Kurz und schmerzlos. Peter Gerdes
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Er wandte sich wieder den beiden Geistlichen zu. »Bitte entschuldigen Sie mein kleines Ablenkungsmanöver«, sagte er lächelnd. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt.«
Wieder blickten ihn die beiden Kirchenmänner mit runden Augen an. Diesmal aber nicht entsetzt, sondern bewundernd.
Kirche, dachte er. Dabei fällt mir etwas ein. Richtig, die Heilige Elisabeth von Ungarn. Die wollte den Armen etwas zu essen bringen, obwohl ihr hartherziger Ehemann es ihr streng und bei Strafe verboten hatte. Prompt überraschte er sie eines Tages, als sie mit einer Schürze voller Brot das Haus verließ. »Was hast du da in der Schürze?«, fragte er. »Rosen«, log sie. »Dann zeig mir die Rosen«, sagte ihr Mann. Sie öffnete die Schürze – es waren Rosen darin.
Na, Rosen würde er nicht bekommen. Aber eine Täterin und ein befreites Kind statt einer saftigen Blamage, das war ja weiß Gott besser als Blumen.
Wie ein Heiliger fühlte er sich trotzdem nicht.
Ostfriesischer Volkssport
»Siehst du«, sagte Stahnke in belehrendem Ton, »das ist der wahre ostfriesische Volkssport! Schultern vor, Knie beugt, das Sportgerät fest im Griff, Ziel anvisieren, und dann immer kräftig. Vor allem schön im Rhythmus. Was ist dagegen schon Boßeln!«
»Aaah ja.« Kramer verzog keine Miene. »Und wie nennt sich dieser, äh, Volkssport?«
»Na wie wohl.« Stahnke zuckte die Schultern. »Pflastern natürlich.«
Kramer nickte, was aber vor allem am Zustand der Straße lag, über den ihr betagter Dienstwagen schaukelte. Der Logaer Weg glich einer Berg-und-Tal-Bahn, bestens geeignet als Teststrecke für Offroad-Fahrzeuge und deren Bereifung, schon wegen seiner Patchwork-Oberfläche. Da war wirklich alles dabei, sogar Kopfsteinpflaster.
Hauptkommissar Stahnke bedachte seinen Kollegen mit einem verkniffenen Seitenblick. Hin und wieder könnte er wirklich über einen meiner Witze lachen, dachte er, schließlich bin ich sein Vorgesetzter. Oder er könnte wenigstens so tun. Aber nein, nichts da. Guckt teilnahmslos aus der Wäsche wie ein Stein. Wie ein Pflasterstein, ha!
Stahnke gluckste. Kramer schüttelte den Kopf. Lag wohl immer noch an der schlechten Straße.
Auf den Grundstücken linker Hand wurde eifrig gepflastert. Runde Rücken in kariertem Flanell krümmten sich unter heißer Sommersonne, kräftige Arme holten rhythmisch aus, dumpfe Schläge gummiarmierter Hämmer hallten von Häuserwänden und den Bäumen des gegenüberliegenden Parks wider. Jede zweite oder dritte Auffahrt schien fällig zu sein. Wahrlich, dachte Stahnke, wenn Pflastern der wahre ostfriesische Volkssport ist, dann ist das hier das Trainingslager.
»Bist du sicher, dass er zu Hause ist?«, fragte Kramer. »Ans Telefon gegangen ist er ja nicht.«
»Ich bin sicher«, erwiderte Stahnke. »Hab’ mich bei den Nachbarn erkundigt. Er ist da, auf seinem Grundstück.«
»Und was treibt er da?«
»Rate mal.«
Das Haus von Ortwin Globisch lag im Nordosten von Leer, fast auf der Grenze zwischen Heisfelde und Loga, da, wo die Wohnbebauung sachte ins Landwirtschaftliche überging. Die Grundstücke waren groß dort, sehr groß. Manchem, der kein leidenschaftlicher Gärtner war, waren sie allzu groß. So hatte man im Laufe der Jahre viele Parzellen aufgeteilt, hatte Häuser in zweiter Reihe gebaut. Platz war ja reichlich vorhanden, und alle waren zufrieden.
Fast alle. Ortwin Globisch gehörte nicht dazu.
Stahnke lenkte den Dienstwagen durch beschauliche Nebenstraßen. Das Schaukeln hatte aufgehört und damit auch Kramers Kopfbewegungen. »Warum müssen wir das eigentlich machen?«, fragte der Oberkommissar. »Die Frau ist doch nur als vermisst gemeldet.«
Stahnke schwieg. Unter den verschiedenen Fachkommissariaten half man sich gegenseitig aus, das wusste Kramer ebenso gut wie er. Außerdem hatte er so ein Gefühl. Mehr als das. Aber er behielt es lieber für sich.
Da war die richtige Straße. Stahnke spähte nach den Hausnummern. Viele waren überwuchert, ausgeblichen, abgeblättert oder schlicht nicht vorhanden. Dies hier war eben kein Neubauviertel. Jedenfalls nicht in der ersten Reihe. Aha, dort war die 23. Jetzt einfach abzählen: 25, 27, 29. Der Hauptkommissar stoppte den Wagen am Bordstein. »Wir sind da.«
»Hausnummer 29 a«, sagte Kramer. »Also zweite Reihe, oder?«
»In der Tat.« Stahnke nickte bedeutungsvoll. Kramer runzelte die Stirn.
Die Auffahrt von Nummer 29 war schmal, und die Backsteine, mit denen sie befestigt war, wiesen tiefen Spurrinnen und breite Ritzen auf, aus denen das Unkraut hervorquoll. Müsste auch mal in Ordnung gebracht werden, dachte Stahnke im Vorübergehen. Am besten gleich neu gepflastert. Ha!
Ein älterer Mann werkelte im Garten, schob eine Karre mit Grünabfällen nach hinten und beäugte die Besucher kritisch, ohne sie anzusprechen. An der hinteren Grundstücksgrenze war die Auffahrt mit Flechtzaunelementen versperrt; nur ein schmaler Durchlass bestand noch, durch den man einen Blick auf das Haus Nummer 29 a erhaschen konnte, das deutlich jüngeren Datums war als das vorne gelegene.
»Was ist das denn für ein Blödsinn?«, fragte Kramer. »Die Bewohner des Hintergrundstücks benötigen doch diese Durchfahrt! Wie sollen die denn jetzt mit dem Auto zu ihrem Haus kommen?«
»Da sagst du was Wahres.« Stahnke schmunzelte. »Aber mit Vernunft hat das hier auch wenig zu tun. Eher mit einem weiteren ostfriesischen Volkssport.«
»Und welcher soll das nun wieder sein? Nachbarn ärgern?«
»Genau«, sagte Stahnke. »Ärgern und verklagen.«
Die beiden Kriminalbeamten zwängten sich durch die Zaunlücke. Rhythmische, dumpfe Schläge tönten ihnen entgegen. Ortwin Globisch war tatsächlich zu Hause. Er kniete auf seiner Auffahrt, den Rücken krumm, den armierten Hammer fest umfasst, den nächsten Betonstein in seinem planierten Sandbett fest im Blick. Tuck, tuck, tuck. Und ein Griff nach links, neuer Stein, knirschend eingepasst. Tuck, tuck, tuck. Globisch arbeitete konzentriert und flott. Allerdings tat er dies an seiner rückwärtigen Grundstücksgrenze, dort, wo bis vor Kurzem offensichtlich noch ein Blumenbeet gewesen war.
»Warum tun die Leute das?«, fragte Kramer.
»Was? Nachbarn ärgern und verklagen?«
»Quatsch, nee. Pflastern!«
»Tja«, erwiderte Stahnke nachdenklich, »da gibt es eine Menge praktischer Gründe. Der viele Regen, der den Boden aufweicht, der ganze Schmutz, klar. Aber mit festen, sauberen Wegen allein ist es natürlich nicht getan. Der echte Ostfriese hört dann noch lange nicht auf zu pflastern, im Gegenteil, dann fängt er erst richtig an. Autostellplatz, noch einer für den Zweitwagen und einer für Gäste, dann die Terrassen, eine pro Himmelsrichtung außer nach Norden, außerdem Grillplatz, Kaminholzplatz, feste Gründung für den Werkzeugschuppen, den Geräteschuppen, den Fahrradschuppen. Und natürlich die Wege dazwischen, man will ja überall hinkommen können, ohne unversiegelten Erdboden zu betreten, wie die kleinen Kinder bei Himmel und Hölle. Das hat schon was von