IMMER AUSSCHLAFEN IST AUCH KEINE LÖSUNG. Axel Beyer
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Das ist Spontaneität, dass setzt Kapazitäten frei. Gut, leider keine Platzkapazitäten. Aber wie hätte ich sonst in den Genuss kommen können, ziellos über die Gänge irrende Rollkofferbesitzer zu sehen, die in einem vollen Zug noch versuchten, freie Plätze zu ergattern. Da kam man ins Gespräch und da waren Ellenbogen gefragt. Wunderbar!
Und natürlich hatten wir auf der Strecke an jedem Bahnhof das gleiche Vergnügen. „Welcher Wagen ist das bitte hier?“ – Wir hatten schon einen Chor gebildet und konnten „Wagen 11 ist heute nicht dabei“ mehrstimmig singen. Das verbindet, das erzeugt soziale Interaktion. Ich hätte meinen Hut vor diesem Einfallsreichtum Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezogen – leider hatte ich keinen dabei.
Die vierstündige Fahrt verging, also genauer: Die durch erneute Verspätung deutlich mehr als vierstündige Fahrt verging. Ich kam beseelt am Hauptbahnhof an. Nur um festzustellen, dass Sie sich erneut selbst übertroffen hatten. Es war nach 16 Uhr, also wieder Rush Hour, wieder ein Kurz-Zug der S-Bahn. Köstlich!
Und da an diesem Tag in Köln 28 Grad waren, konnte man gut zusammenrücken und hatte neben dem taktilen auch noch den olfaktorischen Genuss von nach der Arbeit heimwärts strebenden Werktätigen. Ja, wir müssen eben alle in diesen Zeiten zusammenrücken – das haben Sie uns einmal mehr ins Bewusstsein drücken können.
Nur leider kam zweimal an Bahnhöfen jeweils eine junge Frau mit Kleinkindern und einem Kinderwagen nicht mehr mit. Aber auf diese Weise wird eben schon den Kleinsten sehr früh deutlich gemacht, dass der Transport mit der S-Bahn nichts Selbstverständliches ist, sondern schwer erarbeitet werden muss.
Nochmal – Ich gratuliere Ihnen wirklich zu diesen grandiosen und lehrreichen Momenten. Allerdings gestehe ich offen, dass ich in der nächsten Zeit wohl lieber auf weitere Bahnreisen und Beweise Ihrer kreativen Fachabteilungen verzichten möchte, weil ich nicht weiß, ob ich diesen nervlichen Reizen auf Dauer standhalten kann.
Meine Bahncard werde ich daher separat zurückgeben. Aber natürlich drücke ich die Daumen, dass möglichst viele Ihrer Kunden mit Verständnis und Bewunderung auf Ihre Aktivitäten reagieren.
Ach ja, und die Reservierungsgebühr für die nicht genutzten Plätze in Wagen 11 nehme ich einfach als Lehrgeld, denn als „Leergeld“ wäre das heute nicht zu bezeichnen gewesen. Und mein Onlineticket lege ich in Kopie bei, damit Sie nicht etwa meinen, ich hätte mir das ausgedacht. Aber seien wir ehrlich – auf so viele wunderbare und schräge Ideen könnte nicht einmal ich kommen, das kann nur Die Bahn.
Mit freundlichen Grüßen“
Der Fairness halber weise ich darauf hin, dass mir die Bahn wenig später antwortete, zwar darin viele Textbausteine benutzte, aber sich auch für meine „ausführliche und bildhafte Schilderung“ bedankte. Dazu gab es einen Gutschein, den ich bei der nächsten Reise verrechnen lassen könne. – Danke!
Auch dafür, dass die nächste Bahnfahrt ähnlich chaotisch verlief. Aber das ist dann eine andere Geschichte. Und nun erzählen Sie Ihre Bahngeschichte!
Credo
Eine Freundin bemerkte neulich, dass ich nicht zu denen gehöre, die sich über das Älterwerden beklagen. Warum auch? Ich wollte schon als Kind immer älter werden, weil man dann so viel darf. Und heute darf ich. Das ist mein Credo.
Natürlich verändert sich der Blick auf das Hier und Jetzt, manche Dinge bekomme ich sehr viel deutlicher mit – sogar gelassener. Ja, ich. Gelassener. Und manchmal frage ich mich, wieso ich das erst jetzt bemerke. Einige Eigenschaften oder Fähigkeiten nehmen ab, die Macken nehmen zu. Und man selber auch. Das ist nur mit Humor zu ertragen. Das gehört auch zum Credo.
Und auch wenn man das Gefühl hat, dass man nur als Einzige oder Einziger davon betroffen ist – es geht allen so, die plötzlich nach Pubertät und Arbeitsleben mit einem neuen Lebensabschnitt zurechtkommen müssen. Denn wie sang schon einst Roy Black „Du bist nicht allein…“. Und alle, die nicht wissen wer Roy Black war, die sind noch nicht alt genug.
Komisch, wenn man an sich selbst plötzlich feststellt, dass das Namensgedächtnis auch nicht mehr das ist, was es mal war. Und dass auch die Hörfähigkeit zwar ab-, das Lärmempfinden aber zunimmt. Und dabei kennen wir uns doch im Leben aus, uns macht da keiner etwas vor – allenfalls beim Schmahtfohn.
Also nehmen wir das Älterwerden nicht zu ernst – denn ändern können wir es ohnehin nicht. Die Alternative wäre jung zu sterben – und dafür sind wir schon zu alt. Nein, sehen wir die positiven Seiten und freuen wir uns, dass wir nicht mehr müssen müssen. Sondern allenfalls dürfen dürfen. Zumindest solange wir noch können können.
Grantelnde Alte gibt es genug, die machen nur sich und anderen den Rest des Lebens schwer. Ein Lächeln ist die beste Art, dem Alter die Zähne zu zeigen. Und wenn es die Dritten sind. Mit uns muss keiner Mitleid haben, denn wir leiden nicht, sondern freuen uns unseres Lebens. Solange wie es dauert.
Ich jedenfalls habe ja jetzt Zeit, will nichts mehr werden und muss nicht mehr, sondern möchte allenfalls noch. Sie auch?
Aber was fängt man an mit der gewonnenen Zeit. Immer nur ausschlafen ist auch keine Lösung. Und wenn mir früher oft die 24 Stunden eines Tages nicht genügten, so merke ich jetzt doch, wie lang 24 Stunden sein können. Und ich habe ja jetzt Zeit. Und dann frage ich mich – wofür? Gut, man könnte die Biografie von Helmut Schmidt lesen.
Aber sonst? Dafür, dass man ausschlafen könnte, aber nicht kann? Dass man in Ruhe reisen will, aber nicht gelassen wird? Dass man eigentlich Zeit hat, andere einem diese aber stehlen? Sie kennen diese Momente? Dann willkommen! - Wobei Sie einen Satz in diesem Glaubensbekenntnis nicht hören oder lesen werden: Kein „früher war alles besser“, kein Selbstmitleid. Nein, denn wir sind zwar älter, aber nicht blöd, und wir wissen genau: Besser war es definitiv nicht, nur eben ganz anders.
Diät
Sie wissen sicher aus allen guten Ratgebern, dass man – wie immer wieder zu lesen ist – auf seine Ernährung achten soll. Oh ja, ich achte immer darauf, dass ich mich ernähre. Und zwar gut. Und gerne. Gut, das habe ich bis jetzt noch nicht gelesen, aber warum soll man sich die viele vorhandene Zeit mit schlechtem Essen versauen? Niemand sollte sich die Zeit mit schlechtem Wein verderben, hat schon der olle Goethe gesagt. Zumindest so ähnlich. Und da Goethe zu allem was gesagt hat, ist es immer gut so ein Zitat parat zu haben. Schiller täte es zur Not auch. Oder Helmut Schmidt.
„Hast du schon abgenommen?“ – so begrüßt mich immer wieder eine gute Freundin oft am Telefon. Und trotz dieser Frage ist sie noch eine gute Freundin. Dabei müsste sie die Antwort längst kennen. NATÜRLICH NICHT! – Warum auch. Ich fühle mich ja wohl, so wie ich bin. Ich bin ja nicht dick. Höchstens als Kind mal in den Zaubertrank gefallen.
Mein Hausarzt runzelt zwar immer die Stirn wenn ich mein Gewicht nenne, aber das ist bestimmt bloß Neid. Und wenn die Bekleidungsindustrie ständig die Größenbezeichnungen ändert, da kann ich doch nichts dafür. Erwähnte ich schon, dass meine Waage immer falsche Zahlen… ach so. Nun ja, manchmal erzählt man Dinge doppelt. Auch so eine merkwürdige Veränderung.
Dennoch, ich gebe es zu, habe ich mich von Zeit zu Zeit an Diäten versucht. Also nicht im Bundestag, sondern was das Essen angeht. Meist aus Solidarität, gemeinsam mit einer Freundin. Nicht, dass ich es brauchte, aber ich wollte moralischen Beistand leisten.
Ich