Krähenflüstern. Regine Kölpin

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Krähenflüstern - Regine Kölpin

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gehalten und sich Respekt verschafft.

      Die Tür klackte ein zweites Mal, aber der erwartete Lichtschein blieb aus.

      Offenbar war die Schwester gar nicht erst ins Zimmer gekommen, hatte nur kurz hereingeschaut und war wieder gegangen. Es war eine Schande, wie Elfriede heute behandelt wurde. Das würde Ärger geben, da konnte sich das Personal sicher sein. Nun musste sie klingeln und sich um etwas zu essen kümmern, denn das Zittern der Hände hatte zugenommen. Die Müdigkeit umklammerte ihre Oberschenkel wie ein Schraubstock.

      Doch als sie ihre Hand an den Bügel des Rollstuhlrades legte, hielt sie inne. Ein leichtes Atemgeräusch wehte zu ihr herüber. Es war doch jemand im Zimmer.

      »Hubert?«, flüsterte sie. »Bist du es?«

      Das leise Atmen setzte für einen Moment aus.

      Elfriede versuchte den Rollstuhl zu drehen, um die rettende Klingel zu erreichen, aber sie rutschte mit ihren schweißnassen Händen ab. Sie fiel vornüber und konnte sich gerade noch ausbalancieren.

      Dann wurde sie von hinten gepackt und fest in den Rollstuhl gezogen.

      Der Stich durch die Perlonstrumpfhose in den Oberschenkel kam gezielt. Einen Moment klammerte sich Elfriede an die Hoffnung, es möge doch einfach nur die Schwester sein, die ihr heute das Insulin eigenhändig verabreichte, weil sie selbst häufig recht nachlässig damit umging.

      »Sie müssen erst den Zucker messen, ich habe kaum gegessen«, flüsterte sie. »Seit heute …«

      Elfriede hörte am Klacken, dass es einer ihrer Pens war, der in ihrem Fleisch steckte. Sie hatte beide stets auf der Kommode am Eingang in einer Schale liegen.

      »Ich habe …«, versuchte sie es wieder und wollte sich aus dem Griff befreien.

      Aber gerade, als sie schreien wollte, wurde die Nadel aus ihrem Bein gezogen. Ein Lederhandschuh legte sich über ihren Mund. Sie hörte ein ersticktes Glucksen, das sie erst kurze Zeit später sich selbst zuordnete. Ihre Minuten liefen ab. Elfriede konnte die Sekunden auf der beleuchteten Zifferntafel des Weckers verfolgen. Sie lauschte dem monotonen Klacken, und ihr wurde bewusst, dass dieses Ticken wohl das Letzte war, was sie in ihrem Leben hören würde.

      Irgendwann, der große Zeiger war ein gutes Stück weitergekommen, ließ die Hand Elfriede los. Ein schwarzer Schleier legte sich auf die alte Frau, unter dem sie nun rasch verschwand.

      *

      Thiemo Hanken steckte den Stecker der Baulampe in das Aggregat. Kaltes Licht durchflutete den Neubau.

      »Wie ungemütlich!« Linda griff nach seiner Hand. Bei dem kalten und stürmischen Wetter war sie froh, sich im Inneren des Hauses aufhalten zu können, obwohl sich der Wind seinen Weg auch hier hinein suchte. Ihre Körper warfen große Schatten an die Wände. Linda konnte der Versuchung nicht widerstehen, mit Zeige- und Ringfinger ein Häschen an die Wand zu werfen.

      »Lass das!« Thiemo fuhr sich mit der Hand durch sein dunkles, akkurat geschnittenes Haar. »Laurin ist doch gar nicht da!«

      Er küsste seine Frau, dass die bunte Norwegermütze, die sie über ihre blonden Haare gezogen hatte, zur Seite rutschte.

      »Nun zeig, was du mir zeigen wolltest«, sagte Linda. Sie schob ihn vorsichtig weg, als er begann, ihre Jacke zu öffnen. »Nicht! Es ist hier einfach … zu kalt, keine Atmosphäre …« Linda zuckte mit den Schultern und rümpfte die Nase. »Geht halt nicht. Noch nicht.«

      Es war zur Zeit weder im Haus selbst noch außen herum besonders schön. Die Straße konnte man kaum als solche bezeichnen. Tiefe, mit Wasser gefüllte Schlaglöcher wechselten sich mit schlammüberzogenem Asphalt ab und die Grundstücke ringsum waren noch lehmige Graswüsten. Ihr Haus war erst das dritte, das im letzten Teil des Neubaugebietes in Neustadtgödens gebaut wurde.

      Das Grundstück neben ihnen war aber bereits ausgebaggert, nur lag es wegen des Frostes brach. Ein Grundstück weiter stand das Haus von Sinje und Hanno Probst.

      Linda hatte die beiden in der letzten Zeit nicht oft zu Gesicht bekommen, es hatte sich einfach nicht ergeben. Aber das würde sich bestimmt bald ändern. Sie waren Freunde von Thiemo. Linda war erst wenige Male dabeigewesen, wenn sie zusammengesessen hatten, aber sie waren gut miteinander klargekommen.

      »Bin froh, wenn wir erst tapezieren und schöne Fußböden drin haben«, sagte Linda. »Dann ist das schon anders hier.« Ihre Stimme weckte ein Echo in den kahlen Räumen. Noch hatte sie keine Beziehung zu dem Haus.

      Linda zog die Schultern fröstelnd zusammen. Die Räume wirkten gedrungen und düster. Der graue Putz der Wände und die Leiter, die an Stelle einer Treppe den Zugang zum oberen Stockwerk ermöglichte, ließen nicht einen Moment vergessen, dass sie sich auf einer Baustelle befanden. Dazu kam das schreckliche Wetter draußen.

      »Lass uns gleich noch etwas zu Abend bei dir essen«, sagte Linda. »Ich bin total hungrig und Laurin wird bei seiner Tagesmutter gegessen haben.«

      »Gute Idee. Ich habe Ravioli im Angebot. Und eingeschweißte Tortellini.« Thiemo streichelte Linda am Hals. »Wir werden hier glücklich sein. Bestimmt.«

      Er wirkte völlig entspannt, ein normaler Zustand bei Thiemo. Es gab nur wenige Augenblicke, in denen er nicht locker durchs Leben ging. Linda war da etwas anders gestrickt, dachte komplizierter. Bislang hatte es sich jedoch optimal ergänzt.

      Das Haus war für Thiemo so etwas wie der Höhepunkt seines Lebens. Jedenfalls schien es Linda so. Thiemo war seit zwei Jahren Leiter eines großen Seniorenpflegezentrums. In seiner beruflichen Position hatte man einfach ein Haus und eine Familie, das machte sich gut.

      Linda kam sich trotzdem nicht benutzt vor, dazu liebten sie sich zu sehr. Im Prinzip freute sie sich ja auch auf das Haus. Für sie war jetzt nur die Umstellung etwas schwierig. Sie war erst vor eineinhalb Jahren Hals über Kopf von Köln nach Norddeutschland zurückgekehrt, hatte dann allein in Jever gelebt. Und nun zog sie in dieses kleine Dorf, wo sie außer Sinje und Hanno niemanden kannte. Thiemo dagegen kam aus Sande, dem Nachbarort. Für ihn war es kein Problem.

      »Ich glaube auch … – hoffe einfach, dass wir glücklich werden«, sagte Linda.

      Sie versuchte, ihre kritischen Gedanken zu verdrängen, indem sie sich überlegte, wo sie die alte Kommode am besten hinstellen könnte. Alte Sachen brauchten einen ehrwürdigen Rahmen. Sie durften nicht wahllos irgendwo platziert werden.

      »Wollen wir los?« Thiemo griff nach Lindas Hand und zog sie rasch an sich. Er hatte sein spezielles Rasierwasser aufgelegt. Linda legte ihr Gesicht in seine Halsbeuge und sog den Geruch auf. Thiemo umschlang sie mit seinen kräftigen Armen. Es war gut, so wie es war.

      »Hallo? Seid ihr da?« Sinje und Hanno traten in den Flur. »Wir kommen gerade von der Arbeit und dachten, wir sagen mal Guten Tag. Sind doch ein bisschen neugierig! Dürfen wir?«

      »Klar, kommt rein!« Thiemo ließ Linda los. »Wenn ihr mit der Baulampe genug seht!« Er zupfte seinen grell getupften Schlips zurecht, prüfte mit der Hand seine Frisur und machte eine einladende Handbewegung. »Voilà!«

      Sinje grinste. »Hallo? Du bist nicht auf der Arbeit! Du sollst uns das Haus nur zeigen, keinen Heimplatz verkaufen! Wir sind schon untergebracht!«

      Linda sah, dass Thiemo sich ärgerte, von Sinje zurechtgewiesen zu werden. Aber er sagte nichts, sondern hielt an seinem gewinnenden Lächeln

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