Der dicke Mann. Wolfgang Armin Strauch
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„Lass Adam seine Arbeit machen. Du weißt, was der Arzt gesagt hat.“
„Aber ich wollte nur …“
Sie zog ihn zu sich heran. „Dein Platz ist jetzt hier.“
„Hast du eigentlich etwas im Panzerschrank gefunden?“
„Ja. Auch wenn der Inhalt nicht alle meine Fragen beantwortet.“
Sie griff zur Kette und spielte mit dem Stein. Dann gab sie Andrzej den Brief ihrer Mutter und zeigte den Brief des Rechtsanwalts.
Er überlegte einen Augenblick, dann fragte er: „Kommen dir die Namen oder die Adressen bekannt vor?“
„Nach Deutschland habe ich keine Verbindung und bei Graudenz fällt mir nur ein, dass ich dort geboren wurde. Meine Mutter hatte im Buchladen ihres Großvaters gearbeitet. Das hat mir Jadwiga erzählt. An die Stadt kann ich mich aber nicht erinnern. Ich war zu klein.“
„Kannst du etwas mit dem Brief vom Rechtsanwalt anfangen?“
„Ich habe keine Ahnung. Jadwiga wusste nicht einmal, dass er von einem Anwalt ist. Ich werde ihn aufsuchen. Es kann nichts Schlimmes sein.“
„Und willst du auch nach Deutschland fahren?“
„Ich weiß nicht. Zuerst werde ich Frau Michalska in Graudenz besuchen.“
Adam Krawczyk ließ, mithilfe der Phantomzeichnung, die Leute in der Umgebung der 32 befragen. Außerdem wurden Händler aufgesucht, die am Feiertag einen Stand in der Ulica Grodzka hatten. Sie stießen auf einen Künstler, der sich an einen großen dicken Mann erinnern konnte, weil er ihm ungewöhnliches Trinkgeld in den Hut geworfen hatte. Es war eine 10-Zloty-Gedenkmünze, die noch ganz blank war.
Seine Beschreibung von dem Mann war allerdings ungenau, weil er erst auf ihn geachtet hatte, als er sich schon umgedreht hatte und gegangen war. Er meinte aber, dass er groß und dick war. Die Ermittler sicherten die Münze. Teilabdrücke des Zeigefingers stimmten mit dem Abdruck auf Jadwigas Tasche überein.
Die Hotels in der Innenstadt wurden von den Ermittlern abgeklappert. Doch niemand erinnerte sich an den Mann. So wurde vermutet, dass er von außerhalb gekommen und nur an den Tattagen in der Stadt war. Krawczyk wollte eine öffentliche Fahndung in der Zeitung veröffentlichen, doch das wurde vom Chef mit der Begründung abgelehnt, dass die Bevölkerung nicht verunsichert werden sollte. Der „dicke Mann“, wie ihn die Ermittler nannten, blieb verschwunden.
Obwohl er noch krankgeschrieben war, ging Andrzej zur Dienststelle. Er bat seinen Chef, die Papiere von Jadwiga noch einmal zu sichten. Mit dem Hinweis: ‚Sie geben ja sonst ohnehin keine Ruhe!‘, durfte er ausnahmsweise die Unterlagen mit nach Hause nehmen.
Auch wenn Jadwigas Namenslisten nichts ergeben hatten, neigte Mazur dazu, dass die Lösung in der Vergangenheit lag, da die Aktivitäten des Opfers in der Gegenwart überschaubar waren. Sie ging täglich in die Bibliothek, traf sich ab und zu mit Alina und machte sonst nur die üblichen Gänge zum Supermarkt. Wie sollte sie in dem unauffälligen Umfeld ihren Mörder getroffen haben und woher sollte dieser Hass gekommen sein? Es sei denn, es wäre ein Psychopath.
Als Mazur seinen Dienst wiederaufnehmen durfte, beauftragte er eine Recherche in den einschlägigen Archiven zur Verhaftung Jadwigas und ihre Befreiung im Januar 1945.
Nach zwei Wochen erhielt er eine dicke Akte. Sie bestand aus übersetzten Protokollen der Gestapo. Sie bestätigten die bisher bekannten Fakten. Jadwiga wurde im Zusammenhang mit Kontakten zur Untergrundarmee inhaftiert. Man fand einige antideutsche Flugblätter. Auch Hanka Wrobel wurde genannt, die von den Gestapoleuten jedoch abfällig mit „Beifang“ bezeichnet wurde, da sie zufällig bei der Festnahme anwesend war. Die beteiligten Gestapobeamten waren nach der Befreiung der Stadt von der Roten Armee festgenommen und erschossen worden.
Ein Dokument belegte den Aufenthalt Jadwigas in Auschwitz. Sie hatte darüber der Hauptkommission zur Untersuchung der deutschen Verbrechen in Polen berichtet. Ferner hatte sie Anfragen zum Verbleib eines jüdischen Häftlings mit dem Namen Zygmunt Rosinski gestellt.
Mazur fragte an der Universität nach, ob ein Zygmunt Rosinski vor 1939 immatrikuliert war. Er fand sich in den Listen der Fakultät für Geschichte wieder. In den Fahndungslisten der Gestapo tauchte er als ‚flüchtiger Jude‘ auf. Die Angaben deckten sich mit der Erzählung von Alina. In den handschriftlichen Namenslisten aus Jadwigas Wohnung wurde er auch gefunden. Sein Name war mit einem Kreuz, dem Todesdatum 31.11.1944 und Oranienburg bei Berlin versehen worden. Andrzej erzählte Alina von dem Fund. Ihr fiel noch ein, dass Jadwiga 1965 mit einer Delegation des Internationalen Auschwitz Komitees in der Gedenkstätte vom KZ Sachsenhausen war.
Die Informationen waren für Alina interessant, doch im Mordfall halfen sie nicht weiter. Effektiv gab es lediglich die Fingerabdrücke sowie das Phantombild vom „dicken Mann“. Angesichts des großen Aufwands war das Ergebnis eher ernüchternd. Sein Chef stoppte die Suche in den Archiven. Stattdessen wurden Anfragen zu der fehlenden Kette und den Fingerabdrücken ausgeweitet. Das bedeutete mehr oder weniger, dass man auf einen Zufallsfund wartete.
5. Kapitel
Alina hatte sich an den Gedanken gewöhnt, in die Wohnung zu ziehen. Sofia half ihr, das große Chaos zu beseitigen. Nachdem sie das Zimmer ihres Großvaters neu tapeziert, die Kriegsutensilien an das örtliche Museum abgegeben und kitschige Bilder gegen moderne Plakate getauscht hatte, wurde es für sie akzeptabel. Adam hatte dafür gesorgt, dass ein neues Sicherheitsschloss in die Wohnungstür eingebaut wurde. In der ersten Nacht hatte sie trotzdem überall das Licht angelassen, um Einbrecher abzuschrecken. Sie bat Barbara, eine Mitbewohnerin aus dem Studentenwohnheim, für einige Zeit bei ihr zu wohnen. Andrzej besuchte sie so oft wie möglich und blieb manchmal auch über Nacht.
Zwischenzeitlich war Alina bei Dr. Watzlav gewesen. Der Anwalt hatte ihr mitgeteilt, dass er mehrfach mit ihrem Großvater gesprochen hatte. Er hätte einen Brief aus Israel, den er Alina persönlich übergeben müsse. Herr Klimek war aber sehr ungehalten und hatte ihn mit dem Hinweis hinausgeworfen, dass seine Familie nichts mit Juden zu tun haben wolle. Daher hatte er ein Einschreiben geschickt und vergeblich auf eine Reaktion gewartet. So überreichte er ihr den Brief. „Alina Klimek“ stand groß und breit auf dem Umschlag. Da war kein Irrtum möglich.
Das Kuvert enthielt ein amtlich aussehendes Schreiben mit Anlagen. Es war in Englisch verfasst. Doch der eigentliche Brief war Hebräisch und daher für sie unlesbar.
Sie besuchte Andrzej in seinem Büro.
„Ich habe keine Verwandten in England oder in Israel.“
Er packte alles in eine große Tüte und sagte: „Ich kümmere mich darum.“
Sicherheitshalber brachte er die Unterlagen zu einem amtlichen Dolmetscher. Nach wenigen Tagen hielt er die Übersetzung in den Händen. Sie warf mehr Fragen auf, als Antworten zu geben. In Israel sei ein Victor Rubin gestorben. Ein englisches Rechtsanwaltsbüro war beauftragt worden, in einer Erbschaftssache nach Alina Klimek zu suchen, um ihr einige Gegenstände und etwas Geld zu übergeben. Man hatte mehrere polnische Adressen geprüft und hoffte nun, dass sie die gesuchte Person sei. Um die notwendigen Schritte einzuleiten, benötige man aber eine notarielle Bestätigung ihrer Identität.
Andrej sah sich die Adresse näher an: Dover in Großbritannien. Dann fiel ihm ein, dass eine der Postkarten eine Ansicht der Kreidefelsen der Stadt zeigte. Doch damit war er keinen Schritt