Sammelband 4 Fürstenromane: Liebe, Schicksal, Schlösser. Alfred Bekker
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Читать онлайн книгу Sammelband 4 Fürstenromane: Liebe, Schicksal, Schlösser - Alfred Bekker страница 14
»Er ist hier?« Der Fürst schaute sich um. »Wo ist er denn? Ich sehe ihn nirgendwo.«
»Er ... er speist mit dem gnädigen Fräulein zu Abend.«
»Er ...« Dem Fürsten schien die Luft wegzubleiben. »Wo?«
»Im ... im ... Speisesalon selbstverständlich.«
»Selbstverständlich?« Die Stimme des Fürsten wurde zum Orkan. »Ist es vielleicht selbstverständlich, dass ein biederer Angestellter an meinem Tisch speist? Sind denn hier alle verrückt geworden? Lebt man hier plötzlich nach dem Motto: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch?«
Das Geschrei des Fürsten blieb natürlich auch im Speisesalon nicht ungehört. Jenny legte den Bissen, den sie gerade in den Mund schieben wollte, auf den Teller zurück und blickte Alexander erschrocken an.
»Was ist denn jetzt los?«, erkundigte sie sich.
»Seine Hoheit beliebten, vorzeitig aus München zurückzukehren«, erklärte Alexander gelassen. »Karl scheint ihm berichtet zu haben, was wir zu tun gewagt haben. Und jetzt ist Seine Durchlaucht gerade am Explodieren.«
»Und da bleibst du so ruhig?«, staunte Jenny.
»Warum nicht?« Alexander zuckte die Schultern. »Ich musste doch von Anfang an damit rechnen, dass er so ähnlich reagieren würde. Er wird sich auch wieder beruhigen.«
Aber soweit war es noch lange nicht. Die Tür zum Speisesalon wurde aufgerissen, und dann stürmte eine an einen gereizten Stier erinnernde Person mit hochrotem Kopf ins Zimmer, baute sich wie ein Rachegott vor dem Tisch auf und schrie: »Haben Sie den Verstand verloren, Wildhirt? Sie sind der Verwalter und nicht der Herr auf Schloss Hambach! Der bin ich, falls Sie das vergessen haben sollten! Und deshalb wird hier immer noch getan, was ich angeordnet habe!«
Jenny hatte den ersten Schreck überwunden und fand die Szene plötzlich geradezu lächerlich. Der Mann hier benahm sich wirklich seltsam. Jenny musste unwillkürlich lachen und tat dies so glockenhell, dass Fürst Boris, der bis jetzt nur Alexander im Auge gehabt hatte, auf sie aufmerksam wurde.
»Ich möchte wissen, was es da zu lachen gibt?«, fuhr er sie an. »Hören Sie ...« Er erinnerte sich, dass er ja mit einer Verwandten sprach - beziehungsweise schrie und verbesserte sich: »Hör sofort auf zu lachen! Das ist ein Befehl!«
»Ich kann nicht.« Jenny hielt sich die Seiten, und dicke Tränen liefen ihr über die Wangen, Lachtränen, die sie mit dem Handrücken wegwischte. »Mein Gott, ist das komisch!«
»Du findest es komisch, wenn man sich meinen Anweisungen widersetzt?«, brüllte der Fürst. »Du findest das komisch?«
»Ich finde es komisch, wie du dich wegen einer solchen Nichtigkeit aufführst«, gluckste Jenny. »Bei uns in Amerika macht man aus solchen Szenen Sitcom Serien.« Sie beruhigte sich langsam. »Entschuldige bitte, Onkel Boris. Ich habe das nicht böse gemeint. Ich nehme doch an, dass du Onkel Boris bist?«
»Ja, der bin ich«, entgegnete der Fürst in etwas gemäßigterem Ton. Das Verhalten des Mädchens verwirrte ihn. Wie konnte man noch von Herzen brüllen, wenn es da jemanden gab, der darüber lachte? Und das so unschuldig und unbekümmert, dass es nicht einmal frech wirkte.
Jenny erhob sich, umarmte den Onkel und küsste ihn auf beide Wangen. Was ihn noch mehr verwirrte und aus der Fassung brachte. Wann hatte ihn zuletzt jemand geküsst? Er konnte sich nicht daran erinnern.
»Was soll das?«, knurrte er und schob das Mädchen von sich. »So eng verwandt sind wir ja nun auch wieder nicht. Außerdem ändert das nichts an der Tatsache, dass ihr euch meinen Anweisungen widersetzt habt.«
»Wollten Sie das Mädchen denn wirklich in diesem heruntergekommenen Zimmer hausen lassen?«, ergriff Alexander das Wort und tat sehr erstaunt. »In dieser Bruchbude, vor der es einem Bettler grausen würde? Ich hielt das für einen Scherz, Durchlaucht, denn wenn Sie es tatsächlich ernst gemeint hätten, wäre das ein schlechtes Zeugnis deutscher und speziell fürstlicher Gastfreundschaft gewesen. Das mochte ich einfach nicht glauben. So etwas konnten Sie Ihrer amerikanischen Verwandten nicht ernsthaft zumuten wollen.«
»Nun ja.« Der Fürst wirkte mit einem Mal recht verlegen. Dieser verdammte Wildhirt hatte ihn durch seine scheinheiligen Worte in eine überaus peinliche Situation hineinmanövriert. Jetzt blieb ihm praktisch keine andere Wahl, als zu leugnen, Karl diese Anweisung erteilt zu haben. Alexander hatte ihm diese Lüge förmlich auf die Zunge gelegt, wollte er sich nicht vor dem Mädchen blamieren. Was ihm im Grunde gleichgültig war, aber eigentlich auch wieder nicht. Besonders deswegen nicht, weil ihn dieser Windhund bei seiner fürstlichen Ehre gepackt hatte.
»Nun ja«, wiederholte er schweren Herzens. »Karl muss mich wohl missverstanden haben.«
»Dacht’ ich mir’s doch«, grinste Alexander.
»Grinsen Sie nicht so blöd, Wildhirt!«, grollte der Fürst. »Sie sind damit noch lange nicht aus dem Schneider. Mit Ihnen werde ich noch ein ernsthaftes Wort zu reden haben.«
»Wenn es dich stört, dass er hier mit mir isst«, mischte sich Jenny ein, »daran bin ich schuld. Ich wollte einfach nicht allein speisen und habe ihn eingeladen. Wie konnte ich ahnen, dass du früher aus München zurückkehrst? Sei also nicht länger böse, liebstes Onkelchen. Erweise uns lieber die Ehre deiner Gesellschaft, und iss mit uns. Wir haben gerade erst begonnen.«
»Ich habe keinen Hunger«, behauptete Fürst Boris, obwohl ihm beim Anblick der Köstlichkeiten, die auf dem Tisch standen, das Wasser im Mund zusammenlief. »Außerdem habe ich noch zu tun. Ich werde mir nachher ein wenig Zeit für dich nehmen, Jenny, damit du mir von zu Hause erzählen kannst.«
Sprach’s, machte auf dem Absatz kehrt und verließ grußlos das Zimmer.
»Das ging ja gerade noch mal gut«, freute sich Alexander, als der Fürst verschwunden war. »Ich denke, das hast du mit deinem fröhlichen Lachen bewirkt, Jenny. Ich hätte am liebsten eingestimmt.«
»Warum hast du es nicht getan?«
»Weil ich damit vermutlich das Gegenteil von dem ausgelöst hätte, was du mit deinem Lachen eingeleitet hast. Zumal ich nicht so herrlich lachen kann wie du. Wiederhol das in Gegenwart des Fürsten, so oft du es kannst. Vielleicht wirkt es besänftigend auf seine chronische Gereiztheit und schlechte Laune. Es wäre für uns alle, die wir für ihn tätig sind, wünschenswert.«
Seltsamerweise verlor Boris von Hambach nie mehr ein Wort über diese Vorfälle. Sowohl Alexander als auch Karl kamen ungeschoren davon. Was besonders den Butler, der sich große Sorgen um seinen Arbeitsplatz gemacht hatte, erleichtert aufatmen ließ.
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