Solo für Sopran. Peter Gerdes
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Читать онлайн книгу Solo für Sopran - Peter Gerdes страница 10
»Blödsinn.« Stephanie blinzelte schamhaft in ihren Kaffee, während ihre erhitzte Gesichtshaut tiefrot zu leuchten begann.
»Ich meine ja nur«, sagte Wiebke achselzuckend und schob sich einen gehäuften Löffel Eis mit Fruchtfleisch und Sahne in den Mund. »Was das sparen würde! So oft wie wir hier sitzen. Wäre doch nicht zu verachten.«
Wieder lachten beide gleichzeitig los, und hätte sich Wiebke nicht gerade noch rechtzeitig die Hand vor den Mund gehalten, wäre das für Stephanies paillettenbesticktes gelbes T-Shirt das vorläufige Ende gewesen.
»Was hältst du eigentlich von dieser Geschichte mit dem Triebtäter, der hier angeblich unterwegs sein soll?«, fragte Stephanie dann unvermittelt ernst. »Meinst du, da ist etwas dran?«
Wiebke nickte. »Gehört habe ich auch davon. Wieso, gibt es da einen Zusammenhang? Ich dachte, das ist so einer, der sein Ding kleinen Kindern und alten Weibern zeigt. Mir zeigt ja nie einer so was. Solche Typen sollen doch ganz harmlos sein, ich meine, die vergewaltigen niemanden und bringen keinen um. Eigentlich ganz arme Willis.« Wieder begann sie zu grinsen: »Ha, genau, armer Willy! Wird immer nur vorgezeigt.«
Diesmal jedoch ließ sich Stephanie von Wiebkes Albernheit nicht anstecken. »Ja, genauso habe ich es auch gehört. Aber eben das macht mich ja so stutzig.«
Wiebke hielt in dem Versuch, den Boden aus ihrer Eisschale herauszuschaben, inne: »Wieso?«
»Na, weil das so betont wird! Dass das Auftauchen dieses Kerls absolut nichts mit dem Verschwinden von Hilke zu tun haben soll.« Sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihre blonden Haarkaskaden. Zwei Tische weiter klirrten Flaschen; offenbar war der Kellner nicht ganz bei der Sache. Die beiden Mädchen achteten nicht darauf.
»Wer hat das betont?«, hakte Wiebke nach.
»Na, die Taudien! Als sie uns heute Mittag aufgefordert hat, die Augen offen zu halten und darauf zu achten, ob wir irgendwo Hilke sehen oder irgendetwas, das darauf hindeutet, wo sie sein könnte. Weißt du nicht mehr?«
»Da muss ich wohl geistig nicht so ganz präsent gewesen sein«, sagte Wiebke. »Außerdem, so viel wie die Frau redet, wenn der Tag lang ist, wer will denn das alles wissen? Frag mich doch mal.«
Stephanie ließ sich nicht beirren. »Da hat sie doch auch von diesem Typen gesprochen. So ’n dicker Kerl, ganz alt schon, der sich am Strand vor einem Kind ausgezogen hat. Wir sollen doch auch aufpassen, ob wir so einen irgendwo sehen. Und dann hat die Taudien extra dreimal betont, dass die beiden Sachen nun aber auch überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Auffällig, oder?«
»Weiß nicht.« Wiebke warf den Löffel auf den Tisch und verschränkte die Finger unter ihrem spitz zulaufenden Kinn. »Ich meine, sich am Strand ausziehen, wer tut das denn nicht? Wenn man da gleich jeden verhaften wollte …«
»Eben!« Wie beschwörend streckte Stephanie beide Handflächen vor. »Darum glaube ich ja auch, dass da ganz etwas anderes dahinter steckt. Dieser Kerl ist bestimmt nicht bloß so ein Exi, wie heißt das noch, Expoinquisitor oder was. Und der hat bestimmt etwas ganz anderes auf dem Kerbholz als nur Hose runterlassen. Das wollen die uns nur nicht sagen, damit es keine Panik gibt.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Raunen, das auf der anderen Seite des Tisches gerade noch zu vernehmen war: »Dabei sollen sogar schon Blutspuren gefunden worden sein!«
»Aber dann …« Wiebke runzelte die Stirn. »Dann könnte es ja sein, dass Hilke tatsächlich … Ich meine, dass es ein Verbrechen …« Trotz mehrerer Anläufe brachte sie das Wort nicht über die Lippen. All ihre Kaltschnäuzigkeit schien sie von einem Augenblick auf den anderen verlassen zu haben.
»Dass sie umgebracht wurde.« Stephanie schien diesen Gedanken schon länger zu wälzen und brachte ihn glatt heraus. »Hilke Smit tot! Kannst du dir das vorstellen?«
»Oh Gott.« Wiebke klang ehrlich erschüttert. »Und dieser Kerl läuft hier immer noch rum, alle halten ihn bloß für einen Exhibitionisten, und keiner sagt unsereinem, wie gefährlich der wirklich ist! Das ist ja …«
»Unverantwortlich. Genau.« Stephanie nickte nachdrücklich. »Wenn der Typ eine wie Hilke umgebracht hat, dann sucht der sich doch wahrscheinlich in diesem Moment schon ein neues Opfer. Jede von uns kann als Nächste dran sein. Und keiner warnt uns vor der Gefahr, in der wir schweben. Die lassen uns doch glatt mit offenen Augen dem Täter in die Arme laufen! Unmöglich, so was.«
»Aber jetzt wissen wir ja Bescheid«, sagte Wiebke und winkte dem Ober. »Jetzt können wir es ja übernehmen, alle zu warnen. Das ist schließlich nichts anderes als unsere verdammte Pflicht.«
»Genau. Lieber spät als nie.«
Während der Kellner umständlich nach dem Wechselgeld kramte, sagte Wiebke: »Mal gespannt, wer jetzt Hilkes Platz im Sopran kriegt. Das wird nun ja noch mal richtig eng.«
»Also hör mal! Noch wissen wir doch gar nicht, ob – und überhaupt. Glaubst du denn, dass die nicht wenigstens so lange warten, bis Hilke gefunden worden ist? Ich meine, bis sie wieder auftaucht?«
»Da kennst du aber Heiden schlecht.« Wiebke lachte schrill. »Wenn Hilke heute gefehlt hat, ohne dass ein ernster Grund vorlag, schmeißt der sie doch achtkantig raus. Wegen Unzuverlässigkeit. Na, und wenn es einen ernsten Grund gab …« Sie hob die Augenbrauen, bis sie unter ihrem fransigen Pony verschwanden.
»Du hast recht.« Eifrig nickend schüttelte Stephanie ihre Mähne. »So oder so, Theda hat vielleicht doch noch eine Chance.«
9.
»Natürlich ist Urlaubszeit! Glauben Sie, ich weiß nicht, dass Urlaubszeit ist? Wissen Sie eigentlich, von wo ich anrufe?« Lüppo staunte selber, wie unbeherrscht er in den Telefonhörer brüllte. Mit seinen Nerven stand es offenbar nicht zum Besten. Und das schon nach nicht einmal einem halben Tag Stress.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Sie lautete »klick«.
Seufzend legte er den Hörer an seinen Ruheplatz. Wenigstens kein Anschiss wegen seiner Unbeherrschtheit. Zuweilen musste man ja mit wenig zufrieden sein.
»Und?«, fragte der Mann, der sich an der gegenüberliegenden Seite seines Schreibtisches breit gemacht hatte. Was ihn nicht viel Mühe kostete, denn breit war er ohnehin. Ziemlich groß, mit ausladendem Kreuz und absolut kompatibler Wampe, einem stoppelhaarigen Rundschädel und kräftigen Armen und Händen. Stahnke. So sah der also aus.
Merkwürdige Augen hat er, fand Lüppo Buss. Rund, hellblau, etwas wässrig, auf den ersten Blick absolut harmlos. Aber sie hafteten wie Saugnäpfe. Wenn der die Leute nur lange genug anschaute, saugte er mit diesen Augen bestimmt allerhand aus ihnen heraus.
»Verstärkung kommt«, sagte der Inselkommissar. »Zwei Leute. Morgen. Mit der Fähre.«
»Zwei?«, fragte Stahnke ungläubig. »Morgen?«
Lüppo Buss lachte bitter. »Genau. Und das, obwohl wir hier gerade auf fünfzig Prozent der Sollstärke reduziert sind, sozusagen! Wittmund sagt, es gehe nicht anders, es sei Urlaubszeit. Tolle Neuigkeit für uns Insulaner.«
Stahnke nickte versonnen. »Tja, das erklärt dann ja auch, warum ich hier bin. Urlaub machen.