Der dicke Mann. Wolfgang Armin Strauch
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Die Befragung der Nachbarn ergab nur, dass Frau Klimek in der Bibliothek der Universität arbeitete. Für die meisten war sie die nette Schwester eines ehemaligen Offiziers, der ständig betrunken war.
Über die Universitätsleitung erhielt die Mordkommission Einsicht in die Personalakte. Jadwiga Klimek hatte bereits vor dem Krieg in der Bibliothek gearbeitet. Laut einer amtlichen Bescheinigung war sie von der Gestapo 1944 festgenommen worden. Sie gehörte zu den Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz. Nach dem Krieg bekam sie ihre alte Arbeit in der Bibliothek wieder. Die Beurteilungen schilderten sie als fleißig, freundlich und zuvorkommend. Ursprünglich kam sie aus einem kleinen Ort bei Graudenz, lebte aber seit den 30er-Jahren in Krakau unter der gleichen Adresse. Die Wohnung hatte sie von einer Tante geerbt.
Zu ihrem Bruder Tadeusz Klimek fanden sich im Archiv der Miliz einige Einträge. Vor dem Krieg war er bei den Stadtverwaltungen in Graudenz und in Krakau tätig. 1939 wurde er zur polnischen Armee eingezogen. Nach der Niederlage Polens lebte er in der Sowjetunion. Über diese Zeit waren keine Unterlagen auffindbar. Ab 1943 gehörte er als Offizier zur 1. polnischen Armee. Unter Divisionsgeneral Stanisław Popławski nahm er an einigen Schlachten teil. Nach dem Krieg arbeitete er im Bauamt der Stadt Krakau, wurde aber aufgrund einer Kriegsverletzung 1963 invalidisiert. Ein Gesprächsprotokoll ließ darauf schließen, dass Alkoholismus der eigentliche Grund seiner Entlassung war.
In der Stadtverwaltung fand sich ein Beleg, wonach er Erziehungsberechtigter für seine Enkelin Alina Klimek war, die aber nicht mehr hier wohnte. Im Archiv der Miliz gab es zahlreiche Beschwerden wegen Ruhestörung. Mehrfach hatte er unter Alkohol Nachbarn beleidigt. Es kam zu Gewalttätigkeiten, in deren Ergebnis er zu Geldstrafen verurteilt wurde.
Gegen 10: 00 Uhr kam der Fährtenhund. Mazur setzte große Hoffnungen auf „Alex“. Der Hund nahm am Tatort die Spur auf, stoppte kurz an der Nr. 32, bewegte sich aber weiter. An einer Parkbank schnüffelte er am Papierkorb. Über einige Umwege landeten sie in die Nähe der Marienkirche am Marktplatz. Dort verlief sich die Spur. Um sicherzugehen, kehrte der Hundeführer an den Tatort zurück und führte ihn zur anderen Seite der Gasse. Von hier aus lief er erst in Richtung Wawel und wiederum zum Marktplatz. Am Café „Elena“ hielt er an.
Da nur eine Reinigungskraft im Café war, ließ Mazur den Geschäftsführer aus dem Bett holen und befragte ihn zu den Besuchern des vergangenen Abends.
„Gestern hatten wir volles Haus. Wegen des Feiertags waren sogar die Stühle an der Theke besetzt. Mir ist nichts Besonderes aufgefallen.“
Mazur zeigte ihm das Foto der Toten.
„Das ist Frau Klimek. Sie hat wie immer mit ihrer Enkelin am Zweiertisch gesessen.“
Mazur fragte erstaunt: „Sie können sich aber gut an sie erinnern?“
„Ja. Sie trifft sich alle 14 Tage mit dem Mädchen. Meistens essen sie ein Stück Wallnusstorte und trinken Kaffee. Gestern blieben sie nicht so lange wie üblich da. Circa 21: 45 Uhr sind sie gegangen. Außer bei der Bestellung habe ich mit ihr nicht gesprochen. Es tut mir leid. Sie war eine so nette Frau.“
Mazur ließ sich Namen von einigen Stammgästen geben.
Tadeusz Klimek stand ganz oben auf der Liste der Verdächtigen. Da er zum festgelegten Termin nicht kam, suchte ihn Mazur am späten Nachmittag in seiner Wohnung auf. Als er öffnete, wies der Kriminalist den richterlichen Durchsuchungsbefehl für das Zimmer seiner Schwester vor. Während seine Mitarbeiter die Durchsuchung vornahmen, sprach er mit dem Wohnungsinhaber, der immer noch alkoholisiert war.
„Sie ist also tot. Wie ist es denn passiert?“
Klimek holte tief Luft, bevor er weitersprach. Kann Mord passieren? Es war diese fehlende Anteilnahme, die Mazur irritierte. Da ist gerade die Schwester gestorben und er sprach von ihr wie von einer Sache.
Der Kriminalist fragte, ob er in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches bemerkt hätte oder neue Bekannte im Umfeld aufgetaucht wären. Klimek wusste nichts und kannte niemanden. Sie bewohnten zwar eine Wohnung, hätten aber kaum Kontakt.
Mazur fragte nach der Enkelin, die mit dem Opfer zusammen war.
Klimek sagte ärgerlich: „Das ist nicht ihre Enkelin, sondern meine.“
Dass sich die beiden regelmäßig getroffen hatten, wusste er nicht. Es hätte ihn auch nicht interessiert. Trotz mehrerer Rückfragen gab er dem Kriminalisten keine Adresse. Mürrisch saß er auf einem alten Ledersessel und ignorierte alle weiteren Fragen. Stattdessen öffnete er ein Schubfach und nahm eine Wodkaflasche heraus. Er füllte sein Glas und schüttete den Schnaps in einem Zug herunter. Dann lallte er nur noch.
Mazur gab auf. Hier war nichts mehr zu holen. Seine Kollegen waren erfolgreicher. Sie hatten im Zimmer eine Akte mit den Rentenunterlagen, persönlichen Belegen und einem Testament gefunden. Sie hatte das Haus von ihrer Tante geerbt und Alina Klimek, also die Enkelin ihres Bruders, zur Alleinerbin erklärt.
Ein Ordner war mit Zeitungsausschnitten über das KZ Auschwitz gefüllt. Ein Beleg wies sie als ehemalige Insassin des KZs aus. In einem Schulheft gab es eine umfangreiche Namensliste. Bei einzelnen Personen war eine Adresse eingetragen. Andere waren mit einem Kreuz markiert. Dahinter standen teilweise Ort, Datum und der Name des Friedhofs. Eine weitere Übersicht umfasste Anschriften von Organisationen, die sich um Naziopfer kümmerten.
Allmählich bekam das Opfer ein Gesicht. Auch von der Enkelin, Alina Klimek, fand sich in den Unterlagen eine Adresse. Mazur ließ alles einpacken und fuhr mit dem Dienstwagen zu einem Studentenwohnheim, in dem sie wohnen sollte, traf sie aber nicht an. Eine Mitbewohnerin meinte, dass sie an einem Projekt arbeitete und sicher nicht vor 20: 00 Uhr zu Hause sein würde.
In der Dienststelle berichtete er seinem Chef über den Stand der Dinge:
„Wenn es der Bruder war, könnten wir den Fall schnell abschließen. Aber es gibt weder Zeugen noch Beweise. Der Mann war so betrunken, dass er keine Auskunft geben konnte.“
„Ein Verdacht reicht nicht für eine Anklage. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie mehr Hilfe brauchen. Am Montag steht die ganze Besatzung wieder zur Verfügung.“
Mazur schrieb einige Berichte. Dann fuhr er mit seinem Motorrad zur Adresse von Alina Klimek. Er klingelte. Die junge Frau, sah mit ihren 21 Jahren wie ein Schulmädchen aus. Er hatte zwar seinen Dienstausweis aus der Tasche gezogen, doch sie achtete nicht darauf.
„Mein Name ist Andrzej Mazur. Ich komme von der Miliz. Es geht um Jadwiga Klimek.“
„Kommen Sie herein. Sie müssen die Unordnung entschuldigen. Ich bin gerade erst gekommen. Was ist mit Jadwiga? Hatte sie einen Unfall?“
Die Stimme der jungen Frau zitterte.
Mazur setzte sich auf einen wackligen Stuhl. Sie setzte sich auf das Bett.
Es war seine erste Todesnachricht. Langsam und stockend berichtete er über das Vorgefallene, ließ aber jene Details weg, die die Brutalität des Mordes illustrierten. Alina Klimek rang mit den Tränen. Sie ergriff das Kopfkissen und hielt es vor ihr Gesicht, um ihren Schmerz laut klagend darin zu versenken. Rinnsale salziger Tropfen nässten den Stoff ihrer Bluse, der mit bunten Frühlingsblumen bedruckt war.
Mazur war sich nicht sicher. Dann aber setzte er sich doch auf das