Lese-Paket 1 für den Strand: Romane und Erzählungen zur Unterhaltung: 1000 Seiten Liebe, Schicksal, Humor, Spannung. Sandy Palmer
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„Ja, für Touristen.“ Sie erwiderte sein Lächeln. „Aber für die Menschen, die hier leben und arbeiten müssen, ist es oft recht hart. Denk nur dran, dass das Wetter nicht immer so schön ist wie im Moment. Bei Sturm und Regen hat die Insel nicht allzu viel Reizvolles zu bieten.“
Einen Einblick auf das Leben gewann er beim Rundgang über Neuwerk. Er erfuhr, dass die Hallig zu der Stadt Hamburg und nicht zu Cuxhaven gehörte, etwas höchst Außergewöhnliches, das in der wechselvollen Geschichte der Insel begründet lag.
„Komm, jetzt klettern wir auf den Leuchtturm“, meinte Andrea, nachdem sie sich mit einem Kaffee im kleinen Inselcafé gestärkt hatten.
Vom Leuchtturm aus, der einen weiten Rundblick erlaubte, spazierten sie über den hohen Deich und setzten sich, als sie ausruhen wollten, in die Dünen und schauten aufs Meer, das heute ruhig und friedlich dalag. Es war nicht leicht, sich vorzustellen, dass es in Sturmnächten toben und die hohe Brandung die Deichanlagen gefährden konnten.
„Und jetzt musst du noch den Friedhof der Namenlosen sehen.“ Andrea zog ihn mit zu einem kleinen, versteckt liegenden Friedhof. Kaum ein Dutzend Kreuze stand hier, im Halbkreis angeordnet. Drei Teakholzbänke boten dem andächtigen Besucher Platz, und wie selbstverständlich ließen sich Andrea und Julian nieder.
„Wer mag hier beerdigt sein?“, fragte der junge Arzt nachdenklich.
„Seeleute. Bis auf einen sind sie unbekannt. Die Flut hat sie angespült, teilweise schon vor mehr als hundert Jahren. Es gibt viele Geschichten über die Hallig und ihre Seefahrer.“
Julian legte seine Hand auf die des Mädchens. „Du liebst die Landschaft hier, nicht wahr?“
„Über alles. Ich glaube nicht, dass ich irgendwo anderes existieren könnte.“ Kurz sah sie ihn an. „Und du? Wo fühlst du dich daheim?“
Er zuckte mit den Schultern. „Im Grunde genommen nirgendwo so richtig. Ich bin in Köln zur Uni gegangen. Geboren bin ich in Fulda. Dann zogen meine Eltern nach Hannover, weil mein Vater dort einen guten Job bekam. Später ging es ins Ruhrgebiet, genau gesagt nach Duisburg. Von dort aus bin ich zum Studieren nach Köln gegangen und für eine Jahre dann da hängen geblieben.“
„Und was machst du da?“ Zum ersten Mal sprachen sie über ihre Berufe, das war bisher kein Thema zwischen ihnen gewesen.
„Ich bin Arzt.“
„Nein!“ Fassungslos sah sie ihn an. Dann glitt ein Strahlen über ihr Gesicht. „Das wird Großvater gefallen“, meinte sie.
„Inwiefern? Mag er Ärzte?“
„Er ist Mediziner. Genau gesagt war er lange Kurarzt hier. Aber er praktiziert schon seit Jahren nicht mehr.“
„Und dein Vater? Was macht der?“ Forschend sah er ihr ins Gesicht. „Du erzählst nie von deinen Eltern.“ Er drehte sie so zu sich, dass sie ihm in die Augen sehen musste. „Andrea, du hast’s doch bestimmt gemerkt... Ich hab dich sehr gern. Und ich will alles von dir wissen, will dich unbedingt näher kennenlernen.“
„Du hast mich gern? Mich?“
Er lachte. „Was ist daran so sonderbar? Du bist bildhübsch, liebenswert, und du hast die schönsten Augen, in die ich je geschaut habe.“
„Sprich nur weiter. Das hört sich wie eingeübt an.“
„Ist es aber nicht.“ Er lachte glücklich, und dann sagte er einfach gar nichts mehr, sondern küsste sie lang und anhaltend.
Dieses Argument war wesentlich besser als tausend Worte.
Sie blieben noch eine halbe Stunde auf dem kleinen Friedhof, der wie eine Insel wirkte. Niemand verirrte sich von den anderen Touristen, die mit dem Pferdefuhrwerk hergekommen waren, an diesen Platz. Andrea und Julian konnten ihr junges Glück ungestört genießen. Immer wieder sahen sie sich in die Augen, bevor sie sich erneut küssten.
„Wir müssen zurück, ehe die Flut kommt!“ Andrea sah erschrocken auf die Uhr. „Los, beeil dich, sonst müssen wir hier noch übernachten.“
„Der Gedanke hat was...“ Er lachte und wollte sie wieder küssen, doch sie riss sich energisch los.
„Komm endlich! Die anderen warten bestimmt schon auf uns!“
Julian folgte ihr schnell. Er wusste auch, dass die aufkommende Flut gefährlich war. Das Wasser, das sich über weite Strecken zurückgezogen hatte, kam rasch zurück zum Ufer, und es war schon oft passiert, dass Wattwanderer von den Wassermassen überrascht worden waren und in Not gerieten.
*
SIE WAREN TATSÄCHLICH die beiden letzten Passagiere, die auf die wartenden Pferdefuhrwerke aufsprangen. Kaum hatten sie in den offenen Kutschen Platz genommen, ging es auch schon los.
Als sie die Hälfte der Strecke hinter sich gelassen hatten, wurde Julian klar, warum Andrea so gedrängt hatte: Das Wasser stieg so rasch, dass man fast zusehen konnte, wie sich die Priele füllten, wie der Meeresboden mit Wasser bedeckt wurde - mit Wasser, das immer weiter, immer schneller anstieg und das unter den Pferdehufen aufspritzte.
Die drei Kutscher kannten den Weg zurück an Land genau, er wurde jedes Jahr wieder mit Pricken, fünf bis sieben Meter hohen Birkenstämmchen und Zweigen, markiert, denn das Watt veränderte sich, und somit auch der Fahrweg für die Pferdfuhrwerke.
Es war ein herrlicher Ausflug gewesen, und Andrea, die ihren freien Tag hatte, fragte: „Was unternehmen wir am Abend?“
„Disko oder Strandbar? Ich füge mich ganz deinen Wünschen.“ Er hauchte ihr verliebt einen Luftkuss zu.
„Strandbar, wenn du mich fragst. Oder hast du vielleicht Lust, meinen Großvater kennenzulernen?“
Noch bevor Julian antworten konnte, kam ein junger Page vom Hotel Strandmöwe aufgeregt auf ihr Fuhrwerk zugelaufen, das gerade die Asphaltstraße erreicht hatte.
„Schnell, Andrea! Der Chef!“ Der Junge war außer Atem, und Panik stand in seinen Augen zu lesen.
„Um Himmels willen, was ist passiert?“ Mit einem Satz war Andrea vom Wagen gesprungen.
„Das Herz wieder... Du sollst dich beeilen, sagt der alte Doktor.“
Andrea nickte nur und lief los. Julian folgte ihr mit langen Schritten.
Aber Andrea ging nicht ins Hotel, sondern betrat den Seiteneingang, der zu einem kleinen, nur durch eine Glasveranda vom Hotel getrennten Bungalow führte.
Der Kranke lag auf einem hellen Leinensofa, blass, aber ansprechbar. Er versuchte Andrea beruhigend zuzulächelnd, doch das misslang kläglich. Die Angst, der Schmerz, sie waren stärker als alles andere.
„Es ist wieder ein Infarkt, er muss sofort in die Klinik. Ich kann hier überhaupt nichts mehr für ihn tun“, erklärte der alte Mann mit fast weißem Bart, der neben dem Sofa stand und ein Handy hoch hielt.