Ein erlesener Todesfall. Фиона Грейс
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Olivia hatte beinahe jeden Tag mit Leanne gesprochen. Sie hatten darüber gewitzelt, dass sie eine Standverbindung zueinander brauchten.
Aber – und das konnte Olivia vielleicht retten – sie und Leanne hatten sich nur selten gesehen. Sie hatten nur ein einziges Meeting zum Start der Kampagne gehabt, denn Leanne hatte ihren Sitz in New York und hatte sich um alle außerstaatlichen Veranstaltungen gekümmert, an denen Olivia nicht teilnehmen konnte.
Urplötzlich hatte Olivia eine Idee.
Sie würde so tun müssen, als wäre sie Italienerin.
Wenn sie mit stark italienischem Akzent sprach, würde das ihre amerikanische Redeweise überdecken, welche sie sofort verraten würde.
Olivia legte wieder ihr professionelles Lächeln auf, als Leanne ihre Ellbogen erwartungsvoll auf den Tresen stützte. Sie hoffte, sie würde damit durchkommen. Es war ihre einzige Chance.
„Buon giorno“, verkündete sie.
Ihre Stimme war höher als normal. Okay, das lag daran, dass sie eine Mordsangst davor hatte, erkannt zu werden, aber es kam ihr auch zugute.
„Ich heiße Sie so herzlich auf La Leggenda willkommen“, quietschte sie und bemühte sich, genauso wie Nadia, die leitende Winzerin, zu klingen, wenn diese Englisch sprach. „Darf ich Ihnen unser Verkostungsmenü vorstellen?“
Niemandem kam ihr starker, gekünstelter Akzent verdächtig vor, und zum Glück starrte Leanne bloß fasziniert auf die Verkostungsliste, verzaubert von den Beschreibungen der Weine.
Eines der Pärchen innerhalb der Gruppe begann auf einmal, angeregt in einer anderen Sprache miteinander zu sprechen und einen erschrockenen Moment lang blieb Olivias Herz stehen. Wenn diese beiden Italiener waren, war sie erledigt. Ihr kläglicher Täuschungsversuch wäre gescheitert.
Sie atmete erleichtert auf, als sie erkannte, dass sie Spanisch sprachen. Gott sei Dank, sie war gerettet.
Sie wagte es nicht, Leanne anzusehen, als sie den ersten Wein präsentierte.
„Das hier ist der magnifico Vermentino“, erklärte sie und hielt ihnen die Flasche hin. „Dieser Wein ist – äh – ganz und gar magnifico, hergestellt aus regionalen Trauben, die in meeresnahen Regionen gedeihen. Er ist bekannt für seinen blumigen und fruchtigen Geschmack und wird vor allem für seine salzigen und zitronigen Obertöne gelobt. Magnifico!“, schloss sie mit einer extravaganten Armbewegung ab und war stolz auf die italienische Authentizität, die sie gerade zum Besten gegeben hatte.
Die Gäste griffen eifrig nach den feinen Kristallgläsern und schwenkten ihre Probierportionen darin herum. Sie liebte es, sowohl die Konzentration auf ihren Gesichtern zu beobachten, als sie versuchten, die Geschmacksnoten und Aromas, die sie beschrieben hatte, zu erkennen, als auch die Freude, wenn sie endlich an diesem perfekten Wein nippten.
Außer Leanne. Sie starrte Olivia nur neugierig an, und Olivia merkte, wie ihr Magen sich langsam zusammenzog.
„Kenne ich Sie von irgendwoher?“, fragte sie. „Das klingt vielleicht nach einer seltsamen Frage, aber Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor. Sind Sie jemals in New York gewesen? Haben Sie vielleicht etwas mit Eventmanagement zu tun?“
Olivia starrte sie nur atemlos an. Was könnte sie antworten, ohne zu lügen? Sie wollte nicht lügen, obwohl ihr ein paar Szenarios durch den Kopf schwirrten – sie könnte sagen, dass sie eine Schwester hatte, die in einer Reality-Show im Fernsehen auftrat, oder eine Cousine, die ein Model in Manhattan war. Aber diese Geschichten würden sie nur noch tiefer ins Chaos reißen. Das durfte sie nicht riskieren.
„Ich bin auf vielen der Fotos des Weinguts, auf ganz vielen! Wir haben eine Webseite, und jeder macht Bilder von uns für Instagram. Alle turistas lieben es, Selfies von diesem magnifico Ort zu schießen!“
Sie wartete, die Flasche fest umklammert, um zu sehen, ob Leanne ihr diese absolut wahre, aber auch völlig falsche, Erklärung abkaufen würde.
„Ja, das wird’s sein!“ Leanne schnippte mit den Fingern. „Ich habe mir Ihre Location auf Instagram angesehen, als ich unsere Weintour geplant habe. Es ist wirklich ein sehr fotogenes Setting.“ Sie wendete sich zu ihrem Partner. „Da fällt mir ein, ich muss dir die Bilder zeigen, die ich auf meinem Spaziergang heute Morgen gemacht habe. Der Sonnenaufgang über den Bergen war spektakulär. Ich suche sie dir schnell mal raus.“
„Genießen Sie den Vermentino.“ Olivia lächelte. „Ich bin in uno momento wieder da und schenke Ihnen den nächsten Weißwein ein, eine Mischung aus regionalen Friulano-, Pinot Bianco- und Sauvignon Blanc-Trauben.“
Erleichtert wankte sie auf wackeligen Beinen davon und zog sich in das Hinterzimmer zurück, um ihr Büchlein mit italienischen Redewendungen zu Rate zu ziehen, das sie in ihrer Handtasche mit sich trug. Ihr schien, dass sie ein wenig zu freizügig mit dem Gebrauch des Wortes magnifico gewesen war. Sie musste sich dringend nach Alternativen umsehen.
Nach der Touristen-Rushhour zur Mittagszeit bemerkte Olivia, dass sie nur noch eine Flasche der berühmten Miracolo-Rotweinmischung im Lager hatte. In der letzten Woche waren die Gäste unermüdlich in die Probierstube geströmt, und Marcellos Bruder Antonio, der sich sonst um den Lagerbestand kümmerte, hatte ein neues Feld bepflanzt. Daher war er zu beschäftigt gewesen, um für Nachschub zu sorgen.
Olivia beschloss, die momentane Flaute zu nutzen, um Antonio zu finden.
Sie unternahm einen kleinen Umweg ins Restaurant, wo der Mittagsservice gerade zu Ende gegangen war. Paolo räumte die Tische im Außenbereich ab. Um ihn zu erreichen, musste Olivia allerdings den Spießrutenlauf aus den dolchartigen Blicken der Restaurantmanagerin auf sich nehmen.
Das Restaurant zu betreten fühlte sich für sie an, als würde sie den Weg über ein Minenfeld wagen, dachte Olivia, als sie sah, wie die perfekt frisierte Gabriella sich zu ihr umdrehte und sie anstarrte.
„Buon giorno“, rief Olivia und versuchte, überlegen, aber dennoch freundlich zu wirken.
Es war nicht ihre Schuld, dass Gabriella sie nicht mochte. Sie war Marcellos Exfreundin, die ihren Job nach der Trennung weiterhin behalten hatte und, wie Olivia erfahren hatte, grundsätzlich jeden verachtete, den Marcello mochte. Es war nichts Persönliches – oder vielleicht doch?
„Was tust du hier?“, rief Gabriella misstrauisch.
„Ich will Paolo fragen, ob er mich kurz vertreten kann, während ich Nachschub an Wein besorge“, erklärte Olivia. „Es ist nur für zwanzig Minuten.“
„Wir haben viel zu tun. Sehr viel. Ich brauche ihn hier“, wendete Gabriella ein und machte eine ausladende Handbewegung über das beinahe leere Restaurant.
Olivia wusste, dass ihr Protest zwecklos war, denn Marcello hatte selbst gesagt, dass sie wenn nötig Hilfe anfordern durfte.
„Nur zwanzig Minuten“, wiederholte sie lächelnd, wohl wissend, dass Gabriella vor Wut schäumte.
Paolo ließ sofort von seiner Aufgabe des Tischeabräumens ab und folgte ihr bereitwillig in den Verkostungsraum.
„Jedes