Die List der Schildkröte. Elisabetta Fortunato
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Читать онлайн книгу Die List der Schildkröte - Elisabetta Fortunato страница 3
Die Maschine begann zu fauchen und der Kaffee floss in dunklen Strömen die Düse hinab. Dann brodelte er ein letztes Mal auf. Giovanna drehte den Gashahn zu und wandte sich zum Küchentisch, wo sie ein Tablett mit Tasse und Zuckerbehälter bereitgestellt hatte.
Es war nur eine Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln wahrnahm. Sie schaute zur Tür, schrie auf und wich einen Schritt zurück. Etwas fiel scheppernd zu Boden. Vor ihr stand Maria D’Onofrio, die Putzfrau der Kronberger Straße 28c, eine hagere 62-jährige Neapolitanerin.
»Madonna mia!«, rief Maria erschrocken und legte demonstrativ die Hand auf die Brust. Eine automatische Geste, seit bei der Frau eine leichte Herzrhythmusstörung festgestellt worden war. Vor ihren Füßen lag eine grellfarbene Tüte ihres Stammdiscounters.
Trotz allem fasste sich die Ältere als Erste. Ächzend griff die Putzfrau nach der zerknitterten Plastiktüte, trat wie selbstverständlich in die Küche und legte sie auf den Tisch.
»Was machst du hier?« Giovannas Stimme überschlug sich vor Aufregung. »Um diese Zeit?«
»Sie brauchen nicht so zu schreien, Signora Greifenstaina. Auch wenn ich alt bin, höre ich noch sehr gut.«
»Du hast mich erschreckt!«
»Vor acht stehen Sie doch nie auf, und ich dachte, Sie freuen sich, wenn Sie frische biscotti zum Frühstück haben.«
Marias biscotti – die besten Mandelkekse der Welt – die ihre Putzfrau nur für sie buk. Einfach, weil sie beide aus Kampanien waren.
Giovannas Blick wurde weich und ein warmes Gefühl machte sich in ihrer Brust breit. Sie nahm ihrer Landsfrau die schwere Dose ab und wollte sie, aus einem Überschwang heraus, zu einem Kaffee einladen.
Da knarrte das Bett im Schlafzimmer. Gleich darauf ein zweites Mal. Es war deutlich zu hören. Auf Giovannas Haut legte sich ein klebriger Schweißfilm. Maria sah sie fragend an, dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Ihr Mann ist aus Honcongo zurück. Jetzt verstehe ich.«
Der Seidenkimono, den sie trug, brannte sich regelrecht in Giovannas Rücken ein. Sie musste sich räuspern, um weiterreden zu können. »Jetzt sei so gut und geh. Heute muss ich früh raus.«
»Sie sind nicht die Einzige.« Neben dem Rascheln der Plastiktüte, die sie auf dem Tisch zusammenlegte, war die Putzfrau kaum zu hören. »Auch der professore ist schon weg. Ich habe lange an seine Tür geklopft und …«
Bei Giovanna machte es klick. Karl-Friedrich! Sie hatte vergessen, bei Karl-Friedrich vorbeizuschauen! Obwohl sie …
Weiter kam sie nicht, abgelenkt von Marias Reaktion. Diese starrte mit aufgerissenen Augen auf etwas hinter ihr. War Sonny etwa aufgestanden?
Doch die Neapolitanerin zeigte anklagend auf den Nagel an der Wand. »Wo ist das Horn?« Ihre Stimme zitterte noch mehr als der arthritische Finger.
»Das alte Plastikding?«, antwortete Giovanna, ohne zu überlegen. »Das habe ich weggeworfen.«
»Oddio!« Die Putzfrau bekreuzigte sich mehrmals hintereinander. »Das bringt doch Unglück!«
»Was glaubst du nur an diesen altmodischen Humbug«, versuchte sie, die Frau zu beruhigen.
Es wäre besser gewesen, sie hätte geschwiegen. Denn in dem Moment wurde die Schlafzimmertür geöffnet und Sonny tapste nackt Richtung Badezimmer. Giovanna wollte auf der Stelle sterben.
Maria, die zwar alt, aber mit allen neapolitanischen Wassern gewaschen war, musste es in ihrem Gesicht gesehen haben. Rasch wandte sie sich um, doch erhaschte sie nur noch den Schatten einer dunklen Hand, bevor die Badezimmertür sich schloss.
Als würde sie ihren altersschwachen Augen nicht trauen, drehte sie sich verwirrt zu Giovanna und bat stumm um eine Bestätigung dafür, dass sie nicht das gesehen hatte, was sie glaubte, gesehen zu haben.
Giovanna konnte ihr darauf keine Antwort geben. Sie tat das einzig Vernünftige und hielt den Mund.
Wie von einer schweren Last niedergedrückt, ließ sich Maria auf einen Küchenstuhl fallen. »Heute ist ein merkwürdiger Tag, Frau Greifenstaina. Hängen Sie das Horn auf, bevor er schlimmer wird.«
»Weißt du was? Du hast mich überzeugt.« Giovanna holte den Mülleimer hervor und suchte nach dem Plastikteil.
In der Zwischenzeit ging die Badezimmertür auf und Schritte entfernten sich Richtung Schlafzimmer. Die Ältere hielt den Blick starr ins Leere gerichtet und er belebte sich erst wieder, als das Horn an seinem alten Platz hing.
»Dann will ich die Herrschaften nicht mehr stören.«
»Maria«, sagte Giovanna versöhnlich. »Morgen komme ich früher nach Hause und wir trinken einen Kaffee zusammen. Va bene?«
Die Neapolitanerin nickte schwach, griff nach der gefalteten Tüte und stand auf. Giovanna begleitete sie zur Tür. Aber Maria wäre nicht die gewesen, die sie war, wenn sie nicht das letzte Wort gehabt hätte. Schon mit einem Fuß auf der Treppe, drehte sich die Putzfrau noch einmal herum und sagte: »Grüßen Sie Herrn Greifenstaina von mir.« Und leiser: »Oder wen auch immer.«
Giovanna hatte es genau gehört. Sie warf die Tür zu und fasste einen unwiderruflichen Entschluss: Sie würde das Horn verbrennen.
Nur langsam setzte sich das Gefühl der Erleichterung durch, dass das Aufeinandertreffen trotz allem glimpflich verlaufen war. Umso mehr musste sie jetzt dafür sorgen, dass Sonny ging. Der Professor befand sich offensichtlich schon auf dem Weg ins Museum. Es würde sicher nicht lange dauern, bis er sie wegen der Untersuchungsergebnisse anrief.
Giovanna kehrte in die Küche zurück. Auf einem Stuhl entdeckte sie ihre Clutch. Wenn schon eine Verabschiedung mit guter Erziehung, dachte sie, dann auch richtig. Aus dem Täschchen holte sie ein paar Geldscheine hervor, die Eintrittskarte zur Vernissage vom Vorabend und einen Fotostreifen, der sie schmunzeln ließ, als sie die vier Schnappschüsse von sich und Sonny überflog. Schließlich zog sie den Reißverschluss des Nebenfachs auf und fand seine Visitenkarte.
So heißt du also mit vollem Namen.
Plötzlich war sie hellwach, und ihr kamen gleichzeitig ein frivoler und ein mathematischer Gedanke. Der frivole ließ sie Sonnys Hände auf ihrer Haut spüren, der mathematische rechnen: Minus mal Minus ergibt immer Plus. Was ängstigte sie sich vor Sprichwörtern, Aberglaube und dem sonstigen kampanischen Blödsinn, wenn es die exakte Wissenschaft gab? Sie würde den Tag neutralisieren, auf ihre eigene Art.
Giovanna füllte Kaffee in die Tasse, holte einen besonders knusprig aussehenden Keks aus der Dose und lief, mit dem Tablett in der Hand, zum Schlafzimmer.
»Buongiorno, signor Omowura«, flüsterte sie.
Es hatte einen vielversprechenden Klang.
Dass sie einen Fehler machte, begriff