Der dicke Mann. Wolfgang Armin Strauch

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Der dicke Mann - Wolfgang Armin Strauch

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ließ er den Nachnamen weg, wenn er an sie dachte.

      Die Ermittlungen drehten sich im Kreis. Die Tasche der Toten wurde sichergestellt. Sie lag in der Nähe des Papierkorbes, den der Hund angezeigt hatte. Am Fundort fanden sich einige weitere Utensilien. Kamm, Lippenstift und eine kleine Flasche „Kölnisch Wasser 4711“ trugen die Fingerabdrücke der Toten. Geldbörse und Schlüssel fehlten. Auf der Schließe war allerdings ein halber Daumenabdruck, der sich nicht zuordnen ließ.

      Alina hatte gesagt, dass das Opfer eine Goldkette mit einem Bernstein getragen hatte. Da sie nicht gefunden wurde, hatte man bei Schmuckhändlern nachgefragt. Selbst einschlägige Hehler wurden aufgesucht. Alle bestritten, passende Angebote bekommen zu haben. Schmuck aus einem Mordfall war zu heiß. Mazur musste noch einmal die Wohnung aufsuchen. Möglicherweise hatte man etwas übersehen. Er hatte einen Durchsuchungsbefehl für die gesamte Wohnung, wollte aber Alina dabeihaben.

      Sie öffnete die Tür in T-Shirt und Jeans. Ihr Studentenzimmer war unaufgeräumt, wofür sie sich gleich entschuldigte.

      „Wissen Sie, ich musste irgendetwas tun und habe daraufhin angefangen, meine Sachen zu sortieren. Aber bei jedem Gegenstand fallen mir immer Dinge aus der Vergangenheit ein. Irgendwann habe ich aufgegeben. Übermorgen ist Projektabschluss und ich habe noch nicht eine Seite vom Abschlussbericht geschrieben. Wenn das Jadwiga wissen würde.“

      Sie stockte. Jadwiga war tot. Sie würde es nie erfahren. Tränen liefen über ihr Gesicht.

      „Ich wollte unbedingt Geschichte studieren, weil sie es nicht durfte. Sie hatte so große Hoffnungen in mich gesetzt.“

      Mazur zögerte erst, aber er durfte keine Rücksicht nehmen.

      „Alina, wir müssen noch einmal in die Wohnung.“

      Sie schaute ihn an. Sie hatte gemerkt, dass er zum Du übergegangen war. Es war ihr recht.

      „Muss das wirklich sein?“

      „Wir haben immer noch nicht den Mörder gefunden. Ich möchte ausschließen, dass es dein Großvater war.“

      „Wird er denn verdächtigt?“

      Mazur informierte sie über die bisher bekannten Informationen zu ihrem Großvater. Alina hörte aufmerksam zu.

      „Ich kann es mir nicht vorstellen. Er hat es nicht einmal geschafft, die Kohlen aus dem Keller zu holen. Es stimmt schon, dass er laut war und viel getrunken hat. Aber Mord …“

      Mazur befürchtete, dass er ihr Vertrauen verloren hatte. Doch sie reagierte anders.

      „Ich werde dir helfen.“

      Sie schaute auf. „Ich habe auch noch so viele offene Fragen.“

      Mit dem Dienstwagen fuhren sie zur Wohnung der Toten. Unterwegs teilte Mazur ihr mit, dass ein Testament gefunden wurde, in dem sie als Alleinerbin eingesetzt war.

      „Ich wusste es. Sie hatte es aufgesetzt, als ich ausgezogen bin. Die Wohnung war das einzige Druckmittel gegen meinen Großvater. Als ich klein war, hatte er immer gedroht, mich in ein Heim zu geben. Das wollte sie auf keinen Fall.“

      Sie machte eine Pause, ehe sie weitersprach.

      „Ich habe viele Streitereien der beiden angehört. Aber er hat sie nie geschlagen. Es begann meistens damit, dass er mit seinen Kriegserlebnissen prahlte. Jadwiga konnte das nicht ertragen. Obwohl sie sonst eher still war, meinte sie dann oft, dass die polnische Armee die Zivilisten 1939 schutzlos zurückgelassen habe. Erst unter Stalin sei er wieder vorgekrochen. Er habe im beheizten Zelt gesessen, als sie in Auschwitz fast erfroren sei. Mein Großvater begann dann immer zu brüllen und verwies auf seine angeblichen Heldentaten. Am Ende zogen sie sich jeweils in ihr Zimmer zurück.“

      Alina ergriff seine Hand.

      „Ohne Jadwiga wäre ich zugrunde gegangen. Sie war mein Mutterersatz, meine Mama. Sie ging mit mir in den Park und las abends Märchen vor. Wenn ich sie auf der Arbeit besuchte, zeigte sie mir die alten Bücher. Sie meinte immer, dass es die Vermächtnisse der Vergangenheit sind. Deswegen habe ich mein Geschichtsstudium aufgenommen. Jetzt merke ich erst, wie wenig ich eigentlich von ihr weiß. Vom Krieg und von Auschwitz hat sie kaum erzählt, weil sie dann immer gleich anfing zu weinen.

      Großvater zeigte wenig Mitgefühl. ‚Heulst du wieder wegen des Juden?‘, war eine Bemerkung, die sie tief verletzte. Ich habe das nie begriffen. Auch nicht, warum beide nicht über meine Mutter redeten.“

      Alina wischte sich die Tränen aus den Augen.

      „Und jetzt bin ich allein.“

      Sie lehnte sich an Mazur. Er schluckte. Doch er riss sich zusammen.

      Das Chaos im Zimmer von Tadeusz Klimek hatte er gesehen. Alina blickte betroffen auf den Berg leerer Schnapsflaschen. Es stank nach Erbrochenem und Urin. Sie öffnete das Fenster.

      „Es ist mir peinlich, dass mein Großvater eine solche Unordnung hinterlassen hat. Ich bin ewig nicht mehr hier gewesen.“

      Sie wandte sich ab, als ob es ihre Schuld wäre.

      „Er wollte keine Hilfe annehmen. Sein Arzt hatte vorgeschlagen, ihn in eine Klinik einzuweisen, doch er lehnte das ab. Er unterstellte Jadwiga, dass sie ihn abschieben wolle.“

      Die Durchsuchung der Wohnung blieb ohne Ergebnis. Lediglich ein kleiner Panzerschrank konnte nicht durchsucht werden, da der Schlüssel unauffindbar war. Alina wusste nichts über den Inhalt. Sie vermutete aber, dass er persönliche Unterlagen darin aufbewahrt hatte, da sich in der ganzen Wohnung keine Papiere über die Familie fanden. Mazur versprach, einen Fachmann zu beschaffen, um an den Inhalt zu gelangen.

      Er verschloss die Wohnung und versiegelte die Tür. Dann brachte er Alina ins Wohnheim. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag um 13: 00 Uhr. Bis dahin hoffte er, einen Spezialisten für den Panzerschrank zu finden. Als er Alina verließ, hatte er noch immer den Duft ihrer Haare in seiner Nase.

      Auf der Dienststelle empfing ihn sein Chef übellaunig. Das Innenministerium hatte einen ausführlichen Bericht angefordert. Mazur versprach, das Schreiben sofort fertigzustellen. Zuvor rief er aber Mikulski an, der sich mit Schlössern auskannte. Im Haus behauptete man im Spaß, dass er am legendären Postraub in England beteiligt gewesen wäre und in Polen inkognito lebe. Jedenfalls kannte er sich mit allen gängigen Fabrikaten von Panzerschränken aus.

      Den Bericht für Warschau legte er dem Chef auf den Schreibtisch, da dieser schon längst nach Hause gegangen war. Auf seinem eigenen Tisch stapelten sich die Protokolle von Befragungen der Anwohner und Arbeitskollegen von Jadwiga. Das einzig Nennenswerte war der Hinweis, dass sie sehr eng mit einer ehemaligen Kollegin befreundet war, die sie schon aus Vorkriegszeiten kannte und jetzt in Zakopane lebte. Für die Ermittlungen schien es ihm zwar unwichtig, doch hoffte er, dass sich Alina darüber freuen würde.

      Ein Dossier über Tadeusz Klimek war aufgetaucht, das anlässlich einer Ordensverleihung gefertigt wurde. Es entpuppte sich allerdings als völlig wertlos, da es außer Plattitüden und Lobhudelei keine objektiven Informationen enthielt.

      Es war schon 23: 00 Uhr. Er stieg auf seine Jawa und fuhr nach Hause. Wie immer hatte seine Mutter auf ihn gewartet. Sie liebte es, ihm beim Essen zuzusehen. Es gab Schweinebraten. Auch wenn sich Mazur über den Aufwand ärgerte, vermied er, irgendetwas zu sagen, denn sie hatte ja nur noch ihn. Er schlief wie ein Stein.

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