Great again?. Julia Kastein
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Ich widerspreche Jay nicht. Aber die Fakten tun es. Laut »Centers for Disease Control« gab es in den USA im ersten Jahr der Schweinepest 12 000 Tote. An Covid-19 starben allein in den ersten drei Monaten über 100 000 Menschen. Und auch die Sterberate ist bei Covid-19 deutlich höher: 1,3 statt 0,001 Prozent.
Doch der wirtschaftliche Stillstand und die Lockdown-Regeln seien mindestens so gefährlich wie das Virus selbst, findet Jay: »Wenn man so lange ans Haus gefesselt ist und nichts mehr machen darf, dann ist dies das Todesurteil für Leute, die sowieso schon an Depressionen leiden.« Erst vor ein paar Tagen habe ihn eine Frau angerufen, deren Sohn sich deshalb das Leben genommen habe.
Jay fürchtet, dass das Corona-Virus dem Ort endgültig den Todesstoß versetzen könnte – ohne, dass überhaupt viele Menschen hier erkrankt sind: »Der Tourismus ist nach dem Ende der Kohle das Einzige, was die Gegend am Leben hält. Eines der letzten großen Sägewerke hat gerade dichtgemacht. Dadurch drohen auch die verbliebenen Druckereien einzugehen. Wenn die Jobs weg sind – wo sollen die Familien dann hin?«
Angst vor dem Virus. Und Angst vor den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Nicht nur in Thomas wird das von vielen als Gegensatz gesehen. Umfragen zeigen: Republikaner haben mehr Angst um die Wirtschaft. Und Demokraten mehr Angst um die Gesundheit.
John von der »Purple Fiddle« hat Angst vor beidem: dem Virus und was es für seine Zukunft bedeutet. Zu Beginn der Pandemie sei er völlig verzweifelt gewesen, erzählt er mir. Inzwischen ist sein Kampfgeist zurückgekehrt. Auf seiner Webseite bewirbt er immer noch Konzerte, von denen er nicht weiß, ob sie stattfinden können. Aber er ist sich sicher: »Wir werden überleben.«
III
Zerrissenes Land, oder:
Warum Nancy und Dick nur selten über Politik diskutieren
SEBASTIAN HESSE-KASTEIN
»Da sind sie: die widerlichen Fake-Fake-News-Journalisten!«, brüllt der Präsident der Vereinigten Staaten. Und zeigt mit dem Finger direkt auf mich.
Es ist kurz vor Weihnachten 2019, genauer gesagt der 17. Dezember. Es ist der Tag, an dem der Kongress in Washington das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump auf den Weg bringt. In demonstrativer Geringschätzung seiner Ankläger verbringt der Präsident den Abend lieber dort, wo man ihn feiert und wo man bedingungslos zu ihm steht: auf einer »Rally«, einer seiner berüchtigten Wahlkampfveranstaltungen. Dieses Mal in einer Kleinstadt im Bundesstaat Michigan, deren Name passender nicht sein könnte für diesen historischen Abend: Battle Creek. Trump redet sich in Rage, teilt aus, zieht alle Register seiner Reality-TV-geschulten Entertainer-Kunst. Die Menge johlt. Trump ist in seinem Element. Alles ist so, wie er es mag. Hier kann er genüsslich austeilen gegen die »Enemies of the people«; Feinde des Volkes, so nennt dieser Präsident die Medien. Die Lügenpresse, die ihm nicht ausreichend huldigt. Immer wieder im Verlauf seiner Ansprache hetzt Trump gegen die anwesenden Journalisten, die am hinteren Ende der Halle in einem abgesperrten Bereich hinter Metallzäunen eingepfercht sind. Jedes Mal, wenn Trump zur Medienschelte ausholt, drehen sich 5 000 Menschen um, blicken feindselig zum Medienpferch, schreien: »Buh!«, »Fuck off!«, und drohen mit dem Stinkefinger.
Es ist kalt auf den Straßen von Battle Creek, Michigan, bitter kalt. Es ist kurz vor Weihnachten und man sollte meinen, dass sich die Einwohner der 50 000-Einwohner-Stadt in einer Dezembernacht wie dieser zu Hause einmummeln. Doch 20 000 Menschen haben sich aus nah und fern auf den Weg gemacht zur »Kellogg Arena«, der größten Veranstaltungshalle weit und breit. Alles ist Kellogg in Battle Creek. Der Cornflakes-Hersteller ist der größte Arbeitgeber weit und breit. Und Kultursponsor. In der »Kellogg Arena« treten sonst Def Leppard, Fleetwood Mac oder Kiss auf. Und hier finden Basketball- und Eishockeyspiele statt. Die heutige Attraktion toppt alle anderen: »Ist ein Trump-Wahlkampfauftritt nicht der großartigste Ort, auf dem man auf Erden sein kann?«, fragt der Präsident die Teilnehmer von Battle Creek. Tausende Neugierige sind an diesem Dezemberabend gekommen, um die Trump-Show zu sehen. Die Allermeisten sind trotz stundenlangen Anstehens nicht in die Halle gekommen. Erstaunlich viele bleiben trotz der Eiseskälte. Der Auftritt wird vor den Arena-Toren auf Großbildleinwände übertragen.
Obwohl ich zu den »very, very dishonest people« (Trump über Berichterstatter, die kein Dauerloblied auf ihn singen) gehöre, genieße ich das Privileg eines separaten Presseeingangs, was mir das Bibbern in der Adventsnacht erspart. In der Halle, kurz bevor Trump unter tosendem Beifall den Saal betritt, stehle ich mich aus dem Pressepferch hinaus und mische mich unter die Teilnehmer. Tippelschritt für Tippelschritt arbeite ich mich vor in Richtung Rednerpult. Um mir die volle Dröhnung der Trump-Performance abzuholen. Um mich zwischen die Hardcore-Fans zu mogeln, die es zu Füßen ihres Idols geschafft haben. Mit ihnen, die den New Yorker Immobilienhai ins Weiße Haus gebracht haben, möchte ich ins Gespräch kommen.
Doch kaum habe ich mein Mikrofon gezückt, da taucht wie aus dem Nichts ein Secret-Service-Mann auf. »Sir, Sie müssen hier weg«, sagt er, »Sie dürfen den Pressebereich nicht verlassen!« Ich protestiere, halte dem Mann entgegen, dass ich nur hier, wo die Fans sind, meinen Job machen kann. Doch er bleibt unerbittlich. »Sir, es ist zu Ihrem eigenen Wohl!« Zunächst bin ich sauer. Was fällt ihm ein, mich bei der Recherche zu behindern? Es reizt mich, ihm einen Vortrag über Pressefreiheit und Demokratie zu halten. Doch das verkneife ich mir dann. Kurze Zeit später ereilt mich dann der Gedanke, dass der Sicherheitsmann vielleicht recht haben könnte. Dann nämlich, als der Präsident seinem Wutausbruch gegen meinen Berufsstand freien Lauf lässt. Ich hatte diese Tiraden vorher schon im Fernsehen gesehen. Und Trumps Formulierungen, seine Stanzen sind ja immer dieselben. Aber unmittelbar dabei zu sein, die ganze Wucht der Aggression frontal abzukriegen, das ist ein ganz anderer Schnack. Über 5 000 Augenpaare, die dich hasserfüllt anstarren. Der ohrenbetäubende Lärm der Buhrufe. Der Hass, den dieser Präsident schürt, ist auch ohne direkten Körperkontakt physisch spürbar. Auf einmal bin ich dankbar für den hüfthohen Aluminiumzaun, der mich von der wütenden Menge trennt. Der erinnert mich an Haikäfige, die Taucher schützen vor tödlichen Raubfischattacken. Womöglich sind die Personenschützer Trumps, die unzählige Mal dabei waren, wenn der Präsident die Massen gegen anwesende Journalisten aufhetzte, tatsächlich ernsthaft besorgt, dass es irgendwann nicht bei Beschimpfungen bleiben könnte. Sondern dass sich Trump-Anhänger bemüßigt fühlen, das Unrecht, das ihrem Idol durch feindselige Berichterstattung widerfährt, auf handgreifliche Weise zu sühnen.
Feindseligkeit gegenüber Journalisten war mir auch vor Battle Creek begegnet. Dafür muss man dieser Tage nicht mehr über antidemokratische Regime schreiben oder sich mit Diktatoren anlegen. In den Jahren vor der Rückkehr in die USA hatte ich mich als Reporter mit dem Themenkomplex Rechtspopulismus, AfD, Pegida und auch Rechtsterrorismus beschäftigt. Mein Berufsstand ist nicht gerade populär bei den Neuen Rechten. »Lügenpresse, Lügenpresse« – das Geschrei kenne ich von ostdeutschen Marktplätzen und vor allem von Dresdener Demonstranten. Bei einem Pegida-Aufmarsch auf der Dresdener »Cockerwiese« musste ich erleben, was Sportreportern gelegentlich von ultragewalttätigen Hooligans widerfährt: Das sogenannte Ü-Wagen-Schütteln. Der verharmlosende Begriff meint tätliche Angriffe auf Übertragungswagen. Das Demolieren der Fahrzeuge, aber auch physische Angriffe auf Tontechniker und Reporter. An jenem Abend in Dresden hatten uns äußerst aggressive Pegidisten umzingelt. Hatten versucht, unser Fahrzeug umzuwerfen. Hatten uns Prügel angedroht. In den USA habe ich Handgreiflichkeiten zwischen Trump-Anhängern und Journalisten nie erlebt. Auch nicht davon gehört. Aber es sagt viel aus über eine Gesellschaft, wenn nicht ein Freizeitagitator wie Lutz Bachmann in Dresden seine Anhänger gegen Reporter aufhetzt, sondern der Präsident der Vereinigten Staaten das tut. Wie in Battle Creek. Fühlt sich nicht gut an.
Auf der Trump-Rally in Battle Creek habe ich es nur kurz im sicheren Journalistengehege ausgehalten. Schließlich war ich hierhergereist, um mit