Kurz und schmerzlos. Peter Gerdes
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»Ach. Das macht die Konkurrenzsituation ja besonders pikant. Wie kam es denn dazu?«
»Die Niederlandistik ist hierzulande ein überschaubares Fachgebiet«, sagte Stahnke. »Die Spezialisten treffen sich fast zwangsläufig andauernd, bei Kongressen, Fachtagungen und so weiter. Dazu kommt, dass auch Groenewold Segler ist; für einen Ostfriesen aus Leer, der Ems und Nordsee praktisch vor der Haustür hat, ein naheliegendes Hobby. So kamen sie ins Gespräch. Und weil beide zudem Junggesellen sind, fanden sich schnell Termine für gemeinsame Segeltouren.«
»Ach, höre ich da etwa Neid heraus? So schnell schon wieder Sehnsucht nach der Ungebundenheit? Tja, wenn das so ist …«
Stahnke beschränkte sich darauf, ihr die Zunge herauszustrecken, und fuhr fort: »Die Stelle in Essen war nicht die erste, bei der sie gegeneinander antraten. Sie konnten also mit der Situation umgehen. Klar, dass diesmal beide besonders scharf auf den Jackpot waren. Beide wegen des Karrieresprungs und des Geldes, Salewski zudem noch aus Heimatverbundenheit. Sowohl er als auch Groenewold gelten in Fachkreisen als hochkompetent und sind formal für die Stelle hinreichend qualifiziert. Beeindruckende Publikationslisten, Bücher und Artikel in erstrangigen Verlagen und Zeitschriften. Auch vor der Berufungskommission haben beide geglänzt, jeder auf seine Weise. Groenewold souverän und eloquent, Salewski faktensicher und detailversessen. Die Entscheidung fiel letztlich nur zwischen diesen beiden. Allerdings war sie eindeutig. Salewski sollte es sein.«
Bier und Cola kamen schneller als erwartet. Stahnke zahlte und gab, durstig wie er war, ein großzügiges Trinkgeld. Er prostete Sina zu.
»Salewski erhielt also den Ruf, wie es so schön heißt«, fuhr er dann fort. »Er sagte zu, unterschrieb auch den Vertrag, kündigte den Mietern seines Heisinger Hauses fristgerecht, begann damit, seinen Bielefelder Haushalt aufzulösen. Gleich zu Semesterbeginn sollte er seine Antrittsvorlesung in Essen halten, eine Traditionsveranstaltung, zu der neben etlichen Studenten auch Salewskis neue Kollegen erschienen. Der größte Hörsaal des Fachbereichs war proppevoll, und man wartete geduldig. Jedenfalls bis Viertel nach acht. Danach wartete man schon deutlich ungeduldiger. Und vergeblich. Professor Salewski erschien nicht. Zu seiner eigenen Show.«
»Und warum nicht? Wie hat er das denn begründet?«
»Gar nicht«, sagte Stahnke. »Es hat ihn nämlich niemand mehr zu Gesicht bekommen. Friedemann Salewski ist seither verschwunden.«
Sina hob die Augenbrauen. »Ach, daher weht der Wind! Groenewold ist wohl ein schlechter Verlierer. Gratuliert dem Sieger mit zusammengebissenen Zähnen, lädt ihn scheinheilig zum Cocktail auf seine Yacht ein, macht ihn besoffen und schlenzt ihn bei Tonne 13 über Bord. Weil er ja weiß, dass die Nummer zwei automatisch nachrückt, wenn die Nummer eins die Stelle nicht antritt. So in etwa?«
Stahnke schmunzelte. »Wenn du mich fragst, ja. Mit ein paar signifikanten Abweichungen allerdings. Die Einladung zur Feier kam nämlich von Salewski, die Tour fand auf dem Baldeneysee statt, und Groenewold brachte Rotwein mit. Das Ganze an einem sonnigen Sonntag. Ablegen, ein paar Schläge segeln, paar Gläschen zechen, Zwischenstation machen, ein feines Mahl im Restaurant Hügoloss, wieder Rotwein und zwei Ouzo pro Nase, anschließend unter Motor zurück zum Hafen des Essener Yachtclubs, wo Salewski Dauerlieger ist. Letzteres eindeutig eine Straftat, von wegen Alkohol am Ruder. Das war’s dann aber auch schon an Eindeutigkeit. Keine signifikante Spuren, weder in Salewskis Haus noch in dem von Groenewold in Leer, auch nicht auf der Yacht. Keinerlei bezeugte Beobachtungen eines möglichen Tathergangs. Keine Waffen oder waffenähnlichen Gegenstände. Kein Blut. Und vor allem gibt es keine Leiche.«
»Und das, was du mir eben erzählt hast …«
»… entstammt der Aussage von Professor Groenewold, genau. Er war sehr kooperativ, und soweit sich seine Angaben überprüfen lassen, stimmen sie genau. Der Wirt vom Hügoloss zum Beispiel, ein gewisser Christos Kokkinidis, erinnerte sich genau. Und der Hafenmeister vom Yachtclub hat die beiden auslaufen sehen. Einlaufen allerdings nicht, es gab da irgendwelche Bauarbeiten, um die er sich kümmern musste, viel Dreck und Lärm, das hat ihn ganz in Anspruch genommen. Schade.«
Das Dröhnen der Schiffmaschine, das die Heisingen bisher in beruhigend gleichmäßige Vibrationen versetzt hatte, änderte seinen Rhythmus, wurde langsamer und tiefer. Das weiße Fahrgastschiff näherte sich wieder einmal einem seiner Anleger, die rund um den langgestreckten, halbmondförmigen Baldeneysee, der nichts anderes war als eine aufgestaute Mäanderschleife der Ruhr, angeordnet waren. Leinen wurden bereit gemacht, um routiniert über abgewetzte Poller geworfen zu werden, die Maschine brüllte noch einmal auf und ließ das ganze Schiff erzittern, um es mit rückwärts laufender Schraube zum Halten zu bringen. Bergehölzer knarrten, Tampen ächzten, dann lag die Heisingen fest am Steg.
»Komm«, sagte Stahnke und stürzte seinen Rest Bier hinunter. »Hier müssen wir raus.«
»Wie, hier in Scheppen? Aber Heisingen liegt doch auf der anderen Seite des Sees.«
»Stimmt. Aber der Essener Yachtclub hat seinen Hafen gleich hier.«
Seite an Seite spazierten sie unter der heißen Mittagssonne. Stahnke schlenderte so langsam, dass Sina ihren leichteren Schritt kaum anpassen konnte. Offenbar hatten sie noch Zeit. Was wiederum hieß, es gab einen Termin.
»Was ist dieser Salewski eigentlich für ein Typ?«, fragte Sina. »Oder soll ich sagen: war?«
»Ich kenne ihn nur von Fotos«, antwortete Stahnke. »Klein, hager, unscheinbar. Vorstehende Zähne, fliehendes Kinn. Keine imposante Erscheinung wie Groenewold. Als Sprachwissenschaftler aber wohl eine echte Kapazität.«
»Wundert mich nicht«, sagte Sina. »So, wie du ihn beschreibst, hatte er bestimmt wenig Ablenkung. Jede Menge Zeit, sich auch durch das härteste linguistische Problem durchzunagen.« Sie kicherte.
»Chauvi, weiblicher.«
Der Yachthafen des EYC lag in einer großen Bucht des Baldeneysees, die sich der Club mit den Fahrgastschiffen der »Weißen Flotte« teilte. Zwei molenartige Landzungen umschlossen das Becken wie mit schützenden Armen. Zahlreiche Jollen, aber auch Kielboote und seetüchtig wirkende Yachten dümpelten an den Stegen. Große Lücken im Mastenwald bezeugten, dass viele Yachteigner das herrliche Wetter nutzten, um ein paar Schläge zu segeln.
Stahnke ignorierte das einladende Yachthafenrestaurant und marschierte am Ufer entlang, jetzt schneller und zielstrebiger als zuvor. Dort, wo der Uferbereich betoniert war, wartete ein Kranwagen mit laufendem Motor, alle Stützen ausgefahren, am Ausleger eine viereckige Traverse, an der zwei lange Schlaufen aus ummantelten Stahlseilen hingen. Der Kranmotor brüllte auf, die Traverse senkte sich, die gepolsterten Schlaufen tauchten ins Wasser. Zwei Uniformierte machten sich daran, eine etwa zehn Meter lange, etwas altmodisch wirkende Segelyacht mit liegendem Mast in die Schlaufen zu bugsieren.
Neben dem Kranwagen stand eine Gruppe von Männern, die das Manöver beobachteten. Eine vierschrötige, Autorität ausstrahlende Gestalt schien die Aktion zu leiten. Der ältere Mann im schmuddeligen Overall, die Hände tief in den Taschen und die Mundwinkel fast ebenso tief herabgezogen, schien der Hafenmeister zu sein. Und der alerte, kerzengerade Gentleman im hellen Anzug mit bunter Fliege war eindeutig Professor Groenewold.
Stahnke lotste Sina auf die Gruppe zu, was sich als ziemlich schwierig erwies, da der Betonboden an mehreren Stellen aufgerissen war. Brocken in allen Größen lagen herum, ebenso allerhand Werkzeuge, sogar ein Zementmischer und ein Presslufthammer samt Kompressor. Kiesaufschüttungen zeigten an, wo der Kranwagen die Baustelle durchquert haben musste. Bei den Bauarbeiten, die der Hafenmeister schon vor Wochen erwähnt hatte, schienen sich Komplikationen ergeben zu haben. Kein Wunder, dass der Mann so missmutig