Der dicke Mann. Wolfgang Armin Strauch
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Читать онлайн книгу Der dicke Mann - Wolfgang Armin Strauch страница 10
„Darf ich Sie etwas fragen?“
„Nur zu. Wenn ich helfen kann?“
Hanka musterte den jungen Mann, den Alina als ihren Freund vorgestellt hatte. „Wie Sie sicher gehört haben, ist Jadwiga ermordet worden. Könnte es sein, dass jemand wegen ihrer Arbeit im Untergrund einen solchen Hass auf sie hatte?“
Die alte Frau war etwas erstaunt. Alina reagierte auf ihr verwundertes Gesicht. „Andrzej ist bei der Miliz mit dem Fall betraut. Dabei haben wir uns kennengelernt.“
„Also, ich kann mir das nicht vorstellen. Wobei ich nicht alles weiß. Sie hatte nur einmal gesagt, dass sie froh ist, dass die Gestapoleute in Krakau alle entweder tot oder inhaftiert worden sind. Die einzige offene Frage war, wo ihr Liebster abgeblieben ist. Ihr fehlte nur der letzte Beweis, dass er tatsächlich gestorben ist. Sie klammerte sich an eine Chance, die mit jedem Tag unwahrscheinlicher wurde. Jetzt sind über zwanzig Jahre vergangen. Eichmann wurde von den Israelis in Argentinien gefunden und selbst in Westdeutschland haben Auschwitzprozesse stattgefunden. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass ein Verbrecher es wagt, nach Polen zu kommen, um eine Frau umzubringen, die sicher nicht an der Spitze des Untergrundes stand.“
Andrzej sagte: „Mittlerweile kommen viele Touristen. Ich werde es zumindest prüfen lassen.“
Hanka sah erst Mazur und dann Alina an.
„Es wäre schrecklich, wenn jetzt Nazis kommen und Leute ermorden. Hat es denn so etwas schon mal gegeben? Sie machen mir Angst.“
„Ich wollte Sie nicht beunruhigen. Manchmal geht die Fantasie mit mir durch.“
In dem Moment tauchte seine Mutter mit einem Tablett Schnäpse auf. Ausreden ließ sie nicht zu. Und so stießen alle noch einmal an. Mazur nahm sich vor, seinen Gedanken prüfen zu lassen. Er dachte an die Namenslisten, die bei Jadwiga gefunden wurden. Vielleicht hatte der Täter beim Einbruch nach den Listen gesucht.
Alina brachte Hanka zum Bus. Sie versprachen sich, in Verbindung zu bleiben. Andrzej rief Krawczyk an und informierte ihn über seinen Verdacht.
Einige Stunden später stieg der dicke Mann aus dem Zug. Es hatte sich gelohnt, seinen Aufenthalt in Krakau um zwei Wochen zu verlängern. Er hatte einen wichtigen Auftrag erfüllt und eine existenzielle Gefahr gebannt. Fast euphorisch öffnete er die Wohnungstür. Er verprügelte seine Frau, die nach „Kölnisch Wasser 4711“ roch. Es hatte nicht viel gefehlt und er hätte sie umgebracht. Noch am selben Abend verließ sie ihn mit den Kindern.
Der Mann war mit sich zufrieden. Er legte Jadwigas Ausweis, die Schlüssel und die Kette in den Panzerschrank. Noch einige Zeit las er regelmäßig die Tybuna Ludu. Sein Bild wurde nicht veröffentlicht.
Mittlerweile waren vier Wochen vergangen. Alina fand langsam ihre innere Ruhe wieder. Zwar war Andrzej immer noch vom Dienst befreit, doch spürte sie, dass es ihn förmlich zur Arbeit drängte. Regelmäßig rief er bei seinen Kollegen an und fragte nach dem Stand der Ermittlungen. Doch trotz des großen Aufwandes hatten sich keine Verdachtsmomente ergeben. Die Namenslisten von Jadwiga erwiesen sich als Sackgasse. Alle Personen waren nachweislich tot. Der Abgleich der Fingerabdrücke blieb ohne Ergebnis. Alina machte sich Sorgen. Andrzej setzte sich zu sehr unter Druck. Sie verstand aber auch, dass er es für sie tat.
Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, mit ihm in die Wohnung zu gehen, um den Inhalt des Panzerschrankes durchzusehen, fürchtete aber, dass ihn der Tatort zu sehr aufregen würde. Nach einem Arztbesuch sprach sie den Mediziner deswegen an. Auch er warnte davor, da seine Psyche noch sehr labil war.
Sie hatte schon lange die Freigabe des Tatortes von der Polizei bekommen, doch fand sie nicht den Mut, die Wohnung zu betreten. Sofia erkannte das und schlug ihr vor, mitzukommen. Sicherheitshalber verabredeten sie sich mit Adam Krawczyk. Er versprach, das Haus und die Zimmer vorher ausgiebig zu überprüfen.
Die Siegel waren unversehrt. Nachdem er die Räume kontrolliert hatte, bat er die Frauen herein. Alina öffnete den Panzerschrank.
Adam zog sich in die Küche zurück und Sofia räumte Jadwigas Zimmer auf. Sie sah Alinas Aufregung an, vermied aber, darauf einzugehen. Letztendlich musste die junge Frau die Situation selbst meistern, um nicht von der Angst beherrscht zu werden.
Kapitel 4
Ich habe lange gezögert, diesen Weg zu gehen. Aber es gibt Dinge, die brennen unter den Nägeln. Ich will die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Auch wenn sie schmerzt.
Vor sechs Wochen wurde meine Großtante Jadwiga ermordet und gleich darauf starb Großvater. Sie hinterließen mir eine Wohnung mit Erinnerungen und viele offene Fragen. Leider hat mir Jadwiga nur wenig von meiner Mutter erzählt. Wollte sie mich wohl vor schmerzlichen Wahrheiten bewahren?
Mein Großvater, der große Kriegsheld, war an einer Leberzirrhose verstorben, ohne mit mir über seine Tochter zu sprechen. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, dass ich allein bin. Man sagt, dass sich eine neue Tür öffnet, wenn sich eine andere schließt. Ist Andrzej diese Tür? Ich wünsche es mir so sehr.
Nie hatte ich eine herzliche Verbindung zu meinem Großvater, auch wenn ich bis zum Abitur bei ihm gelebt habe. Für ihn war ich ein unnützes Übel, mit dem er sich notgedrungen abzugeben hatte. Dementsprechend verhielt er sich. Und nach dem Abitur sah er keinen Grund mehr, mich besonders gut zu behandeln. Wahrscheinlich hatte er gehofft, dass ich einen Beruf erlerne und dann ausziehe. Ein Studium bedeutete, dass ich ihm fünf weitere Jahre auf der Tasche liege. Ich war eine Nippes-Figur, die seine Pension unnütz verbrauchte.
Als ich es einmal wagte, einen Freund mitzubringen, beleidigte er ihn und warf ihn aus der Wohnung. Mich nannte er ein Flittchen, das genauso schamlos wäre wie meine Mutter. Er schrie, dass sie der Grund seines Unglücks sei und ich eine Ausgeburt des Satans. Mit ein paar persönlichen Sachen zog ich aus. Jadwiga versuchte alles, um mich wieder zurückzuholen, doch gelang es ihr nicht. Großvater wurde nur noch ärgerlicher und bedrohte sie.
„Alina ist ein Bastard und hat nichts mit mir zu tun.“
Er warf eine Schnapsflasche nach ihr, der sie nur mit Glück ausweichen konnte. Damit hatte er es sich mit ihr verscherzt. Ab diesem Zeitpunkt weigerte sie sich, irgendetwas für ihn zu tun. Selbst die Wäsche musste er von einer Aufwartefrau waschen lassen.
Wenn ich Jadwiga besuchte, sorgte sie dafür, dass er nicht da war, oder sie verschloss ihr Zimmer. Mein Großvater wurde vom Jugendamt zur Leistung von Unterhaltszahlungen verpflichtet. Für ihn gab es mich nur noch als Position auf seinen Kontoauszügen.
Jadwiga hingegen war für mich so etwas wie eine Ersatzmutter. Als ich einmal zu ihr ‚Mama‘ sagte, verbesserte sie mich aber sofort.
„Es gibt nur eine Mutter. Das darfst du nie vergessen.“
Trotzdem war sie der Anker in meinem Leben. Sie verkörperte alles, was ich mir unter einer Mutter vorstellte. Ich wollte so sein wie sie. Manchmal erzählte sie von ihr. Es waren sehr schöne Geschichten. Gelegentlich sah ich, dass sie danach weinte. Ich wusste nicht, warum, aber mir kamen dann auch die Tränen.
Mein Großvater hat kaum von ihr erzählt. Nicht einmal ein Bild zierte seinen Schreibtisch. Stattdessen prangte dort eine Büste von Stalin. Ich verstand das nicht. Ich fragte Jadwiga als Kind, ob meine Mutter hässlich war, weil wir kein Bild von ihr hatten. Sie versicherte mir, dass sie eine schöne Frau war, die es weit gebracht hätte, wenn sie nicht gestorben wäre. Dann meinte