Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus. Jürgen Dittberner
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Im Innern dieses Hauses der Gedenkstätte wurde man wie in einem Schneckengang durch eine Geschichtsröhre geführt: Aus der Weimarer Zeit ging man von Station zu Station, passierte das zerstörte „Städtl“ und endete schließlich in der Gaskammer. Den Szenen ausweichen konnte man nicht. Da vor und hinter dem jeweiligen Bild kein Licht war, konnte und musste man erst dann weiter gehen, wenn der aus Lautsprechern kommende Text geendet hatte, das Licht erlosch und die nächste Station erleuchtet wurde.
Das Museum vermittelte eine zweifache Moral: Einmal wurde in der geschilderten Weise der Holocaust dargestellt. Zum andern war diesem Hauptteil des Museums eine „Ouvertüre“ vorangestellt, die sich direkt auf die USA bezog. Das Motto lautete: „One Nation, Many Peoples”. Die europäische, asiatische, afrikanische, jüdische und indianische Abstammung der Amerikaner wurde gezeigt und mit der Frage versehen: „Are we real or stereotypes?” In Comics wurde der kurze Weg von rassistischen Sprüchen zu Krawallen mit tödlichem Ausgang dargestellt. Es war ein spezifisches Thema von „Los Angeles“, das unter dem Trauma damals jüngster Krawalle litt.
Der auf die Gegenwart bezogene Teil der Ausstellung wirkte auf den Besucher originell und aufklärerisch. Wo es sich hauptsächlich mit dem Nationalsozialismus beschäftigte, erschien das Dargestellte weit weg – zeitlich und räumlich. Auch umlagerte das Museum ein Hauch von Provinz und Sektierertum: Hier spürte der Besucher nicht die vom Hauptstadtboden ausgehende Relevanz des Gezeigten und bemerkte die Relativität des Projektes, die sich aus der Tatsache ergab, dass Private die Träger der Einrichtung waren.
Doch das war die Perspektive der Besucher aus Deutschland, welche die Wirkung auf die Region schwer beurteilen konnten.
Auf die Frage, ob die Holocaust-Museen in den USA ein Modell für Deutschland seien, antwortete Ignatz Bubis: „Ähnliches ja, Gleiches nein.” Und: „Hier war der Galgen, wo die Menschen gehängt wurden, und hier waren die Pritschen, wo die Menschen geschlafen haben, und hier war die Küche, wo sie mit einer Wassersuppe verpflegt wurden, und hier waren die Massengräber.” Ignatz Bubis plädierte dafür, in Deutschland keine Museen nach amerikanischem Vorbild zu errichten, sondern „Dokumentationsstätten”, die gesellschaftliche und historische Zusammenhänge erläutern.4 Das war wohl wahr. Doch das Beispiel USA zeigte auch, wie sehr eine Gedenkstätte in einer Hauptstadt zu einer emotional beeindruckenden Institution werden und eigene Authentizität erzeugen konnte.
So sahen es die Besucher aus Deutschland. Mittlerweile hat die Globalisierung auch zu Hause eine Vielfalt geschaffen, die die Frage aufwirft, ob Reisen auch ein Blick in die Zukunft sein können. Ist das, was die Besucher seinerzeit in den USA sahen, später Realität auch in anderen Teilen der Welt geworden?
(1999)
3. Türkei: Der Imam ist fort
Nach Italienern, Spaniern und Griechen strömten Türken in die alte Bundesrepublik Deutschland. Das „Wirtschaftswunder“ zog immer mehr internationale Jobsucher an. Diese selbst und manche Deutsche sahen in ihnen „Gastarbeiter“, die nach Ablauf der Arbeit wieder in die Heimat zurückkehren würden. Doch als diese „Gastarbeiter“ ihre Nachkommen holten und sich hier ansiedelten, kamen vor allem deutsche Politiker auf die Idee, sie müssten beim Ansturm muselmanischer Türken die Sünden des Holocausts wieder gut machen: Eine Politik der „Assimilation“ galt in Deutschland als alternativlos und politisch korrekt.
Es kamen mehr und mehr. Die Türken in Deutschland wurden anfangs „Gastarbeiter“ genannt und siedelten sich gerne in heruntergekommenen Vierteln an. Nach dem „Nazi“-Desaster wollte die deutsche Politik diesmal alles richtig machen. Sie befand, die Türken müssten in die deutsche Gesellschaft „integriert“ werden. Ob und wie weit sie dazu ihre hergebrachte Kultur aufgeben sollten, war nicht klar.
Ein deutsches Landesparlament wollte voraus gehen und gründete einen „Ausländerausschuss“. Der Vorsitzende befand bald, dass der Ausschuss in das Herkunftsland der vielen „Gastarbeiter“, die Türkei, reisen sollte, um sich vorzustellen und die Kultur dieses Landes besser zu verstehen. Die Abgeordneten machten sich auf den Weg, besuchten „Ankara“, Anatolien und „Istanbul“.
In Kleinasien herrschten Militärs. Sie hatten den zivilen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit inhaftiert. Ecevit war Sozialist, und die sozialdemokratischen Mitglieder der Delegation besuchten ihn. Nichtmitglieder der SPD waren nicht zugelassen. Danach hockte die gesamte Delegation in einem Hotel in „Ankara“. Ein Abgeordneter, auch er Sozialdemokrat, verstand es auf wunderbare Weise, unentwegt Witze zu erzählen und die Kollegen zu unterhalten.
Draußen vor dem Hotel fuhren Panzer auf und umstellten das Gebäude. Das wirkte bedrohlich. Etwas erleichtert waren die Gäste aber, als sich herausstellte, dass die Drohgebärde nicht ihnen galt, sondern der deutschen „Grünen“-Politikerin Petra Kelly und ihrem General Gert Bastian, die ebenfalls in dem Hotel weilten.
Die Abgeordneten durften sich bei den Gesprächen mit türkischen Offiziellen anhören, dass die Türken in Deutschland schlecht behandelt würden. Eine mitgereiste „grüne“ Abgeordnete, die den türkischen Namen ihres Ehemannes trug (was die Gastgeber freute), stimmte der Kritik zu. Sie musste sich später intern Vorwürfe ihrer Kollegen von den anderen Parteien anhören. Dass ausgerechnet sie als „Linke“ den Vertretern der Militärdiktatur zustimmte, verstanden die anderen Abgeordneten nicht.
Als die deutschen Parlamentarier ein türkisches Verwaltungsgebäude besuchten, gingen sie einen langen Gang entlang, an dem alle Bürotüren geöffnet waren. In den Amtstuben standen Staatsdiener und verneigten sich vor den Gästen. Dann betraten sie das Büro des Bürgermeisters von Istanbul – auch er ein General. Er saß hinter einem überdimensionierten Schreibtisch auf einem Stuhl wie auf einem Thron. Zu Füßen dieses Generals und Schreibtisches hatten die Gäste ihre Sitzplätze. Die Gastarbeiter in Deutschland interessierten den General offensichtlich nicht. Er hatte anderes im Kopf: „Wir bauen eine U-Bahn in Istanbul. Ihr habt schon eine U-Bahn. Der Chef Eurer U-Bahn soll kommen und uns raten, wie wir das hier machen sollen. Sagen Sie ihm das!“ Per Befehl wollte der Militär am Bosporus eine U-Bahn bauen, ganz ohne Bürgerbeteiligung!
Die Finanzierung stellte er sich übrigens einfach vor: „Wenn die Leute geradeaus gucken, müssen sie Steuern zahlen. Wenn sie nach rechts oder links gucken, müssen sie Steuern zahlen. Und wenn sie sich umdrehen, müssen sie Steuern zahlen!“
In Anatolien besuchten die Gäste ein kleines Dorf. Sie waren gekommen, weil ihnen gesagt worden war, die meisten der Türken in Deutschland stammten aus dieser Gegend. Als die Deutschen vor Ort erschienen, teilte einer der Bewohner mit: „Der Imam ist fort. Er will nicht mit Ungläubigen zusammen sein.“
Dann umringten viele fröhliche Kinder die Gäste. Diese erkannten, wie groß das menschliche Reservoir hier war.
Die türkische Presse berichtete über die Reise und die Gespräche sehr ausführlich. Die Besucher konnten Fotos in den großen Zeitungen sehen, nur die Texte daneben, die konnten sie nicht lesen.
Zum Abschluss wurden die Gäste zu einem Schmaus am Bosporus eingeladen. Es gab Köstlichkeiten aus dem Meer. Dass die türkische Küche gut ist, stand damit fest. Der offizielle türkische Begleiter informierte darüber hinaus, dass Türken nicht nur den Kuppelbau, sondern auch das Flugzeug und die Demokratie erfunden hätten.
Das mit der Demokratie glaubten die Besucher aus Deutschland nicht ganz…
(1983)