Mit dem E-Bike auf der Seidenstrasse. Andrea Freiermuth

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Mit dem E-Bike auf der Seidenstrasse - Andrea Freiermuth

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morgen fahre ich ab, mit dem E-Bike, über den Bernina und den Balkan, durch die Türkei und den Iran – bis nach China.

      Langsam aber stetig hat sich die Idee dieser E-Bike-Reise nach Peking in meinem Kopf gefestigt. Ich träumte dabei von spannenden Begegnungen, bildgewaltigen Landschaften und absoluter Freiheit. Und von einer guten Sache: Denn Velos mit elektrischer Unterstützung sind eine super Erfindung, die mehr Aufmerksamkeit verdient. Dazu wollte ich als radelnde Reporterin beitragen. Schritt für Schritt habe ich die Vorbereitungen in Angriff genommen. Daran geglaubt, dass ich das Ganze tatsächlich mal realisieren werde, habe ich selber nicht so recht. Morgen ist es so weit und jetzt macht es mir Angst, furchtbare Angst.

      Das Bargeld und die Kreditkarte trage ich auf der Haut, den Rosenkranz meiner Mutter um den Hals. Und der Schweizer Pass liegt immer griffbereit im Körbchen über dem Vorderrad. Doch mitten in der islamischen Republik helfen Gott und Vaterland wohl wenig. Und Papier und Plastik lassen sich einer abgekämpften Radfahrerin leicht abnehmen.

      Abgesehen davon wird mich mein Flyer Upstreet 5 mit Tretunterstützung bis zu 25 Kilometer pro Stunde und 36-Volt-Motor als Kapitalistin entlarven. Und dann ist da auch noch ein Computer, eine Kamera und allerlei teures Camping-Material im Gepäck. Ich fahre eine Ausrüstung im Wert von rund 10 000 Franken spazieren. Notabene in Regionen dieser Welt, in denen dieser Betrag weit mehr als ein Jahreseinkommen ist.

      Ganz zu schweigen von meiner Verletzlichkeit als Frau: Ich werde durch Länder reisen, in denen sich Männer nicht gewohnt sind, eine sportlich aktive Frau in der Öffentlichkeit zu sehen. In denen ich die Sprache nicht spreche und deshalb nicht erklären kann, dass ich im Fall bloss gerne Velo fahre und mein Sitzen im Sattel nicht als sexuelle Einladung zu verstehen sei.

      Es ist einfach ungerecht, dass sich männliche Reisende keine solchen Gedanken machen müssen. Und darum hat Angsttheoretiker Søren Kierkegaard vielleicht doch recht, obwohl ich seine Feststellung über die Furcht des Weibes gerne als Geschwätz eines alten Mannes abtun würde. Allerdings möchte ich präzisieren: Frauen haben mehr Angst, weil sie in dieser Welt mehr Angst haben müssen.

      Gleichzeitig weiss ich, dass die Wahrscheinlichkeit, einem Lüstling zu begegnen, der mir hinter einem Busch abpassen könnte, relativ gering ist. Zürich-Peking ist nicht meine erste Fahrradreise. Ich war unter anderem schon als Solo-Fahrerin auf Kuba, Korsika und an der Westküste der USA unterwegs. Belästigt wurde ich noch nie – und das trotz feurigen Latinos, gesetzlosen Separatisten und hemdsärmligen Holzfällern.

      Auf den rund 12 000 Kilometern nach Peking werde ich auf mehr als der Hälfte der Strecke nicht allein sein, sondern von wechselnden Reisepartnern begleitet. Solo werde ich voraussichtlich bloss in China, Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan fahren. Zudem lerne ich derzeit Chinesisch, und die Bürger der nördlichen Stan-Länder gehörten einst zur UDSSR und sollten aus dem Kommunismus zumindest theoretisch wissen, was Gleichberechtigung ist.

      Wenn da diese Lust am Entdecken nicht wäre, würde ich mich wahrscheinlich von meiner Angst zu Hause festsetzen lassen. Ich habe vor jeder Reise Existenzängste und denke beim Abschiednehmen jeweils, dass ich meine Freunde und Familie vielleicht nie mehr sehen werde. Aber meine Neugier auf die Welt ist grösser, und darum habe ich gelernt, meine Angst zu managen.

      Paradoxerweise gelingt mir das am besten mit dem Gedanken an die grösste Gefahr, der ich mich aussetzen werde: Autos und Lastwagen. Das Risiko, von einem unaufmerksamen Verkehrsteilnehmer abgeschossen zu werden, ist für alle Menschen gleich gross, egal ob Mann oder Frau. Zudem fahre ich auch zu Hause Velo. Das heisst, mir könnte auch ohne diese Reise etwas passieren. Das Leben als Radfahrerin ist gefährlich. Um meiner Leidenschaft frönen zu können, habe ich mich schon vor langem an diesen Gedanken gewöhnt.

      Und überhaupt: Heutzutage ist man im Notfall fast von jeder Ecke dieser Welt innerhalb von 24 Stunden wieder zu Hause. Ich fahre morgen einfach mal los, aufgeben und abbrechen kann ich dann immer noch. Mit diesem Gedankenspiel habe ich es bisher immer geschafft, mir Mut zu machen. Auch weil ich inzwischen weiss: Wenn ich erst mal auf dem Velo sitze, dann verfliegt die Angst – und die Freude am Entdecken der Welt nimmt überhand.

      Von Pässen und Pannen

      «Nichts ist vergleichbar mit der einfachen Freude,

       Rad zu fahren.»

      John F. Kennedy, 35. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (1917 – 1963)

      Die gute Nachricht zuerst: Mein Flyer fliegt problemlos über die Berge. Und die Angst vor der grossen Reise ist erst mal weg. Vieles andere läuft nicht so wie geplant. Gleich zu Beginn musste ich die Abreise um einen Tag verschieben, wegen eines fürchterlichen Hexenschusses. Ich führte die Schmerzen auf das Räumen der Wohnung verbunden mit dem Schleppen von Kisten zurück. Es gab aber auch Stimmen, die meinten, es sei wohl psychosomatisch…

      Am Mittwoch vor sieben Tagen ging es dann also los. Die Stimmung war super, als ich Beat, meinen ersten Reisepartner, in Zug traf. Wir änderten dann auch gleich mal die Route und entschieden uns, die Schweiz anstatt über den Bernina via Ofenpass zu verlassen – um etwas nördlicher und damit länger in den Bergen zu bleiben.

      Inzwischen liegen die Alpen bereits hinter uns, und wir sind schon richtig weit gekommen. Vielleicht sogar etwas zu weit. In sieben Tagen haben wir fast 700 Kilometer und mehr als 9000 Höhenmeter absolviert. So viel war nicht geplant. Aber es ist nicht die erste Veloreise, bei der ich es am Anfang total übertreibe.

      Auch hätte ich mir eigentlich bereits früher Zeit nehmen wollen, um einen Blog zu schreiben. Aber: Zuerst stieg zu Hause der Server aus, dann mühte ich mich mit zahlreichen technischen Probleme ab, die meine gefühlt tausend Geräte, die ich mitführe, verursachten. Das Bluetooth vom Handy wollte sich nicht mit jenem vom Navigationssystem verbinden, das Outlook streikte, nachdem es sich in ein ungesichertes Netz eingeloggt hatte. Und die GoPro-Kamera habe ich überhaupt noch nicht im Griff. Ich fürchte, all diese Gadgets werden mich noch das ganze kommende Jahr vor Herausforderungen stellen. Und immer wieder das Netz: Ich vermisse das Büro wirklich nicht, aber das schnelle WLAN schon sehr.

      Technische Pannen hin oder her: Wir befinden uns derzeit in San Daniele di Friuli, eine Tagesetappe vor Triest. Velotechnisch liegen einige absolute Highlights hinter uns. Etwa der rund 60 Kilometer lange Radweg von Mals nach Meran, der auch Teil der Via Claudia Augusta ist. Hier trafen wir auf zahlreiche Tourenfahrer, die auf dem Weg nach Venedig waren – oder ein Paar, das mit einem Hund im Körbchen von Füssen im Allgäu ins Südtirol radelte.

      Nach Bozen folgten zwei Bergetappen in den Dolomiten: Passo Nigra (1690) unterhalb des Rosengarten-Massivs und Karerpass (1752) sowie Passo San Pellegrino (1918) und Passo Staulanza (1733). Leider mussten wir die Strassen mit Töff- und Autofahrern teilen, aber im Vergleich zu den Passstrassen in der Schweiz war der Verkehr mässig – und das, obwohl die erste der beiden Etappen auf einen Sonntag fiel.

      Heute schliesslich noch eine schöne Überraschung: Das Garmin, das mir zu Beginn so viele Probleme mit dem Laden des Tracks machte, führte uns über einen regionalen Radweg, den Cicliovia Pedemontana e del Collio. Nur einmal wurde es dabei etwas schwierig: Als der Weg plötzlich aufhörte und wir die Räder durch ein trockenes Flussbett schieben und auf der gegenüberliegenden Uferseite hochhieven mussten – sowas, dachte ich, würde mir frühestens in Armenien

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