Gesammelte Erzählungen und Gedichte. Joachim Ringelnatz

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Gesammelte Erzählungen und Gedichte - Joachim  Ringelnatz

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sich auf die Wiegescheibe

      Und sah – nach unten schielend – verwundert:

      Die Waage zeigte über Hundert.

      Ein Nagel saß in einem Stück Holz

      Ein Nagel saß in einem Stück Holz.

      Der war auf seine Gattin sehr stolz.

      Die trug eine goldene Haube

      Und war eine Messingschraube.

      Sie war etwas locker und etwas verschraubt,

      Sowohl in der Liebe, als auch überhaupt.

      Sie liebte ein Häkchen und traf sich mit ihm

      In einem Astloch. Sie wurden intim.

      Kurz, eines Tages entfernten sie sich

      Und ließen den armen Nagel im Stich.

      Der arme Nagel bog sich vor Schmerz.

      Noch niemals hatte sein eisernes Herz

      So bittere Leiden gekostet.

      Bald war er beinah verrostet.

      Da aber kehrte sein früheres Glück,

      Die alte Schraube, wieder zurück.

      Sie glänzte übers ganze Gesicht.

      Ja, alte Liebe, die rostet nicht!

      Die Schnupftabaksdose

      Es war eine Schnupftabaksdose

      Die hatte Friedrich der Große

      Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.

      Und darauf war sie natürlich stolz.

      Da kam ein Holzwurm gekrochen.

      Der hatte Nußbaum gerochen

      Die Dose erzählte ihm lang und breit.

      Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.

      Sie nannte den alten Fritz generös.

      Da aber wurde der Holzwurm nervös

      Und sagte, indem er zu bohren begann

„Was geht mich Friedrich der Große an!”

      Ein männlicher Briefmark erlebte

      Ein männlicher Briefmark erlebte

      Was Schönes, bevor er klebte.

      Er war von einer Prinzessin beleckt.

      Da war die Liebe in ihm erweckt.

      Er wollte sie wiederküssen,

      Da hat er verreisen müssen.

      So liebte er sie vergebens.

      Das ist die Tragik des Lebens!

      Heimatlose

      Ich bin fast

      Gestorben vor Schreck:

      In dem Haus, wo ich zu Gast

      War, im Versteck,

      Bewegte sich,

      Regte sich

      Plötzlich hinter einem Brett

      In einem Kasten neben dem Klosett,

      Ohne Beinchen,

      Stumm, fremd und nett

      Ein Meerschweinchen.

      Sah mich bange an,

      Sah mich lange an,

      Sann wohl hin und sann her,

      Wagte sich

      Dann heran

      Und fragte mich:

      „Wo ist das Meer?”

      Lampe und Spiegel

      „Sie faule, verbummelte Schlampe!”

      sagte der Spiegel zur Lampe.

      „Sie altes, schmieriges Scherbenstück!”

      gab die Lampe dem Spiegel zurück.

      Der Spiegel in seiner Erbitterung

      bekam einen ganz gewaltigen Sprung.

      Der zornigen Lampe verging die Puste:

      Sie fauchte, rauchte, schwelte und ruste.

      Das Stubenmädchen ließ beide in Ruhe

      und doch – man schob ihr die Schuld in die Schuhe.

      Schenken

      Schenke groß oder klein,

      Aber immer gediegen.

      Wenn die Bedachten

      Die Gaben wiegen,

      Sei dein Gewissen rein.

      Schenke herzlich und frei.

      Schenke dabei

      Was in dir wohnt

      An Meinung, Geschmack und Humor,

      sodaß die eigene Freude zuvor

      Dich reichlich belohnt.

      Schenke mit Geist ohne List.

      Sei eingedenk,

      Daß dein Geschenk

Du selber bist.

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