Immortality of Silence. Lena Victoria

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Immortality of Silence - Lena Victoria

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der weiten Entfernung konnte ich die Treffen mit Ramona leider an zwei Händen abzählen – doch dank des Internets blieben wir weiterhin in engem Kontakt. Aus einem einmaligen Chat entwickelte sich ein regelmäßiger nächtlicher stundenlanger Austausch. Obwohl ich meine Freundin nur spärlich sah, war ich ihr sehr viel näher als den meisten Menschen, denen ich täglich persönlich begegnete.

      Eine Seele mit der du verbunden bist und mit der du dieselben Ansichten über diese Welt teilst, wird dir immer – auch wenn sie örtlich weit entfernt ist – vertrauter sein als eine anwesende Person, die nie verstehen wird, wie du die Realität wahrnimmst. Es war gleichgültig, wie weit Ramona von mir entfernt war, denn ich konnte mir sicher sein, dass ich in wichtigen Situationen auf sie zählen konnte – genauso umgekehrt.

      Während ich mit Joris und Ramona meine kleine persönliche Therapiegruppe gefunden hatte, war der Kontakt zu Fin sehr schnell verblasst. Das einzige, was von dem letzten Mitglied unserer Runde noch blieb, waren kurze formelle Textnachrichten. Nicht jede Person ist dazu bestimmt, in deinem Leben zu bleiben – manche Personen werden kurze schöne Erinnerungen in deinem Gedächtnis hinterlassen, während andere als lebenslange Anker in deiner Nähe verweilen.

      »Was hast du heute gemalt?«, wollte ich von meinem Freund wissen als er an einem windigen Donnerstagnachmittag an unserer Theke Platz nahm. Er war wahnsinnig begabt darin, ein Modell in seiner wahren Form darzustellen – wobei er dabei nur selten auf den Realismus zurückgriff. Joris fing die Seele einer Figur ein – nicht nur den Körper. So gut wie jeden Tag arbeitete mein Freund an einem weiteren bezaubernden Gemälde, das er mir daraufhin mit seiner einzigartigen Bescheidenheit präsentierte. Bei jedem Bild, das ich zu Gesicht bekam, stieg meine Begeisterung kontinuierlich. Joris war unglaublich talentiert. Der Junge erklärte: »Ich denke, mein heutiges Werk ist eines der besten, das ich je gemacht habe.« Er griff mit seinen Händen in den Rucksack, um kurz darauf ein dickes weißes Papier daraus hervorzuziehen. Während ich die glatte Oberfläche des hochwertigen Materials auf meinen Fingern spürte, starrte ich sprachlos auf ein Gesicht, das mir nur allzu bekannt vorkam. Ich blickte wortwörtlich in mein Spiegelbild und schien es trotzdem nicht wiederzuerkennen. Das Portrait war viel zu bunt – viel zu makellos. »Wow.«, war das einzige Wort, das ich in diesem Moment zustande brachte. »Wobei es auch nicht möglich gewesen wäre, dieses Werk zu vermasseln.«, fügte Joris, weiterhin breit grinsend, hinzu. »Ich hatte ein zu schönes Model.« Ich schmunzelte. Schließlich bemerkte ich, wie weit meine Selbstwahrnehmung von den Ansichten meines Freundes abwich. Während ich über viele Jahre in jedem Spiegel, in den ich blickte, nur einen müden emotionslosen Ausdruck und dunkle Augenringe erkannte, zeichnete Joris mich mit einem breiten Lächeln und strahlenden Augen, die das ganze Blatt mit bunter Energie füllten. Ich wusste gar nicht was ich sagen sollte. Ich war zu überwältigt, um die Worte auszusprechen, die er eigentlich verdient hatte zu hören. Das Geschenk bedeutete mir mehr als mir in dieser Sekunde wohl selbst bewusst gewesen war.

      Unsere Gespräche kannten keine Grenzen – von seinen bezaubernden Werken, über unsere Träume, bis zu heiklen politischen Angelegenheiten. Glücklicherweise deckten sich unsere gesellschaftspolitischen Ansichten so gut wie immer. Unsere Art und Weise zu denken war so ähnlich, dass auch eine Kommunikation ohne Worte ein Leichtes wäre. Trotz unserer häufigen vertrauten Dialoge gab es leider noch immer ein Problem, das wir nur sehr selten ansprachen. Mein Freund erzählte verständlicherweise nur sehr ungern von seinen unangenehmen Schultagen. »Von diesem Mist habe ich schon die unendlich langen Vormittage genug – ich würde diese Negativität lieber dort lassen, wo sie hingehört.«, hatte er mir seinen Gedankengang erklärt. »Die Hölle wartet schon noch auf mich – täglich um Punkt acht.« Joris hatte einen sehr starken Charakter, wobei er sich dessen selbst gar nicht bewusst war. Er fokussierte sich auf seine Ziele und kein noch so unendlich langer unerträglicher Tag konnte ihn davon abhalten, diese zu verfolgen. Sein Ehrgeiz beeindruckte mich und ohne, dass es mir wirklich bewusst war, verwandelte er mich in eine bessere Version meiner Selbst – ich erinnerte mich wieder an meine eigenen verlorengegangenen Träume. Ich wollte schreiben – nicht mehr nur für mich. Ich begann immer häufiger über Wege nachzudenken, das Schreiben doch noch zu meiner Berufung machen zu können. Alles ist möglich, solange nur die eine richtige Person an dich glaubt – und du selbst.

      Während die meiste Zeit meiner Wochentage mit Verpflichtungen ausgefüllt waren, blieben nur noch spät abends wenige Stunden für meine Schreibmaschine und mich. Immer wieder musste mein Schlaf unter meiner Kreativität leiden, da es mir nur sehr selten möglich war, meinen Ideenfluss zu stoppen, sobald ich einmal in eine Geschichte eingetaucht war. So saß ich regelmäßig an meinem Schreibtisch und tippte gedankenversunken in die bezaubernden Tasten meiner Schreibklaviatur.

      »Erlaubst du mir etwas von dir zu lesen?«, hatte Joris mich bereits mehrere Male gefragt. Zitternd wanderten meine Finger über die Oberfläche des Tresens. Als das letzte Mal jemand eines meiner Werke zu Gesicht bekam hatte Noah von meinem Notizblock zu mir aufgeschaut und mir Mut zugesprochen: »Ich bin mir sicher, dass du es einmal weit bringen wirst.« Wenn er nun wüsste, dass ich mir selbst all meine Pläne durchkreuzt hatte. Ich biss mir auf die Unterlippe. Immer wieder schüttelte ich den Kopf. »Ich schreibe nur für mich.«, murmelte ich. »Warum?«, wollte Joris wissen. Seine kurze Frage hallte immer wieder durch meine aufgewühlten Gedanken. Warum? Eine angespannte Stille begleitete meine Bedenkzeit. Warum? Das bereits vertraute Aroma von Blut meiner wunden Lippe erregte meine Geschmacksknospen. »Warum schon?«, stellte ich mir selbst die passende Gegenfrage. Einige Minuten suchte ich angestrengt nach einem plausiblen, eigentlich nicht vorhandenen Grund, um seine Frage zu beantworten. Verwirrt starrte ich in seine warmen dunkelbraunen Augen und antwortete schlussendlich nur mit den einfachen Worten: »Ich weiß es nicht.« Mein Freund lächelte mir zu: »Du musst mir deine Geschichten natürlich nicht zeigen, wenn du nicht willst.« Angespannt verharrte mein Blick in der rechten hinteren Ecke des Raumes. »Ich will sie dir gerne zeigen.«, lagen mir die unausgesprochenen Worte auf meiner Zunge. Ich schwieg.

      »Niemand wird diesen Mist je wieder zu Gesicht bekommen!«, schrie ich, während ich einen meiner Notizblöcke, die um mich herum am Fußboden verteilt waren, gegen meine Zimmertür warf. Es folgte ein lauter Knall als der Bund Blätter mit voller Wucht gegen das weiß lackierte Holz krachte. »Ich will gar nichts mehr schreiben!«, dröhnte meine verzweifelte Stimme durch die kalten Wände unseres Hauses. Ich konnte nicht hören wie meine Mutter ihre Tränen hinunterschluckte, während sie im Gang vor meinem Zimmer darauf wartete, dass ich mich beruhigte. Es war der zwölfte Februar 2016 – zehn Tage nachdem mein Bruder Selbstmord begangen hatte. An diesem Tag hatte meine Mutter mir vorgeschlagen zu versuchen, mein Leben so normal wie möglich fortzuführen. »Schreib doch wieder einmal eine Geschichte.«, hatte sie gesagt. »Das hat dir doch immer so Spaß gemacht – vielleicht hilft es dir.« Während ich meiner Mutter Vorwürfe an den Kopf warf, die sie nicht verdient hatte, saß mein Vater in der Küche und nippte an seinem achten Glas Whisky.

      »Darf ich dir meine Texte zeigen?«, sprudelte plötzlich eine Frage aus mir, die ich selbst nicht mehr erwartet hatte, und unterbrach meine viel zu reale Erinnerung an bereits verheilt geglaubte Wunden. Ein überraschter Ausdruck breitete sich auf dem Gesicht meines Freundes aus. »Ja natürlich.«, gab Joris ein paar Sekunden später grinsend zurück. Ich lächelte stolz – wissend, dass meine Vergangenheit dieses Mal nicht überhandgenommen hatte.

      Joris und ich spazierten durch die dunkle Gasse, welche die Bar meines Vaters mit unserem Haus, dem letzten Gebäude am Ende der Straße, verband. Das Anwesen war recht geräumig, aber trotzdem nur schlicht gestaltet. Es war nicht schwer zu erkennen, dass unserem kleinen Vorgarten über die letzten Jahre Vernachlässigung widerfahren war. Als ich unsere Haustür aufschob unterbrach ein knarrendes Geräusch für einen kurzen Moment die kalte Stille der Nacht. Wir schenkten meinen Eltern nur eine flüchtige Begrüßung bevor wir in meinem Zimmer verschwanden. »Und ich habe das Privileg deine Texte als Erster zu lesen?«, grinste Joris mich an, nachdem er es sich auf meinem Bett gemütlich gemacht hatte. Ich nickte zustimmend. Ohne zu zögern öffnete ich die oberste Schublade meines Schreibtisches, um Joris

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