Immortality of Silence. Lena Victoria
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Immortality of Silence - Lena Victoria страница 7
Schließlich schlug Joris die erste Seite auf. Sein Blick hing nur wenige Sekunden an den ersten Zeilen als sich meine Kehle plötzlich wie zugeschnürt anfühlte. »Warte.«, unterbrach meine zitternde Stimme seinen Lesefluss. »Au.«, teilte mein Freund mir seinen Schmerz laut mit, als ich den Frontdeckel meines Buches, noch während die Hand von Joris darin ruhte, ohne nachzudenken voller Wucht zuklatschte. »Tut mir leid.«, entschuldigte ich meine Handlung, die ich mir selbst nicht erklären konnte. »Kein Problem.«, gab er zurück während er seine Hand aus dem Block zog. »Hast du es dir anders überlegt?« Mein Gesicht war ihm zugewandt, doch mein Blick schweifte an seinen Augen vorbei und landete auf der Stelle unseres Mauerwerks, an der die darauf angebrachte Wandfarbe ein wenig abgebröselt war.
»Sehr gut gemacht.«, hatte meine Mutter in einem lauten Ton von sich gegeben. »Jetzt müssen wir die Wand auch noch neu streichen. Diese Ausraster müssen wirklich aufhören Kamilla.« Marys Augen waren feucht und jeder Funke von Wärme war verblasst. »Kannst du nicht wenigstens versuchen, dich zu bemühen, unsere Situation nicht noch schwieriger zu machen als sie ohnehin schon ist? Kannst du nicht auch einmal an uns denken – nicht immer nur an dich?« Meine Mutter schüttelte enttäuscht den Kopf. »Und jetzt heb die Bücher wieder vom Boden auf!«, befahl sie mir. Es waren bereits zwanzig Tage ohne Noah vergangen.
»Kamilla?«, hörte ich den schönen dunklen Klang der Stimme meines Freundes, die mich aus meinen düsteren Erinnerungen befreite. »Es ist ok, falls du es dir doch anders überlegt hast.«, versuchte er mich zu beruhigen. »Ist alles in Ordnung?« Ich nickte. Zurück in der Realität fiel mein Blick auf das dunkelblaue Armband auf dem ein rechteckiger silberner Stein angebracht war, das ich um mein Handgelenk gebunden hatte. »Dieses Armband hat Noah mir geschenkt.«, warf ich in die eisige Stille, während ich nervös an dem blauen Band zu zupfen begann. Mit einem betrübten Gesichtsausdruck blickte Joris von meinem Schmuckstück zu mir auf und riet mir: »Willst du es nicht lieber abnehmen? Denkst du nicht, dass es dir damit noch schwerer fällt, mit den ganzen schrecklichen Erinnerungen klarzukommen?« »Die Erinnerungen waren nicht alle schrecklich. Ich werde es sicher nicht abnehmen.«, entgegnete ich erzürnt. »Ich glaube daran, dass – solange ich sein Armband bei mir trage – sein Geist bei mir ist, um mich zu all den magischen Orten, wohin mich meine Reise auch immer führen mag, zu begleiten.«
Joris nickte mir verständnisvoll zu bevor er antwortete: »Du hast recht – trag es.« Ich lächelte. »Du sollst meine Texte lesen.«, wechselte ich daraufhin, ohne eine Bedenkzeit einzulegen, das Thema. »Allerdings sind die Gedanken, die ich in diesem Block niedergeschrieben habe, sehr privat. Ich habe viele düstere Geschichten erzählt, um mit meinen erdrückenden Emotionen klarzukommen.« Joris schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. »Mir wurde gerade bewusst, dass ich lieber nicht dabei sein will, wenn du diese finsteren Teile von mir zu Gesicht bekommst.«, erklärte ich meine Panik. »Wenn du nur die Gemälde sehen könntest, die ich in meinen dunkelsten Stunden gemalt habe.«, gab mein Freund schmunzelnd zurück. »Deine düsteren Gedanken können mich nicht so schnell schockieren. Ich will alle Teile von dir kennenlernen.« Seine Worte erfüllten mein gefrorenes Blut wieder mit Wärme. Eine halbe Minute lang hielten wir einen sehr innigen Augenkontakt. Plötzlich wurde mein Herzschlag ein weiteres Mal ohrenbetäubend laut, obwohl Joris das Geräusch gar nicht zu bemerken schien.
Sein durchdringender Blick gab mir das Gefühl, als könne er in mein Unterbewusstsein blicken und all die Dinge freilegen, die ich all die Zeit bemüht war, zu vergraben. Mein Blick schweifte auf den Parkettboden unter unseren Füßen. Einen Moment später glänzten mich zwei strahlende haselnussbraune Augen vom Boden aus an. Es waren meine Augen. Das Gemälde, das Joris von mir gemalt hatte, war zwischen den Seiten des Verstecks meiner düsteren Gedanken herausgefallen. »Ich habe ganz vergessen, dass ich dein Bild hier drinnen aufbewahrt habe.«, erklärte ich, während ich die Zeichnung ohne zu zögern wieder aufhob. Ich starrte auf eine makellose Schönheit. »Wie gern würde ich nur dieses Mädchen sein.«, murmelte ich gedankenversunken. »Das bist du.«, entgegnete Joris verwundert. »Aber ich erkenne mich nicht.«, erklärte ich ihm. »Aber ich.«, gab mein Freund entschieden zurück.
Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander auf meinem Bett. Ich spürte den Blick meines Freundes auf mir während ich noch immer auf die detaillierten Pinselstriche auf dem Papier in meinen Händen starrte. »Wie lange hast du dafür gebraucht?«, durchbrach ich schließlich die Stille. »Eine ganze Nacht.«, gab er zurück. »Und wann hast du geschlafen?«, fragte ich ihn verwundert. »Schlaf ist überbewertet.«, zwinkerte er mir grinsend zu. Ich schmunzelte. Ein weiterer inniger Blickkontakt folgte. Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich konnte mir meine plötzlich auftretende Nervosität nicht erklären. Schnell wich ich seinem Blick wieder aus. »Kamilla.«, ertönte die besorgte Stimme meines Freundes. »Du blutest.« Er wischte das Blut mit seinem Finger von meiner Unterlippe. Seine Berührung hinterließ ein wunderschönes warmes Gefühl in mir, das sich nach mehr sehnte. »Ja«, gab ich flüsternd zurück. »Das ist eine schlechte Angewohnheit von mir.« »Ich weiß.«, entgegnete Joris mit funkelnden Augen, die mich nicht mehr loszulassen schienen. Plötzlich überkam mich ein unergründlicher Drang, so schnell wie möglich aus dieser Situation zu fliehen. »Es ist schon spät.«, sprudelten die Worte aus mir. »Es wäre wohl besser, wenn du jetzt gehst.« Joris musterte mich einen Moment verunsichert, bevor er mir antwortete: »Ok, dann sehen wir uns morgen?« Ich nickte. Der Junge stand auf und verschwand mit dem bezaubernden Abbild von Gamla Stan hinter der Tür. Es fühlte sich an als hätte ich ihm damit ein Stück meiner Seele übergeben.
Ich schloss die Tür hinter ihm. Ich ging zurück zu meinem Bett, setzte mich auf meine weiche Matratze und starrte ein weiteres Mal auf den Parkettboden unter meinen Füßen. Manchmal verstehe ich mich selbst nicht. An diesem Abend dauerte es einige Zeit bis ich vor meinen aufwühlenden Gedanken in das beruhigende Gefühl der Inexistenz des Schlafes fliehen konnte. Durchdrang Joris in diesem Moment meine persönlichsten Gedanken?
Mein Wecker klingelte. Mein Kopf dröhnte. Mein Körper signalisierte mir weiterzuschlafen und die täglichen Arbeitspflichten zu ignorieren. Warum muss jede Packung Zigaretten eine Aufschrift für die wahrscheinlich gesundheitlichen Folgen enthalten, doch ein Warnhinweis zu den Folgen tagtäglicher moderner Sklaverei – wie permanenter Stress und Schlaflosigkeit – ist nirgendwo zu finden. Ich bin mir sicher, dass der pausenlos ansteigende Arbeitsdruck genauso schädlich ist wie eine Zigarette – unscheinbar eingehüllt in einer Rolle Papier – fertig abgepackt für das erleichterte Einführen zum Verkürzen seiner Lebenszeit. Wieso steckt die Menschheit so viel Arbeit in die Herstellung von umwelt- und gesundheitsschädlichen Produkten? Seht euch doch einmal in unserer Welt um – bevor wir unseren eigenen Lebensraum vernichtet haben.
Trotz meines langen Grübelns über die Sinnhaftigkeit der Arbeit stand ich eine halbe Stunde später, sowie auch jeden anderen Tag, mit einem von Müdigkeit gekennzeichneten Gesichtsausdruck hinter dem Tresen unserer Bar. Als die Eingangstür voller Wucht aufgeschlagen wurde richtete ich meine Aufmerksamkeit von den zu reinigenden Weingläsern auf diese. Joris marschierte energisch auf mich zu. Ich musterte seine von Freude erfüllte Miene. »Wo hast du denn diese ganze Energie her?«, bat ich meinen Freund um Rat. »Ich würde gerade wirklich dringend auch etwas davon benötigen.« Joris hörte nicht auf zu grinsen. »Ich habe etwas für dich.«, erklärte mein Freund mir. Auf seiner blassen Haut erkannte ich Ansätze von lebendigeren Farbtönen. »Vielleicht schenkt es dir sogar ein wenig Energie oder eine bessere Laune – hoffe ich.«, fügte der Junge hinzu. Ich sendete ihm neugierige Blicke. Joris zog ein Blatt Papier aus seinem Rucksack und platzierte es vor mir auf dem Tisch. »Ich hoffe es gefällt dir.«, hörte ich seine dunkle Stimme in mir nachhallen, während ich voller Begeisterung in der traumhaften Atmosphäre dieses Gemäldes entschwand. Auf dem Bild erkannte