Great again?. Julia Kastein
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Viele der Teilnehmer am Autokorso empfinden so. Und viele wissen derzeit nicht, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen. »Wir sind alle essenziell! Wir müssen uns gegenseitig vertrauen! Unsere Leben, unsere Entscheidung!«, steht auf einem Banner. So sieht es auch ein älterer Herr, 65 Jahre alt, der uns seinen Namen nicht nennen will. »Wenn Sie ein gesunder Amerikaner sind«, sagt er, »dann gibt es keinen Grund, weshalb Sie nicht so leben sollten, wie es in diesem Land vorgesehen ist!« Freiheit, Eigenverantwortung, Unabhängigkeit, Selbstständigkeit: Amerika verkümmert, wenn man ihm sein Fundament nimmt. Und ganz pragmatisch: Maryland ist nicht New York. Hier gäbe es nicht annähernd so viele Fälle. Natürlich müsse man die Gefährdeten schützen: »Meine Mutter lebt in einem Pflegeheim. Die besuchen wir im Moment nicht. Sie ist 95 und hat kein besonders gutes Immunsystem.« Ansonsten werde sich die Pandemie genau wie jede Grippe irgendwann von selbst erledigen. »Die Politik hat das maßlos aufgeblasen«, schimpft er, »das ruiniert unser Land! Das ist eine Form von Sozialismus!«
»Facts not Fear!« – ist auf einem der rund 200 Fahrzeuge, die an dem Autokorso teilnehmen, zu lesen. Wir blicken der davonrollenden Blechlawine hinterher und unterhalten uns darüber, dass es eigentlich überraschend ist, wie lange sich die Amerikaner während der Corona-Krise geduldig in ihr Schicksal gefügt haben. Und dass insgesamt doch so wenige auf die Straße gegangen sind, weit weniger als in Deutschland. Staatliche Anordnungen als Gängelei und Schikane zu empfinden, das ist ein natürlicher Reflex in einer Gesellschaft, in der Eigenverantwortung Staatsraison ist. Und dass sich Menschen kritische Fragen stellen, denen das Wasser finanziell bis zum Hals steht, gehört zu jeder freien Gesellschaft. Und dass sich auch solche zwischen die Protestierenden mischen, die ihr Sonderanliegen dazumogeln wollen, ist wohl unvermeidbar. In Frederick stand ein Waffennarr neben uns. Er hatte eine Flagge über der Schulter, die ein gewaltiges Sturmgewehr zeigt. Darunter stand: »Come and take it!« – »Hol sie dir doch!« Das ist ein Standardspruch derjenigen, die sich erbittert gegen schärfere Waffengesetze wehren. Von denen wird in diesem Buch noch ausführlich die Rede sein. »Hol sie dir doch!« – das geht an die Adresse derjenigen, die auf die Idee kommen könnten, gesetzestreue Bürger zu entwaffnen. Das ist die Verbindung zu den Corona-Protesten: Überschreitet der Staat seine schmalen Befugnisse, dann setzt sich der freie Mensch zur Wehr!
Demonstrationen wie die von Frederick bekamen dann recht schnell sprachgewaltige Argumentationshilfe aus den rechten, Trump-nahen Medien. So titelte die Washington Times am 28. April: »Der Coronavirus-Hype ist der größte politische Schwindel aller Zeiten!« – »Political Hoax«, damit setzte das Trump-treue Blatt bewusst einen Lieblingsbegriff des Präsidenten ein. In dem Artikel heißt es: »In der Tat wird Covid-19 in die Geschichtsbücher eingehen als eine der weltgrößten, am meisten schamlos aufgeblasenen, überhypten, irrational aufgeblasenen und irreführenden fehlerhaften Antworten in einer Gesundheitsfrage in der amerikanischen Geschichte. Eine, die überwiegend aus den Mündern von Medizinern stammt, die keinerlei Ahnung davon haben, wie man eine Regierung oder ein Wirtschaftsunternehmen führt!« Am nächsten Tag, dem 29. April, war diese Schlagzeile zu lesen: »Covid-19 stellt sich heraus als von den Medien angerichteter Schwindel!« Wieder das Trump-Wort: Hoax! Und wieder das rechte Narrativ: Die Medien haben die Gefahr durch das Virus maßlos übertrieben. Und damit fahrlässig die amerikanische Wirtschaft in die Knie gezwungen. Corona sei nicht einmal so schlimm wie die Grippe in einem schlechten Jahr. Und: Die Einschaltquoten der Medien seien »in die Höhe geschnellt, weil sie allen Amerikanern eine Scheißangst eingejagt haben, so dass diese jetzt vierzig Tage das Haus nicht verlassen haben. Und wenn, dann höchstens, um Klopapier zu kaufen. Und selbst dann haben sie sich hinter Masken versteckt und konnten vor Angst nur noch auf Zehenspitzen gehen.« So polemisch ist von den Demonstranten, mit denen wir in Frederick gesprochen haben, keiner geworden.
Seltsamerweise kommt in keiner dieser Argumentationen vor, woher die verhassten Verhaltensmaßregeln kamen. Nämlich aus der Task-Force von Donald Trump. Von den Gesundheitsexperten, Epidemiologen und Virologen, die für den Präsidenten die Situation analysierten, Maßnahmen vorschlugen und Warnungen aussprachen. Und dass es Präsident Trump höchstpersönlich war, der diese Maßregeln in Kraft setzte. Es waren zwar nur »Guidelines«, Richtlinien, an denen sich die eigentlichen Entscheidungsträger, die Gouverneure, zu orientieren hatten. Doch niemand anderes als Trump schärfte sie den Amerikanern in jeder Folge seiner POTUS-Show ein. Dass bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen massenhaft »Trump/Pence«-Flaggen wehten, scheint auf den ersten Blick widersinnig. Heldenverehrung für Leute, gegen deren Politik man auf die Straße geht?
Da war es auch während der Krise wieder: das Trump-Paradoxon! Der Staatschef soll helfen beim Kampf gegen den Staat. Zum Heilsbringer wird, wer das Unheil zu verantworten hat. Kulturkampf paradox. Gewürzt mit einer ordentlichen Prise Verschwörungstheorie. Denn so lautet das rechte Narrativ: Eine gewaltige Verschwörung zur Umerziehung Amerikas konnte gerade noch rechtzeitig aufgedeckt werden. Zu den Mitverschwörern gehören Washingtoner Bürokraten, Linke, Progressive und deren Sprachrohr: die Medien. Trump kam dieser Konspiration auf die Schliche und führt seither den Widerstand dagegen an. Entsprechend versuchen seine Gegenspieler, ihn mit allen Mitteln zu vernichten: mit haltlosen Behauptungen wie angeblicher russischer Wahlmanipulation. Mit konstruierten Affären wie beim Impeachment. Und jetzt das Endspiel: mit der Zerstörung von Trumps größter Errungenschaft, dem beispiellosen Wirtschaftsboom. Das, so die Verschwörungstheorie, ist das eigentliche Ziel der maßlosen Angstkampagne.
Diese Mär verbreitete, wenig überraschend, auch der legendäre ultrarechte Radiotalkshow-Host Rush Limbaugh. Dem hatte Trump gerade erst die höchste staatliche Auszeichnung, die »Presidential Medal of Freedom«, ans Revers geheftet. »Das Virus ist nichts anderes als eine ganz normale Erkältung«, behauptete Limbaugh. Für ihn waren Lockdown und die »Stay-at-home«-Verordnungen nichts als ein weiterer Versuch, Präsident Trump zu Fall zu bringen. »Viele derjenigen, die die anhaltende Stilllegung der Wirtschaft befürworten, tun das nur, weil sie glauben, es könne Präsident Trump schaden.« Ins gleiche Horn blies Trish Regan, Moderatorin des Fox-News-Ablegers Fox Business. Sie sah im Coronavirus nur »einen weiteren Versuch, den Präsidenten des Amtes zu entheben, ihn zu dämonisieren und zu zerstören!« Eine Erhebung des »Pew Research Centers« ergab, dass 79 Prozent der Fox-News-Zuschauer der Meinung sind, dass die Medien die Bedrohung durch das Virus übertreiben. Wer so tickt, der sucht den Befreiungsschlag.
Besonders beängstigend war die Aktion, die schwer bewaffnete Demonstranten am 30. April, einen Tag vor dem Autokorso von Maryland, in Michigan durchzogen. Die Bewaffneten stürmten das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Lansing, in militärischem Camouflage-Outfit, mit Palästinensertüchern vorm Gesicht und Sturmgewehren im Anschlag. Sie bezogen Stellung vor dem Büro der demokratischen Gouverneurin Gretchen Whitmer. Sie ist neben ihrem Amtskollegen in Virginia, Ralph Northam, eines der wirkungsvollsten Feindbilder für die Rechte in den USA. Beiden wird vorgeworfen, sie hätten den Corona-Ausnahmezustand dazu missbraucht, in die Schutzmaßnahmen Einschränkungen einzuschmuggeln, die ideologisch motiviert waren und nichts mit dem Schutz vor Ansteckung zu tun hatten. In Virginia hatte Northam die Gun-Shops schließen lassen, da Waffenkäufe nicht systemrelevant seien. Von Northams Dauerfehde mit der Waffenlobby wird später in diesem Buch noch die Rede sein. Und in Michigan wurde Gretchen Whitmer angefeindet, weil sie den Verkauf von Saatgut, das die Farmer dringend benötigen, untersagt hatte.
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