Sand und Asche. Peter Gerdes

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Sand und Asche - Peter Gerdes

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zu.

      Aber eigentlich passte dieser affektierte Stenz ganz gut zu dieser ganzen Veranstaltung, dachte Stephanie, während sie krampfhaft versuchte, in den schmalen, etwas zu groß ausgefallenen High-Heels, aus denen ihre Füße bei jeder unbedachten Bewegung herauszuschlüpfen drohten, einen vernünftigen Performance-Schritt hinzubekommen. Scharf hingestochen und doch elegant, selbstbewusst und doch fraulich. So hatte sie es gelernt. Die Kurse waren teuer genug gewesen. Daddy sollte sein Geld nicht umsonst ausgegeben haben.

      Selbstbewusst und doch fraulich. Als ob das ein Gegensatz wäre!

      »Steffi, bist du endlich so weit? Du musst da raus!«

      Wieder dieser teiggesichtige Conférencier, dieser Mode-Maestro von eigenen Gnaden. Dabei hing doch auch er an Daddys Kohle-Tropf. Verdammt, wenn sie das alles vorher gewusst hätte! Aber jetzt war es zu spät, jetzt musste sie da durch. Und das hieß erst einmal: da raus.

      Hinaus auf den Laufsteg. Zur Premiere als Model. Himmel, wie lange hatte sie davon geträumt!

      Daddy hatte so geheimnisvoll geguckt, als er ihr den Termin verraten hatte. Vorgestern erst: »Lampenfieber muss kurz und heftig sein.« Jubelnd war sie ihm um den Hals gefallen, hatte einen Freudentanz um ihn herum aufgeführt und weitere Details aus ihm herauszuquetschen versucht. Aber Daddy war diesmal hart geblieben, hatte nur den Kopf geschüttelt und gelächelt: »Musst du alles noch gar nicht wissen. Erfährst du alles noch früh genug.« Und dabei war es geblieben. Alles geschah immer so, wie Daddy es wollte.

      Nur einen Zusatz hatte er noch gemacht: »Sieh zu, dass du deine Kleidergröße bis dahin hältst. Nicht noch dünner werden, hörst du, Engel?«

      Was Daddy nur immer redete! So clever wie er war, von einigen Dingen hatte er absolut keine Ahnung.

      Offenbar auch nicht davon, was eine richtige Modenschau war. Sonst hätte er ihr bestimmt nicht zugemutet, ihr Debüt ausgerechnet in einer Turnhalle zu geben! Sich in einer miefigen Umkleide zu stylen und auf ihren Auftritt vorzubereiten! Was für eine Demütigung. Das würde sie ihm nie vergessen. Natürlich hatte er recht damit, dass es in ihrer kleinen Heimatstadt Leer keine wirklich passende Location gab. Das sogenannte Theater, in Wahrheit nur eine größere Aula mit dem Charme der 60er Jahre, eignete sich nicht. Alle anderen Säle waren zu klein oder falsch geschnitten. Und als Daddy ihr mit der Viehhalle gekommen war – »Den Geruch kriegen wir schon raus, und da gibt es gut zweitausend Sitzplätze!« –, hatte sie sich nur noch die Ohren zugehalten. Fleischbeschau in der Viehhalle! Am Ende gab es dort auch noch Brandzeichen.

      Trotzdem, viel besser war eine Sporthalle auch nicht. Obwohl es die größte weit und breit war. Zudem die einzige mit Hochtribüne.

      »Wird’s bald?«

      Stephanie wirbelte herum, einen saftigen Fluch auf den Lippen. Fast wäre sie dabei umgeknickt. Um ihr Gleichgewicht kämpfend, stieß sie sich ihre linke Hand an einem eisernen Kleiderhaken. Mit Mühe unterdrückte sie einen Schmerzensschrei. Teiggesicht kam mit einem bösen Blick davon.

      »Also dann, los jetzt.«

      Sie stöckelte schlingernd um ein paar Holzbänke herum, zwischen mobilen Kleiderständern hindurch, an improvisierten Schminktischen vorbei. Zugegeben, der Aufwand, der hier getrieben wurde, war ziemlich groß. Die Deko alleine musste Zigtausende gekostet haben. Und den Namen des Modeschöpfers, dessen Kreationen hier präsentiert wurden, hatte sie auch schon einmal gehört. So gesehen, konnte sie Daddy vielleicht doch keinen Vorwurf machen. Mühe gegeben hatte er sich, auch seine Beziehungen spielen lassen. Vom Geld ganz zu schweigen. Daddys Geld war wie ein Universalschlüssel, und er scheute sich nicht, diesen Schlüssel zu benutzen.

      Was aber alles nichts daran änderte, dass dies hier eine Turnhalle war. Wenn auch eine große. Es war doch ein neuer Festsaal in Leer geplant, warum war der denn noch nicht fertig? Stephanie stampfte mit dem Fuß auf. Fast wäre sie dabei lang hingeschlagen, aber zum Glück war ein Türrahmen in Reichweite.

      In dem Gang von den Umkleidekabinen zur Halle herrschte hektisches Getriebe. Andere Mädchen und junge Frauen in teils abenteuerlich anmutenden Roben eilten hierhin und dorthin, einige stöckelnd und stolpernd, andere barfuß, hochhackige Folterinstrumente in der Hand. Rufe übertönten die Musik, die aus der Halle drang. Applaus rauschte herüber, an- und abschwellend wie Brandungswogen. Plötzlich spürte Stephanie ihren Herzschlag bis in die Mundschleimhäute hinein. Turnhalle oder nicht, es war so weit. Ihr erster Auftritt als Model stand unmittelbar bevor.

      Jemand packte sie von hinten am Arm, riss sie halb herum. Die kleine, faltige Frau mit dem Maßband um den Hals und dem Nadelkissen am Handgelenk. »Kind, so kannst du doch nicht hinaus. Los, Füße zusammen! Steh gerade!«

      Stephanie spürte, wie sich die Frau hinten an dem Kleid zu schaffen machte, das sie trug, einer Orgie aus blauer Seide und Flitter, schulterfrei und eng anliegend wie ein Schlauch. Größe 34 natürlich. Sie war hineingeschlüpft, ohne einen Gedanken an die Passform zu verschwenden. Größe 34 passte ihr immer, sofern die Länge stimmte.

      Die Frau zupfte und zerrte, raffte mit geschickten Fingern Stoff zu verdeckten Falten zusammen, steckte Nadeln so präzise, dass Stephanie das kalte Metall fühlte, ohne gestochen zu werden. Die Seide schmiegte sich an wie eine zweite Haut, formte den Schwung von Taille und Hüfte nach.

      »So, jetzt ist es nicht mehr zu weit. Aber bleib gerade!« Die Schneiderin gab ihr einen Klaps auf den Po, als gelte es, ein Zirkuspferd in die Manege zu schicken. »Viel Glück. Los!«

      Zu weit? Größe 34 zu weit?

      Jemand riss eine große Tür auf, und sie trat hindurch, plötzlich ganz sicher auf den Füßen, präzise und doch elegant, wie sie es gelernt hatte. Adrenalin war eben doch ein Teufelszeug.

      Sie durchquerte einen dämmerigen Vorraum, der durch schwarze Tuchbahnen von der übrigen Halle abgetrennt war, erklomm eine kleine Treppe, umrundete die versetzt aufgehängten Hälften eines schweren Vorhangs. Gleißende Helligkeit und tosender Beifall empfingen sie. Ja. Das, genau das war der Moment.

      Sehen konnte sie nicht viel; das Scheinwerferlicht errichtete Mauern aus tiefer Schwärze rund um den grell erleuchteten Catwalk. Nur die ersten Reihen kleiner, runder Tische direkt unterhalb des Laufstegs waren schemenhaft zu erkennen, aber sie spürte, dass die ganze große Halle voller Menschen war. Hinter den Tischchen für die VIPs mussten Stuhlreihen dicht an dicht stehen, das hörte sie an der Intensität des Applauses, der ihr entgegenbrandete. Auch von oben. Richtig, die hoch gelegene Seitentribüne. Hatte sie in dieser Halle nicht früher einmal Handball gespielt? Das musste in einem anderen Leben gewesen sein.

      Haltung. Arme. Schritte. Lächeln. Kopf wenden. Alles kam automatisch. Vergessen alle Unsicherheit, das Schlingern und Straucheln. Dies war der Laufsteg, und sie mitten darauf. Sie hörte ihren Namen aus den Lautsprechern, hörte die Vorstellung des Kleides, das sie trug, ohne auf den Wortlaut zu achten. Sie war ganz Körper, Bewegung, Anmut, Ausstrahlung. Erneut wurde der Beifall stärker. Ringsherum flammten Blitzlichter auf, und sie badete darin, fühlte ihren Körper in diesen Strahlen noch elastischer, noch biegsamer werden. An die Turnhalle dachte sie nicht mehr. Das hier, das war es, was Daddy für sie gewollt hatte. Und was sie selbst wollte. Jetzt war sie sich sicher.

      Und da war Daddy! Er saß ganz weit vorn, an einem der runden Tischchen, die vom Rampenlicht des Laufstegs noch gestreift wurden. Er strahlte und winkte ihr zu. Was sollte das sein, ein Test? Natürlich winkte sie nicht zurück. Sie war doch kein kleines Mädchen auf einer Schulbühne. Sie war jetzt ein professionelles Model.

      Drehung, jetzt verharren, Arme ausschwingend, Beine leicht gespreizt. Lächeln nicht vergessen. Dann weiter,

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