Inselgötter. Reinhard Pelte
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Jung setzte sich und starrte vor sich hin. Was ist hier eigentlich los?, fragte er sich. Was machte ihn so sauer? Du musst das positiv sehen, versuchte er sich zu überzeugen. Die Anerkennung der Chefs, die Übernahme eines Falles, in dem sie sich bewähren konnten, die in Aussicht gestellte Beförderung. Andere würden darüber schier aus dem Häuschen geraten. Er nicht. Nur Charlotte versüßte ihm die Aussicht auf das heraufziehende Unheil. Die Arbeit mit ihr war immer anregend gewesen. Er konnte sogar von ihr lernen. Das war der einzige Grund sich zu freuen, neben ihrem Anblick natürlich. Sie war wirklich ein Lichtblick in dem ganzen Durcheinander.
Im selben Moment fiel ihm Tiny wieder ein. Der und seine Ängste. Er versaute alles. Sein Leben war ohnehin schon aus den Fugen. Er fühlte sich manipuliert, unter Druck gesetzt, missbraucht. Hätte ihm der Leitende nicht von Anfang an reinen Wein einschenken können? Warum musste er so tun, als stünde noch zur Diskussion, was schon längst entschieden war?
»Ihr Espresso, Signore«, sagte jemand neben ihm.
Jung fuhr auf und blickte erschrocken in das Gesicht von Roberto. Er war klein und hatte eine Halbglatze. Alles an ihm war rund und freundlich. Selbst wenn er den Mund nicht aufmachte, jeder hätte sofort erkannt, dass er Italiener war.
Jung kam gerne in sein Bistro. Er schätzte die leichte Küche. Es gab sechs Speisen auf der Karte, die wöchentlich wechselten. Nur Brot mit Dip gab es immer und gemischte Antipasti, aber die erst ab Wochenmitte. Roberto duzte seine Stammgäste und nannte sie beim Vornamen. Jung atmete auf.
»Entschuldige, ich war in Gedanken. Ich hab dich gar nicht kommen hören.«
Jung nahm die Tasse entgegen und rührte Zucker in den Kaffee.
»Ich sah dich und dachte, ich geh mal rüber«, fing Roberto an.
»Setz dich doch. Ich schätze angenehme Gesellschaft.«
»Grazie, Tomi. Gibt’s Probleme?«, fragte Roberto und setzte sich Jung gegenüber an den Tisch.
»Der Job, Roberto, der Job. Kennst du das nicht?«
»Ich jage keine Kriminellen, Tomi, ich bewirte sie.«
Sie lachten. Roberto wusste, womit Tomas Jung sich herumschlug. Sie hatten sich gelegentlich darüber unterhalten.
»Weißt du eigentlich immer, wann du einen Bösewicht vor dir hast oder einen harmlosen Zeitgenossen?«, fragte Jung amüsiert.
»Du nicht?«
»Mein Chef hat mir gerade angeraten, mehr Zeitung zu lesen. Dann wüsste ich, was mir fehlt.«
Sie lachten. Jung schlürfte seinen Kaffee.
»Zeitung lesen. Mamma mia! An was hat er dabei gedacht?«, fragte Roberto mitfühlend.
»An einen gewissen Eilers. Der Name sollte mir bekannt sein. Meint er jedenfalls. Kennst du ihn?«
»Welchen? Den Senior oder den Junior?«
»Du kennst sie also.«
»Sie sind ab und zu bei mir. Wenn das heißt, dass ich sie kenne, dann ja.«
»Gehören sie zu deinen hungrigen Kriminellen oder zu den anderen?«, fragte Jung.
Roberto schmunzelte und wiegte den Kopf.
»Warum willst du das wissen? Haben sie was ausgefressen?«, fragte er zurück.
»Nein, nein. Der Junior wird vermisst. Ich soll mich darum kümmern.«
»Ach so, ich verstehe«, kommentierte Roberto nichtssagend.
»Was verstehst du? Weißt du etwas über sie?«
»Nein, nein. Jedenfalls nichts, was dir weiterhelfen könnte.«
»Was weißt du denn über sie?«, fragte Jung neugierig.
Roberto stierte auf den Tisch und schwieg.
»Ich weiß, Roberto. Du redest nicht gerne über deine Gäste. Aber in meinem Job bin ich …«
»Sie sind sehr unterschiedlich«, unterbrach ihn Roberto ernst. »Wie Tag und Nacht, como acqua e fuoco, wie Himmel und Hölle. Du weißt, was ich meine, nicht wahr?«
»Okay. Ich weiß, was du sagen willst. Aber eine Vorstellung …«
»Der Alte ist laut, crudamente e arrogante, der Junge leise, discrete e gentile. Capire?«
»Ja, schon verstanden. Aber …«
»Reicht das nicht?«, bemühte sich Roberto, das Thema zu beenden.
»Ja. Das ist schon mal was. Aber ist dir …«
»Möchtest du zum Abschluss una Grappa?«, fragte Roberto dazwischen.
Jung fügte sich Robertos unausgesprochenem Wunsch und brach ab.
»Hast du einen, den du mir empfehlen kannst?«, fragte er freundlich.
»Habe ich tatsächlich«, erwiderte Roberto munter. »Gerade frisch reingekommen. Aus dem Friaul. Einen Grappa Il Merlot di Nonino Monovitigno. Molto fantastico. Du wirst sehen.«
»Hoffentlich schmeckt er auch so«, lachte Jung.
»Er schmeckt auch so«, echote Roberto und erhob sich.
Charlotte Bakkens
Die Walzenmühle lag an der Werftstraße. Ein Stück weiter bis zur Schiffbrücke und Jung war am Hafen angekommen und auf dem halben Weg zurück zu seiner Arbeitsstätte. Er schlenderte vorbei an der Museumswerft und den restaurierten Oldtimern aus Zeiten, in denen noch Kohle auf Gaffelschonern verschifft wurde. Von hier hatte er eine ungehinderte Aussicht über den Hafen bis rüber zum Restaurant Bellevue auf dem Ostufer. Er ließ den Blick schweifen über die Marina links davon, das Hafenkontor und das hässliche Silo der Raiffeisengenossenschaft am Harniskai. Dahinter reihten sich alte Mietshäuser, manche hübsch renoviert, manche, wie die in der Kurzen Straße, abgesackt, schief und dem Abriss nahe. Den Hang hinauf, nach Jürgensby schob sich ein unübersichtliches Gewirr aus Häuschen und Häusern, die durch enge Gassen, Treppen und Wege verbunden waren. Dazwischen kleine Plätze, Bäume, Buschgruppen und Kinderspielplätze. In Richtung Hafenausgang wurde das winklige Viertel von dem Neubau des regionalen Telekom-Anbieters abgeschlossen. Darüber erhob sich St. Jürgen wie das Mahnmal für eine bessere Welt. Und stadteinwärts, oberhalb der Hafenspitze, wachten die massiven Blocks hübscher Altbauten wie eine freundliche Festung über der Stadt, wehrhaft und doch einladend. Er liebte den Anblick. Er liebte seine Stadt, gestand Jung sich ein.
Er riss sich von dem Anblick los und sah nach vorn. Er erkannte sie sofort. Unter den vielen Passanten auf der Pier stand sie weit vorne, am Liegeplatz des Salonschiffs Alexandra. Sie musterte den Oldtimer, eine vielbewunderte Attraktion Flensburgs. 1986 hatte der damalige Besitzer den Dampfer einem Verein geschenkt, deren Mitglieder die alte Lady nicht missen mochten. Sie hatten das Überbleibsel aus vergangenen Seefahrerzeiten vor dem Verschrotten gerettet. Seitdem ist die 1908 gebaute »Alex«, wie sie die Flensburger liebevoll nennen, der letzte seegehende Passagierdampfer