halbes Reh, zwei Bärenschinken und Markfettblasen. Die Dinge sind hier wohl am rechten Ort. Kommen Sie!“

      Joe Hicks hob den Kopf. Er bewegte die Lippen, doch kein Laut kam hervor. Seine Frau saß still und aufrecht. Über ihre ausgezehrten Wangen liefen Tränen. Nein, sie schluchzte und jammerte nicht, sie fand wie ihr Mann kein Wort des Dankes. Die beiden Jungen stimmten plötzlich ein Jubelgeschrei an.

      Tom Darnell war bereits nach draußen getreten. Joe Hicks kam hinter ihm her und holte ihn bald ein. Seine Hand legte sich schwer auf Toms Schultern.

      „Wir haben das nicht verdient, Tom Darnell. Nur, weil wir in dem Hause wohnen, in dem Ihre Eltern und Geschwister gewohnt haben, sollen wir so bevorzugt werden. Es gibt viele Leute, denen es schlechter geht als uns. Sie ahnen kaum, was in diesem Land für ein Leid und Elend herrscht. Vielleicht bereuen Sie schon morgen Ihre impulsive Handlung. Jeder ist sich doch wohl in einem solchen Falle selbst der Nächste, oder?“

      Tom war stehengeblieben und betrachtete den Wolfshund, der wieder aus seiner Hütte gekommen war und mit gesträubtem Fell vor ihm stand.

      „Morgen lasse ich Rex frei“, sagte Hicks. „Rex hat es gut, er hat sich sein Futter selbst holen können. Seit Wochen lebt er von Mäusen und anderem Kleintier. Er hat gelernt, genügsam zu sein, doch es reicht nicht aus, um richtig satt zu machen. Morgen jage ich ihn in die Wälder. Ich weiß, dass ich ihn erschießen müsste, doch ich bringe es nicht fertig. Meiner Frau und meinen Jungen würde es das Herz brechen.“

      Hicks beugte sich zu dem Tier herunter. Seine Hand streichelte über das Fell des Tieres. Das Tier knurrte leise und ließ Tom nicht aus den Augen.

      Tom gab keine Antwort. Was sollte er auch sagen? Zuviel war auf einmal auf ihn eingestürzt. Er musste es erst verarbeiten, dass seine Rückkehr in die Zivilisation unter einem so unglücklichen Stern stand. Zu lange war er fort gewesen, zu lange hatte er auf sich allein gestellt die Freiheit in vollen Zügen gekostet. Er konnte diese Menschen noch nicht verstehen, die gegen die Steuergesetze einen sinnlosen Kampf führten.

      Wo er herkam, gab es keine Steuergesetze und keine Beamten, die Steuern eintreiben wollten. Wo er herkam, galt die Freiheit – und der Mann, der sie sich zu bewahren wusste.

      Tom hatte ohne Zweifel einen Schock bekommen, doch zeigte er nicht, was in ihm vorging. Er ging jetzt weiter, und Hicks schloss sich ihm an. Die beiden Männer erreichten im Schweigen versunken die Uferböschung. Wie auf ein Kommando machten sie beide plötzlich halt. Beide hatten sie das Geräusch vernommen, das hinter dem Weidendickicht am Otterbach aufklang. Es hörte sich an wie ein Paddelschlag.

      Jetzt war es wieder zu hören. Ungeschickte Hände schienen zu versuchen, die Paddel so leise wie möglich ins Wasser zu tauchen. Gerade darum schien das Blatt zu flach ins Wasser gesteckt zu werden. Das leise Klatschen war ein Alarmsignal für die beiden Männer. Nur einen einzigen Blick tauschten sie aus. Einen Augenblick lang erkannte Tom eine seltsame Ernüchterung im Gesicht seines Begleiters, in dem der Schrecken alles Leben fortgewischt zu haben schien. Was mochte im Inneren dieses Mannes in diesem Augenblick vorgehen, der für seine Angehörigen kaum etwas zu essen beschaffen konnte und bei dem verräterischen Geräusch glauben musste, dass die Hoffnung auf einige stärkende Mahlzeiten aus und vorbei sei? Nur der Himmel mochte es wissen oder nur ein Mensch, der selbst rasenden Hunger litt und Bitteres mit durchmachte. Nur ein Wort sagte Tom leise und hart wie ein Mann, der zu befehlen gewohnt war.

      „Los!“

      Seine Rechte hob sich und zeigte seinem Begleiter deutlich den Weg an, den dieser einschlagen sollte. Hicks begriff sofort und setzte sich in Bewegung.

      Tom wandte sich bachaufwärts und rannte los. Seine Absicht war es, den Kanudieben, wer immer es auch sein mochte, den Weg abzuschneiden. Hicks würde den Schuften den Weg zum See blockieren. Die Tatsache, dass Hicks nicht bewaffnet war, hatte zwar schwere Nachteile, doch sicherlich war Hicks intelligent genug, seinen Gegnern diese Tatsache zu verbergen. Im Notfall konnte er den Anschein erwecken, als ob eine ganze Gruppe von Männern sich an die Verfolgung gemacht hätte. Ein Bluff hatte schon manchen Gegner hereingelegt.

      Unwillkürlich tastete Tom nach seiner eigenen Waffe. Er hob sie ein wenig aus dem Holster. Er achtete der Zweige nicht, die ihm durchs Gesicht peitschten. Seine Fortbewegung war bald lautlos, so wie er es in der Wildnis hatte lernen müssen. Er machte kleine schnelle Sprünge, wie auf der Pirsch hinter einem verwundeten Elch. Lauernde Rothäute wandten diese Methode ebenfalls an. Diese Sprünge ermüdeten wenig, brachten ihn aber schnell vorwärts. Jeden Zollbreit des Bodens kannte er noch von früher. Lautlos schnellte er durch die Nacht, ein Mann, dessen gestähltem Körper solche Läufe keine Schwierigkeit bereiteten.

      Wer sich auch immer des Kanus bemächtigt hatte, er, Tom Darnell, war nicht bereit, sich sein Kanu mit Ausrüstung und Proviant wegnehmen zu lassen. Noch schneller wurde sein Lauf, ohne dass sein Atem wesentlich rascher ging. In schräger Linie bewegte er sich auf den Otterbach zu. Die Zweige der Weiden traten auseinander. Der Bach wurde mit seinem schwarz aussehenden, träge fließenden Wasser sichtbar. Der scharfe Nachtwind kräuselte die Wasseroberfläche. Kleine Wellen schlugen monoton gegen das Ufer.

      Wie ein Schatten bewegte Tom Darnell sich jetzt vorwärts, wobei er geschickt die Bäume als Deckung benutzte. Er kam dicht an das Ufer, ohne dass er von den beiden Gestalten, die mit dem Kanu um die Bachkrümmung gerudert waren, bemerkt worden wäre.

      Von dorther, wo die Anlegestelle war, hörte man einen Wutschrei von Joe Hicks und seinen wilden Ruf: „Kehrt sofort um, ihr Diebe, tut es augenblicklich, ich habe euch vor meinem Rohr! Ich werde sofort schießen!“

      Die beiden Gestalten im Kanu wussten nur zu gut, dass sie mit dem Passieren der Bachkrümmung aus der Gefahrenzone waren. Sie bückten sich zwar tiefer in das Kanu hinein in Erwartung eventueller Bleigeschosse, doch handhabten sie um so eifriger die Paddel.

      Allzu viel Kraft war nicht in diesen Paddelschlägen, was einem Kenner wie Tom sofort klar wurde. Die Männer im Boot hatten wenig Geschick in der Handhabung eines indianischen Kanus. Das Boot hatte die Krümmung bereits hinter sich und noch immer war das wütende Schreien von Hicks zu hören. Tom blieb völlig kalt. Er beobachtete die Kanufahrer. Die Gestalt, die vorn im Bug hockte, richtete sich jetzt höher auf und wandte sich um.

      „Schneller“, klang es, „es geht um unser Leben!“

      Tom war es, als hätte ihn jemand mit kalter Hand berührt. Die helle dünne Stimme berührte ihn so eigenartig, dass sich seine Zähne fest in die Unterlippe gruben. Jetzt

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