Der kahle Berg. Lex Reurings
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Radarstationen. Auf einem niedrigeren Gipfel (1.810 m) an der Westseite des Berges befindet sich seit 1995 eine weiße Kugel. Darin ist ein ziviler Radarposten untergebracht. Zur Orientierung: Nicht weit entfernt befindet sich der höchste Punkt des Skilifts von Mont Serein. In der Auffahrt von Malaucène sieht man ihn kurz vor dem eigentlichen Gipfel auf der rechten Seite.
In östlicher Richtung, unweit des Col des Tempêtes, stand 31 Jahre lang eine Radaranlage der Luftwaffe. Vom 2. August 1971 bis zum 22. Februar 1996 schützte eine Betonkuppel dieses sogenannte Réseau-Terminal T2 vor möglichen Atomangriffen. Im Mai/Juni 2002 wurde die Anlage abgerissen und das Gelände in abgeräumtem Zustand übergeben. Bei diesem Anlass brachte der Bürgermeister von Bedoin sein Glück darüber zum Ausdruck, dass der Col des Tempêtes nun seine wahre Identität wiedererlangt hatte. Aber er dachte auch pragmatisch: »Wo einst der Dôme du Ventoux stand«, so Luc Reynard, »wird die Tour-Karawane von nun an einen geräumigen Parkplatz vorfinden.« Und das ist natürlich praktisch, wenn man bedenkt, dass während einer Etappe mit Ziel auf dem Ventoux etwa 40.000 Fahrzeuge einen Platz an den Flanken und am Fuß des Berges suchen.
Auch das SMAEMV, das sich mit der Flächennutzungsplanung am Mont Ventoux befasst, war mit dem Abzug der Streitkräfte zufrieden. Endlich erhielt man freie Hand, um Pläne auszuarbeiten, die den Tourismus auf dem Berg in die richtigen Bahnen lenken sollen. Etwas so Profanes wie die Flugabwehr des Landes würde der Wiederherstellung des mythischen Erscheinungsbildes des Gipfels fortan nicht mehr im Wege stehen.
Und nun wird dort oben auch endlich etwas geschehen: Ab April 2020 rücken die Bauarbeiter auf dem Gipfel des Ventoux an. Mit einem »nachhaltigen und integrierten Ansatz« wird das Département den Bereich um den weißen Turm herum ganz neu gestalten.
Zuerst wird die natürliche Umgebung wiederhergestellt. So verschwinden die unerwünschten Fußwege, die im Laufe der Zeit entstanden sind, und die Umgebung erhält so etwas wie eine Generalreinigung.
Neue Fußwege werden alle Sehenswürdigkeiten verbinden, vom Col des Tempêtes über die Chapelle de la Croix bis zum Radôme (der »Radarkugel«, wie das Gebäude hierzulande meist genannt wird). Informationstafeln und ein »Pfad der sprechenden Steine« sollen Besucher über die Besonderheiten des Naturschutzgebietes »La Réserve de Biosphère du Mont Ventoux« informieren.
Das bisher rummelige, geschäftige Gedränge vor dem weißen Gebäude wird ein völlig neues Gesicht bekommen: Bald werden Touristen hier einen attraktiven, ruhigen Platz vorfinden: mit Toiletten, mit Steinmauern, auf denen man sitzen kann, mit Abstellmöglichkeiten für Fahrräder.
Wenn alles fertig ist, wird das obere Plateau am Gipfel nur noch für Radfahrer und Fußgänger zugänglich sein. Der motorisierte Verkehr darf dann nur noch die Straße knapp unterhalb benutzen; parken muss man linkerhand der Straße zwischen dem Col des Tempêtes und dem Bar-Restaurant Vendran. Autofahrer, die ganz nach oben wollen, können das Gipfelplateau von der »unteren Straße« aus zu Fuß über eine Treppe erreichen.
Bis Ende 2021 wird es durch die Bauarbeiten rund um den Gipfel zu gehörigen Einschränkungen und Belästigungen für Besucher kommen, aber »diese Verbesserungen werden zur Qualität des Besuchserlebnisses beitragen und die Attraktivität des Ortes erhöhen«, so die Regionalzeitung La Provence. Man könnte hinzufügen: »damit der Besucher dort oben Ruhe und Zeit zur Besinnung finden kann«, ähnlich wie Petrarca es im Jahr 1336 vorhatte, als er den Gipfel bestieg, »lediglich aus Verlangen, die namhafte Höhe des Ortes kennenzulernen« – siehe Die Besteigung des Mont Ventoux, in: Der literarische Berg, S. 296. Nebenbei bemerkt: Auch ein Niederländer hat sich bereits mit der möglichen (Neu-)Gestaltung des Ventoux-Gipfels beschäftigt – siehe Einmal oben…, S. 269.
Weiter östlich, am Col de la Frache (1.588 m), kontrollierte das Réseau-Terminal T1, eine Anlage ähnlich dem T2, den Luftraum. Man muss kein ausgebildeter Spion sein, um zu verstehen, dass beide Radarposten mit den Atomraketen zu tun hatten, die während des Kalten Krieges in achtzehn Raketensilos auf dem Plateau d’Albion stationiert waren. Am 13. Februar 1996 kündigte Präsident Chirac an, dass sich Frankreich von nun an mit anderen Mitteln als ballistischen Raketen verteidigen werde; am 16. September 1996 wurde das atomare Verteidigungssystem im Vaucluse außer Betrieb gesetzt. Anschließend begann die Demontage aller Anlagen, einschließlich derer am Col des Tempêtes.
Für alle Ventoux-Besucher, die wissen wollen, wo genau Bedoin liegt oder von welchem Punkt aus der berühmte Mont Blanc sichtbar sein soll, gibt es Orientierungstafeln auf dem Parkplatz der Brasserie Vendran und auf der »Terrasse« oberhalb der letzten Kurve der Straße aus Malaucène.
Die Straßen
Die Abfahrt nach Bedoin. Ende des 19. Jahrhunderts bekam Gabriel Provane, ein Bürger von Bedoin, der sich bereits seit vielen Jahren mit Leib und Seele für die Realisierung eines solchen Vorhabens eingesetzt hatte, endlich seinen Willen: Seine Heimatgemeinde würde mit dem Gipfel des Mont Ventoux durch eine Straße über die Südflanke verbunden werden – siehe Observatorium in: Der Berg, S. 32. Die Planungen sahen vor, dass anschließend auf dem Gipfel eine meteorologische Messstation errichtet werden würde.
Ende der 1870er Jahre machten sich die Herren Bouvier und Morard, ihres Zeichens Ingenieure von Ponts et Chausées, der französischen Straßen- und Wasserbaubehörde, ans Werk. Leiter der Arbeiten war Gabriel Provane.
Beim Bau der heutigen D 974 folgten Bouvier und Morard bis zum Chalet Reynard der uralten Trasse durch die Combe de Roland, einem kurvenreichen Pfad, der an natürlichen Rastplätzen und Tränken für die Pferde vorbeiführte. Der Pavillon de Roland am Straßenrand und das Collet de Roland in der Nähe bewahren bis heute den historischen Namen – wer genau dieser Roland war, ist allerdings nicht bekannt. Nach drei Jahren harter Arbeit wurde die Straße im Jahr 1882 eingeweiht und am 16. Mai 1882 begann man mit dem Bau des Observatoriums.
Am 19. Oktober 1884, noch vor der Fertigstellung des Gebäudes, wurde François-Auguste Blanc der erste meteorologische Beobachter auf dem Gipfel des Ventoux; 1890 folgte ihm Paul Provane. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs war die Station ständig besetzt und so war der Mont Ventoux, bis dahin ausschließlich das Reich der Hirten und Jäger, bereit für das neue Zeitalter.
Man sollte sich allerdings nicht allzu futuristische Vorstellungen von der neuen, noch ungepflasterten Verbindung machen: Die Reise von Bedoin nach oben, natürlich mit Pferd und Wagen, dauerte immer noch etwa sechs Stunden. Erst zwischen 1930 und 1934 wurde die Trasse in Teilen asphaltiert, so gut dies die Erlöse zuließen, die Sammelaktionen unter der lokalen Bevölkerung einbrachten. Zumindest ein Mann war nicht sehr begeistert von der neuen Straße. Für seine Forschungen über die Flora und Fauna des Ventoux hatte der berühmte Wissenschaftler Jean-Henri Fabre (1823–1915) den Berg mehr als 50-mal bestiegen – zu Fuß wohlgemerkt. Und nun all die Pferde und Maultiere! »On a fienté sur le Ventoux!«, lautete seine wütende Reaktion: »Sie haben den ganzen Ventoux vollgeschissen.«
Die neue Ära gewann an Dynamik, als kurz nach der Jahrhundertwende das Automobil auf der Bildfläche erschien: Die ersten Autos der Marke De Dion-Bouton benötigten 1900 nur zweieinhalb Stunden für die Strecke zum Gipfel.
1901 konnte das erste »Bicyclette« auf dem Gipfel bewundert werden und 1903 kam Marthe Hesse als erste Frau nach oben; sie war in Bedoin aufgebrochen. In einem langen Rock und mit einem hübschen Hut auf dem Kopf, so wie es sich damals für eine Dame geziemte, radelte sie die Rampen hinauf. Erst 1929 kam dann die erste Frau mit dem Rad oben an, die in Malaucène losgefahren war – siehe Vendran in: Der Berg, S.