Krähenflüstern. Regine Kölpin

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Krähenflüstern - Regine Kölpin

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ist ja wie ein Schattenkabinett hier«, sagte Sinje und schaute ins Wohnzimmer. »Aber es wird schön, das sieht man trotzdem. Es sieht schon jetzt so … Yin-und-Yang-mäßig aus.«

      Linda lachte. »Woran siehst du denn das auf dieser schrecklichen Baustelle?«

      »An Thiemos Augen und seinem Chi. – Nee, im Ernst, Linda, Thiemo hat von deiner esoterischen Ader erzählt. War nur ein Witz!« Sie lachte so warm und herzlich, dass Linda mit einstimmte. »Hat Thiemo heute direkt mal pünktlich Feierabend gemacht, was?«, fragte Sinje.

      Linda nickte. Es kam nicht oft vor, dass er rechtzeitig zu Hause war.

      »Ich will Hanno kurz was zeigen«, sagte Thiemo. »Oben habe ich eine Leuchte mit Batterien, müsste gehen. Komm, Hanno!«

      »Beeil dich aber«, sagte Linda. »Das First-Class-Menü wartet auf uns.« Sie wandte sich an Sinje. »Was er mir zeigen wollte, hat er augenscheinlich vergessen.«

      Hanno drehte sich am Fuß der Leiter um und lächelte Linda zu, bevor er nach oben kletterte.

      Es war schon seltsam, dass sie es ausgerechnet Thiemos Fußballkumpel zu verdanken hatten, dass sie nun verheiratet waren. Denn er war es gewesen, der Thiemo im letzten Winter mit in die Marktschenke in Jever geschleppt hatte, wo Linda abends als Aushilfe am Tresen bediente, um ihr schmales Budget aufzubessern.

      Hanno war ihr erst nicht gerade sympathisch gewesen, aber als sie ihn dann näher kennen lernte, revidierte sie ihre ursprüngliche Meinung. Inzwischen erschien es Linda wie ein Wink des Schicksals, dass er dort eines Abends am Tresen gesessen und sie mit Thiemo bekannt gemacht hatte.

      Danach war alles so schnell gegangen. Die Hochzeit, ganz heimlich, ohne Aufsehen, ohne Feier. Schließlich dieser Hausbau, den sie spontan entschieden hatten, verliebt wie sie waren.

      Thiemo war immer die treibende Kraft gewesen. Er hatte sie ganz schnell in sein Leben integriert und sie war einfach nur froh gewesen, endlich irgendwo angekommen zu sein.

      Jetzt konnte sie Laurin, ihrem Sohn, alle Sicherheit geben, die er brauchte und so vermisst hatte. Linda hoffte einfach, dass aus Thiemo jetzt, wo sie ihr Leben zusammen verbringen konnten, ein guter Ersatzvater werden würde. Bei seinem Charme zweifelte sie eigentlich nicht daran.

      »Ich hoffe, ich bekomme es so schön hin, wie ihr es habt«, sagte Linda. Bei Sinje und Hanno wirkte alles perfekt. Selbst der Rasen hatte sich im letzten Herbst noch mit großer Energie durch den kleihaltigen Boden gebohrt. Vor den Fenstern hingen bunte Baumwollgardinen und die Fensterbänke schmückten kleine Tonfiguren.

      »Das wird, keine Sorge. Dauert eben.«

      »Ihr seid schon so weit; als würdet ihr seit Jahren drüben wohnen.«

      Sinje lachte und schüttelte ihre langen tiefroten Locken in den Nacken. »Hanno ist halt ein Pedant. Ihm kann es immer nicht schnell genug gehen, alles muss sofort fertig sein. Und wehe, ein Grashalm wächst schief! Ist manchmal ganz schön anstrengend.«

      Ihre Nachbarin hatte etwas Faszinierendes, was sicher an den schönen, grünen Katzenaugen, aber auch an der dunklen und rauchigen Stimme lag. »Warte erst mal ab, bis du Hanno richtig kennen lernst. Vielleicht denkst du dann anders! Nicht, dass der bei dir noch Unkraut rupft, damit es nicht zu uns weht.«

      »Ich hätte nichts dagegen«, sagte Linda lachend. »Mit der Gartenarbeit kenne ich mich nämlich gar nicht aus. Ich zupfe wahrscheinlich ständig das Falsche aus der Erde.«

      Die Stufen der Leiter knarrten, als die beiden Männer wieder nach unten kletterten. »Nun dauert es nicht mehr lange und wir beiden spielen mit Laurin die perfekte Familie«, sagte Thiemo.

      »Perfekt soll es ja gar nicht sein, aber einfach … gut«, lächelte Linda. Da Thiemo mit der Leitung seines Pflegezentrums Sanfte Wellen in Wilhelmshaven viel zu tun hatte, würde Linda ihren Job als Kassiererin aufgeben und zunächst bei Laurin zu Hause bleiben. Wenigstens so lange, bis sich das Leben zu dritt eingependelt hatte.

      Thiemo sah auf die Uhr. »Seid nicht böse, aber wir müssen los. Kurz was essen und dann muss Linda zu Laurin.«

      »Kein Problem. Wie ich Hanno kenne, gibt es im Haus bestimmt noch was zu tun«, meinte Sinje. »Bevor er nachher zum Training verschwindet.«

      »Ich schaffe es heute bestimmt nicht zu kommen«, sagte Thiemo.

      »Ich entschuldige dich. Bau ist Bau, kenne ich.« Hanno legte die Hand auf Thiemos Schulter, fixierte dabei aber Linda lächelnd. Er hatte eigentümlich helle Augen, die gar nicht so recht zu seinem Gesicht passten.

      1968

      »Du musst verstehen, dass du nicht bleiben kannst, hörst du?« Die Stimme ist weich, streichelt ihn mit den Vokalen. Die Hand gleitet über seine dunklen Haare. Als sie damit aufhört, greift sie ohne zu zögern in seinen Schrank, zieht die Sachen heraus und packt den Koffer. »Ich gebe dir etwas von mir mit«, sagt sie und reicht ihm eine durchsichtige Tüte mit einer kleinen blonden Haarsträhne. »Ich werde immer an dich denken, aber jetzt kann ich nicht mehr bei dir sein. Später werde ich dich wieder holen. Ganz bestimmt. Verlass dich drauf!«

      Sie schließt den abgeschabten Koffer, der dabei ein leises Ächzen von sich gibt. Zur Befestigung zurrt sie einen Gürtel darum. Der Junge freut sich ein bisschen auf die große Reise, aber er hätte es schöner gefunden, wenn sie mitgekommen wäre.

      Angst hat er nicht, denn ihre Stimme klingt recht fröhlich und sie plappert munter weiter. »Du kommst zu netten Leuten. Leute, die fest an Gott glauben und gut auf dich aufpassen werden.«

      Er kennt die Leute aus der Kirche. Sonntags gehen sie immer dorthin. Es ist warm und hinterher gibt es Kekse und Tee.

      Er nickt. Alles ist halb so wild. Sie würde ihn wieder zu sich holen, ganz bestimmt. Sie hat es gesagt.

      »Du musst lange fahren«, plaudert sie weiter und steckt ihm ein Malbuch ein. »Damit es nicht langweilig wird.« Ihre Stimme klingt jetzt doch komisch. Als ob sie weinen würde, wenn sie weiterredet. Und so sagt sie nichts mehr, schaut nur immer wieder aus dem Fenster.

      Als der weiße VW-Bus mit der roten Schrift auf den Hof rollt, nimmt sie ihn in den Arm und versinkt mit ihrer Nase ganz in seinem Haar. »Es ist nur für kurz, mein Kleiner. Bestimmt. Nur für kurz. Bis ich es hier im Griff habe. Vertrau mir!«

      Sie winkt ihm hinterher, bis er um die Ecke gefahren ist. Er starrt aus dem Fenster, wo die Bäume an ihm vorbeisurren. Der Mann am Steuer hat noch nichts zu ihm gesagt. Der Junge nimmt seinen Plüschhasen und zieht ihn vor das Gesicht. Der Hase ist der Einzige, der merken darf, dass er doch weint.

      Sie würde ihn holen, hat sie gesagt. Ihre blonden Haare würden sich mit seinen vermischen, so wie es immer gewesen ist.

      Montag, 13.2.

      »Herr Hanken?«

      Thiemo blickte von seinem Schreibtisch auf. Selbst sein Lächeln gelang ihm heute nicht so recht, er hatte das Gefühl, als falle es schief aus. Er war so müde. Die Arbeit auf dem Bau, die sich am Wochenende arg in die Länge gezogen hatte, und die Renovierungsarbeiten in seiner alten Wohnung forderten langsam ihren Tribut. Die letzten Nächte hatte er bei Linda in der kleinen Wohnung in der Anton-Günther-Straße in Jever verbracht, aber es war für zwei Erwachsene und ein Kind einfach zu eng dort. Laurin war zwar ein netter Kerl, aber eben fünf Jahre

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