Schlangen, Guillotinen und ein elektrischer Stuhl. Dennis Dunaway
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Was das Konzert in São Paulo anbelangte: Man gewann schnell den Eindruck, dass jeder Freak der südlichen Hemisphäre aufgelaufen war, um eine spezielle Portion des brasilianischen Wahnsinns aufzutischen. All die abgewrackten und aufgedonnerten Zuschauer vermittelten uns ein vertrautes Gefühl, doch unglücklicherweise herrschte eine beklemmende und einschüchternde Atmosphäre.
Zuerst hatte uns die Polizei an den Rand der Verzweiflung gebracht. Brasilien befand sich noch in den Klauen einer Militärdiktatur, und die Cops freuten sich, uns ihre Macht und Durchsetzungsfähigkeit zu demonstrieren. Für den Soundcheck am Nachmittag pferchte man die Musiker in Militärfahrzeuge, die sich den Weg durch die Menge ohne Rücksicht auf Verluste bahnten. Wir waren sicher, dass sie einen der Jugendlichen ummähen würden, woraufhin Alice den Mann am Lenkrad anbettelte, er solle doch bitte langsamer fahren, doch dieser brüllte nur etwas auf Portugiesisch, lachte und legte noch einen Zahn zu.
An dem Abend schauten wir in den Zuschauerraum, und da standen sie in der ersten Reihe – mit verkrampften Händen Automatikgewehre haltend. Sie wirkten so angespannt wie Meth-User, dieselben Cops vom Nachmittag, doch nun mit nervösen Fingern. Und ausgerechnet die sollten uns schützen!
Abgesehen von den Bullen schwebte ein befremdlicher emotionaler Druck über der Band. Wir redeten nicht darüber, denn das war ganz und gar nicht unser Stil. Doch man spürte es, ein Gefühl, als habe man die Kontrolle über einen Traum verloren. Wir hatten die mächtige Lokomotive konstruiert, und nun versagten die Bremsen, die Räder fielen ab – und vor uns lag eine in sich zusammengestürzte Bücke …
Ich schaute in Richtung Michael Bruce. Er warf mir einen angenervten Blick zu, der auszudrücken schien: „Kannst du das hier glauben?“ Die Gitarre hing über seiner Schulter, während er mit dem freien Arm eine vereinnahmende Brasilianerin von der Vorband an sich drückte. Auf der Jagd nach den Schönheiten der Frauenwelt war er unermüdlich. Im Privatleben begab er sich immer auf eine neue Eroberungsreise, doch auf der Bühne zeigte er sich so zuverlässig wie ein bulliger Mack-Truck. Dennoch verriet sein verbissener Gesichtsausdruck für mich einen Hauch von Enttäuschung. Überall spielten wir vor ausverkauften Häusern, hatten ein Nummer-1-Album veröffentlicht und freuten uns über Storys in Magazinen, die uns als die Band mit dem höchsten Brutto-Umsatz weltweit feierten – höher als derjenige der Stones und von Led Zeppelin! Doch Moment mal, wo waren denn die Schecks? Kein Wunder, dass Michael so verärgert aussah.
Die Mimik von Glen Buxton, dem zweiten Gitarristen, schien sich schon seit einem Jahr nicht geändert zu haben – es war ein teilnahmsloses Starren, das sich in der Ferne verlor und Unheil ankündigte. Glen hatte als Erster erkannt, dass etwas in der Gruppe nicht stimmte. Seine Reaktion darauf: Verdrängung durch Partys. In Brasilien tischte man ihm unverschnittenes Zeug auf dem Silbertablett auf. Erst zwei Tage zuvor hatte ich ihn durch den Flur des Copacabana kriechen sehen, abgeschossen in einer Welt, fernab und verschwommen.
Das Buch ist Glen gewidmet, sicherlich eines dieser unschätzbaren Originale, die man nur selten im Leben trifft. Er musste einen Raum bloß betreten, und schon machte er Witze am laufenden Band, die jeden wegfegten. Das erwartete man von ihm. Als Musiker konnten wir damit rechnen, dass er brettharte Gitarren-Parts ablieferte, die von weit entfernten Planeten stammten. Doch nun war Glen mehr daran interessiert, sich dem eigenen Schicksal auszuliefern.
Über ihm thronte Neal Smith, unser extravaganter Drummer, ein goldener Gott. Nein, „Gold“ reicht hier nicht zur Beschreibung – er war der Platin-Gott, der uns unterhielt und dazu antrieb, ein immer noch höheres und explosiveres Level zu erreichen. Zwischen mir und Neal bestand eine enge Verbindung, und das nicht nur, weil ich mit seiner Schwester schlief. Sein Schlagzeug und mein Bass waren zu einer untrennbaren und mysteriösen Einheit verschmolzen, die weit über das hinausging, was man landläufig als Rhythmus-Sektion beschreibt. Meine Basslinien fütterten den minimalistischen und ursprünglichen Drumbeat. Wir schlossen uns eng zusammen und erzeugten dabei mehr Donner als eine Bomberflotte am Himmel.
Und dann war da Alice, der Comedian und Philosoph, der fürsorgliche Predigersohn, der auf der Bühne in seine Rolle als Verkörperung des Bösen schlüpfte. An diesem Abend in Brasilien hatte er gute Laune, obwohl er ängstlicher als sonst erschien. Vielleicht lag es an der unheilvollen Stimmung? Er war nicht sonderlich besoffen, doch man roch eine Bier-Fahne. Das Gesicht war vom dick aufgetragenen Augen-Make-up verdunkelt. Alice trug sein Leder-Outfit sowie den gefärbten Hodenschutz und wirbelte mit dem Schwert durch die Luft, scheinbar zu allem bereit.
Die brüderliche Harmonie zwischen Alice und mir hatte erst kürzlich einen Knacks bekommen. Allerdings zeigte sich die Anspannung innerhalb der Band niemals auf der Bühne. Waren wir erst mal draußen, stimmte alles. Ein Jahrzehnt lang liebten wir die Musik über alles, und sie war nun unser letzter Zufluchtsort geworden.
In São Paulo spielten wir ohne den großen Bühnenaufbau. Alles beschränkte sich auf die Musiker und die Musik. Wie in alten Zeiten waren wir wieder eine Rockband, am zufriedensten in einer rauen, aggressiven und zähnefletschenden Stimmung.
Wir rannten auf die Bühne und kreierten einen infernalischen Klang-Orkan. Natürlich hätte niemand ahnen können, dass es die letzte Show sein würde. Doch uns überkam das leidenschaftliche Fieber eines ehemals verliebten Pärchens, das gemeinsam ausgeht, es noch einmal versucht, sich dann einen Abschiedskuss gibt, wobei jeder mit zitternder Stimme haucht: „Bitte vergiss mich jetzt nicht.“
Hey, ich kenne diese Typen seit der Highschool. Wir haben seit der Zeit als schlaksige Teenager aufs Engste zusammengelebt – Wange an Unterkiefer, Unterkiefer an Achselhöhle –, in billigen Absteigen und geräumigen Häusern, kannten all unsere verborgenen und dunklen Geheimnisse. Einige Jahre vor dem Konzert, wir teilten uns damals ein Farmhaus in Michigan, bemerkte ich ein ständig wiederkehrendes Phänomen. Wenn einer von uns in ein leeres Zimmer ging und sich auf die Couch setzte, kam schon bald ein weiterer, dann der nächste, gefolgt vom übernächsten. Das glich einer organischen Maschine, die nur läuft, wenn alle Teile im Einklang miteinander sind.
Solch eine Nähe kann natürlich auch zu viel werden. Als wir in São Paulo aufschlugen, war unsere 24-stündige Party von Verantwortlichkeiten gegenüber einer viel größeren Maschine belastet.
Es hatte sich alles zu einer nervenzehrenden Halluzination entwickelt. Natürlich gab es zahlreiche Freuden und Annehmlichkeiten. Das will ich gar nicht abstreiten. Zum Gefühl, auf einer Bühne zu stehen, zu diesem Mix aus euphorischer Liebe und fordernder Ekstase gibt es nichts Vergleichbares an Lebenskraft. Zu deinen Füßen landen Feuerwerkskörper, Liebeskettchen und überschäumende Bierdosen.
Die Flut kommt auf dich zu und zieht dich auf den Ozean hinaus.
Fünf junge Kerle aus der Highschool, die auf schnelle Autos standen, sprangen in den superheißen Schlitten Rock’n’Roll und fielen wieder raus. Ich werde unseren Traum mit Ihnen teilen. Doch wie bei jedem Traum fällt die Logik in sich zusammen – ähnlich einem Marshall-Verstärker, der in die Luft geht.
Die Alice Cooper Group mochte harte Arbeit. Wir schrieben ständig Songs, brachten Album nach Album auf den Markt und dachten uns Bühnenshows aus.
Während einer Tournee gingen wir in eine Arena und verwandelten den nachmittäglichen Soundcheck in eine zweistündige Probe. Wir standen darauf, so verdammt gut zu sein, mochten es, das Publikum beim totalen Ausklinken zu beobachten. Fünf Musiker wurden zu einer Einheit zusammengeschweißt und waren so stark wie ein waschechter Hafenarbeiter.
Michael Bruce bemerkte mal, dass die frühe Band wie meine eigene Band wirkte. Nett von ihm, das zu erwähnen, doch es ist wichtig, dass Sie uns als fünf Musiker betrachten. Der Mann, den man nun als Alice Cooper kennt, kann nur im Kontext des ersten und wichtigsten