Einer der auszog, um reich zu werden. Kanghan YUAN
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Aufgrund der Lage im Inneren der Wohnsiedlung ist es besonders nachts recht ruhig und es lässt sich gut leben. Ein paar Pflanzen schmücken die Treppe zur Terrasse, mehr Garten gibt es nicht. Über die Terrasse, die ein kleiner Hund namens »bingjiling« bewacht, und die Bewohner freudig bellend begrüßt, erreicht man durch die Eingangstür direkt das Wohnzimmer. Meine Schwiegeeltern haben ihren Hund auf Deutsch Eiscreme genannt, weil er so gerne das kalte Element schleckt, und gut erzogen, so daß er auch ins Haus darf.
Kaum hat man das Haus betreten, tauscht man Straßenschuhe gegen Hauspantoffeln, denn Schmutz und Dreck sind auch in einem chinesischen Haushalt nicht gern gesehen. In Deutschland befänden wir uns nun im Erdgeschoss, aber in China hat man diese Etage einfach übersprungen und betritt durch die Eingangstür grundsätzlich den ersten Stock. Dann wird wie auch in Deutschland üblich aufwärts gezählt und in den höheren Ebenen finden wir die Küche, das elterliche Schlafzimmer und Hongs Räume, die seit unserer Heirat auch irgendwie auch mir gehören. Li Gengnan, mein Schwiegervater, leistet sich neben dem Schlafzimmer einen Kalligrafie-Raum, in dem er, wie der Name vermuten lässt, seinem Hobby der Kalligrafie frönt. Allerdings gleicht dieser Raum trotz Schreibtisch und Bürostuhl mehr einem Atelier als einem schnöden Büro, denn ursprünglich war er ein Balkon, der durch Überdachung und Rundumverglasung zum Wohnraum umfunktioniert wurde. Statt Computer, Drucker, Tastatur und Maus ist der Schreibtisch mit Schreibpinsel, Stangentusche, Reibstein und Papier bestückt, um der seit Jahrtausenden geltenden chinesisches Tradition gerecht zu werden. Ein paar Lehrbücher runden das künstlerische Ambiente ab.
Hong und ich lernten uns vor zwei Jahren in Suzhou kennen, als ich von Shanghai beruflich dorthin umziehen musste. Der deutsche Pfarrer in Shanghai hatte zwischen uns vermittelt, damit ich bei der Wohnungssuche nicht allein auf weiter Flur stand. Damals hatte sie noch bei ihren Eltern gewohnt, an der Universität Suzhou Rechtswissenschaften unterrichtet und die Professoren unterstützt. Die Arbeit wurde relativ schlecht bezahlt, sie bekam 5.000 RMB im Monat, einschließlich aller Versicherungen und Steuern bei zwei Tagen Anwesenheit pro Woche. Renminbi mit der Abkürzung RMB ist die chinesische Volkswährung und wird auch Yuan genannt. Die fünftausend RMB sind umgerechnet knapp sechshundertfünfzig Euro, was man nicht gerade als großzügiges Einkommen ansehen kann. Allgemein werden Beamte im Vergleich zu Angestellten in der Privatwirtschaft schlechter bezahlt, wen wundert es da, dass einige auf Korruption zurückgreifen.
Trotz des geringen Verdienstes drängten Hongs Eltern darauf, diese Stelle nicht aufzugeben, um den Pensionsanspruch aufrechtzuerhalten, denn die Pensionen für Staatsbedienstete werden in China wiederum gut bezahlt. Um mich bei meinem Vorhaben unterstützen zu können, hat Hong auf Antrag eine unbefristete Pause an der Universität genehmigt bekommen.
Nach den Lieferantenbesuchen und einer Unterhaltung am Mittag mit meinem Chef im Büro habe ich mich von meinen Schwiegereltern bewirten lassen und bin dann mit Hong nach Hause gefahren.
Meine Schwiegermutter Wu Meilan hatte die Vermittlung unserer Doppelhaushälfte übernommen und Li Gengnan hatte den Kontakt zum Makler hergestellt. Bei dieser Aktion wurde mir klar, dass ich ohne Beziehungen in China nicht weit komme oder für jede Kleinigkeit teuer zahlen muss.
Auch in punkto Benennung spart man nicht, denn während in Deutschland doch eher pompöse ausladende Gebäude als Villen bezeichnet werden, gibt es in China neben freistehenden Villen auch Doppelhaus- und Reihenhausvillen.
Unser gemietetes Haus liegt wie sieben weitere Villen in einer kleinen, ruhigen Wohnanlage mit Pförtner abseits der Hauptstraße, hat einen kleinen Garten und ist erst acht Jahre alt.
Das sind schon alle Vorteile, denn die Fenster sind nur einfach verglast und eine Fußbodenheizung wie im Haus meiner Schwiegereltern sucht man hier vergebens. Übrigens ist es südlich des Changjiang-Flusses, im Westen als Yangtze bekannt, nicht üblich, dass Häuser mit Heizungen ausgestattet sind, denn aufgrund von Sparmaßnahmen und der Tatsache, dass in dieser Region selten Temperaturen unter null Grad Celsius herrschen, hat die chinesische Regierung in den 1950er Jahren dies so festgelegt. Aber jeder weiß, dass selbst zehn Grad plus nicht besonders kuschelig sind. Also gibt es drei Möglichkeiten. Nummer 1: frieren – nicht erstrebenswert. Nummer 2: Fußbodenheizung, wenn man es sich leisten kann wie Hongs Eltern. Nummer 3: Klimaanlagen, die auch heizen können.
Glücklicherweise haben wir Nummer 3 in unserem Haus zur Verfügung, was Hong am gestrigen Abend gleich ausnutzte, als wir im kalten Inneren unserer Behausung angekommen waren. Während sie zusätzlich noch Tee kochte, trug ich meine Reisetasche in mein Arbeitszimmer im dritten Stock. Die Teezubereitung ist eine Kunst und wird manchmal regelrecht zelebriert. Traditionell wird Tee durch einen Aufguss aus Blättern der Teepflanze hergestellt, aber Hongs Eltern verwenden zusätzlich auch andere Pflanzenteile wie Knospen, Blüten, Früchte und dergleichen. Während ich Grünen oder Kräutertees bevorzuge, liebt Hong Früchtetees. Interessanterweise wird Schwarzer Tee in China als Roter Tee bezeichnet. Sogar Gelber Tee ist ein Bestandteil der Teelisten, allerdings hat er den Weg in den Großhandel noch nicht gefunden, da er lange Zeit nur im Geheimen auf kleinen Inseln hergestellt wurde.
Vor Weihnachten flogen Hong und ich nach Deutschland, wobei ich eine Woche unserer Reise nutzte, um in der Zentrale von Schluckauf in Ingolstadt zu arbeiten. Jeden Morgen joggten wir gemeinsam vor dem Frühstück durch die Stadt und auf beleuchteten Wegen in Parkanlagen. Dabei stellten wir fest, dass die frische und kalte reine Luft eine Wohltat im Gegensatz zu der Luft in China war. Anschließend fuhren wir zu meinem Vater und meiner Schwester nach Oberfranken in den nördlichsten Zipfel Bayerns, um dort ein paar Tage zu bleiben, Hong evangelisch taufen zu lassen und kirchlich getraut zu werden.
Im Juni 2013 sind wir auf dem chinesischen Standesamt in Nanjing getraut worden und haben auch dort alle notwendigen Unterlagen bekommen. Hong war es wichtig, zu unserer ausladenden Hochzeitsfeier in China ihre ganze Verwandtschaft einladen zu können und somit das Gesicht zu wahren, daher feierten wir letzten Oktober im großen und teuren Stil in Suzhou. Die Wortwahl ist hier ernst zu nehmen, da über dreihundert Gäste geladen waren und alle in Hotels untergebracht und kaiserlich bewirtet wurden. Ich bin meinen Schwiegereltern noch immer dankbar, dass sie die komplette Finanzierung übernommen haben, denn das hätten Hong und ich uns niemals leisten können. Natürlich musste ich auch sämtlichen Anverwandten vorgestellt werden, da bot die Feier eine sehr gute Gelegenheit. Ich hielt eine Rede auf Chinesisch, für die ich lange vorher geübt hatte. Mein amerikanischer Chef von Schluckauf und ein reiselustiges befreundetes Ehepaar aus Deutschland, die ich eingeladen hatte, waren sichtlich beeindruckt. Da meiner Verwandtschaft die Reise nach China zu strapaziös war, versprach ich, auch in Deutschland eine Feier zu geben. Obwohl ich schon seit fünf Jahren in China lebe und arbeite und vorher einige Volkshochschulkurse besucht hatte, reichen meine Chinesisch-Kenntnisse noch immer nicht, um mich mit allen fließend unterhalten zu können. Zudem gibt es in China, wie in Deutschland auch, viele Dialekte, und der Suzhou-Dialekt meiner Verwandtschaft ist für mich gänzlich unverständlich.
Zwischen den Jahren trafen Hong und ich uns mit meinem Sohn Daniel aus erster Ehe und mit einigen alten Freunden, da mir die Verbindung zu diesen Menschen in Deutschland wichtig ist. Silvester feierten wir in Bietigheim, einer Kleinstadt in der Nähe von Stuttgart, wo ich seit Jahren ein Apartment vermiete. So nutzten wir gleich die Gelegenheit, die Mieter zu besuchen