Sturm im Zollhaus. Heike Gerdes

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Sturm im Zollhaus - Heike Gerdes

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Eigentum verpflichtet, und steckte einiges in soziale Projekte, kümmerte sich um Kinderschutz, Behinderte und Kultur. Gehörte er nicht sogar dem Zollhausverein an? Doch, ziemlich sicher sogar.

      Auf dem Weg durch den Supermarkt ließ Roman den Blick durch die Gänge schweifen, aber ausgerechnet heute war der Chef nicht zu sehen, nicht einmal in der Weinabteilung.

      Dafür sah er den Jungen wieder, der mit einer großen Plastiktüte den Stand mit den türkischen Spezialitäten verließ. Wenigstens hatte er ihm nicht auch noch das letzte Fladenbrot vor der Nase weggeschnappt, wie Roman beruhigt sah. Das packte ihm der nette Iraker bedächtig wie immer in eine Tüte, füllte ein Schälchen mit Zaziki und wartete gelassen, bis Roman sich für eine besonders rücksichtslose Olivensorte entschieden hatte – gefüllt mit ganzen Knoblauchzehen, Lükka würde sich morgen nicht freuen.

      »Da habe ich heute ja gerade noch Glück gehabt.« Er schenkte dem Iraker sein freundlichstes Strahlen. »Ich dachte schon, der Junge aus der Flaschenannahme hätte das letzte Brot geholt. Wie heißt er noch mal? Ahmed, oder?«

      Der älteste Trick, aber der Händler fiel darauf rein, obwohl er, wie Roman wusste, in seiner Heimat zwanzig Jahre lang als Lehrer gearbeitet hatte. Trainingsrückstand, eindeutig.

      »Chalid? Nein, der hat nur ein Brot mitgenommen.« Er hatte den Beutel mit Romans Einkäufen ordentlich zugeknotet, knipste den Kassenzettel an die Tüte und reichte sie über die Theke.

      »Wissen Sie, wo ich ihn erreiche, wenn er nicht arbeitet?«, fragte Roman im Plauderton. Der andere blickte ihn scharf an, dann lächelte er entschuldigend, sagte freundlich: »Ich spreche nicht gut Deutsch, Herr Kommissar«, wünschte einen schönen Abend und machte sich geschäftig daran, die Reste seiner Waren zusammenzupacken.

      *

      Der große Platz neben dem Postamt war nicht wiederzuerkennen. Das ganze Gelände umgab ein zwei Meter hoher Bauzaun aus rostigen Eisengittern, hinter dem die Spurensicherung den Tag über im Schutt gewühlt hatte, um zwischen Unmengen von Ziegelsteinen, verbogenen Eisenträgern, verschmorten Möbeln und Elektronik alles auszugraben, was sie der Brandursache und dem Brandstifter ein Stück näher bringen konnte. Roman wagte keine Prognose, wie lange es dauern würde, alles auszuwerten. Schon ein ganz normales Wohnhaus brauchte seine Zeit, und die Reste des Zollhauses waren entmutigend.

      Detlev Katenhusen, der sich eben aus seinem weißen Papieranzug schälte, sah Roman aus rotgeränderten Augen an und schüttelte auf die Frage nach neuen Erkenntnissen müde den Kopf.

      »Du kannst keine Wunder erwarten, mehr als arbeiten können wir nicht.« Er wies auf den riesigen Schuttberg. »Dass wir Brandbeschleuniger entdeckt haben, weißt du ja schon. Aber das ist ja eine unserer leichtesten Übungen. Was es genau war, findet das Labor in den nächsten Tagen heraus. Auf alle Fälle haben wir an verschiedenen Stellen was gefunden. Geht gleich morgen früh mit dem Kurier nach Hannover.«

      »Also gibt es keinen Zweifel, dass das Feuer gelegt wurde«, stellte Roman fest, während er Katenhusen half, Werkzeug und Spurenkoffer im Auto zu verstauen.

      »Wahrscheinlich nicht. Aber drüben auf der Südseite sind auch noch Farbdosen und so’n Scheiß.«

      Die grafische Werkstatt, erinnerte sich Roman. »Kann so was auch von alleine zu brennen anfangen?«

      »Klar, möglich ist alles. Wenn es warm genug ist, geht auch mal ein Putzlappen voll Firnis ab wie ein Molli.« Katenhusen ließ sich auf den Fahrersitz fallen und schlug die Tür zu. »Wenn wir was Neues rausfinden, erfährst du es, versprochen. Aber für heute habe ich die Schnauze voll, ich brauch auch mal Feierabend. Mein Sohn nennt mich schon Onkel, so selten bin ich zu Hause.« Er drehte den Zündschlüssel und ließ den Motor an. »Vielleicht gibt es ja in Leer militante Kunstgegner oder eine autonome Gruppe zur Reinhaltung ostfriesischer Kultur.« Aus einer Klappkiste, die auf dem Beifahrersitz stand, zog er einen beschrifteten Plastikbeutel. Der Stofffetzen darin war mit etwas Fantasie als Rest einer Leinwand zu erkennen. Noch mehr Fantasie brauchte Roman, um das blaurosa Farbgewimmel als Teil eines Bildes zu identifizieren. Vage fühlte er sich an Aufnahmen des Hubbleteleskops erinnert, wenngleich Hubble vermutlich noch keinen Spiralnebel fotografiert hatte, der einem Paar kopulierender Schweine so ähnlich sah.

      »Verrat mir eins«, forderte Katenhusen im Wegfahren. »Wer malt bloß so was?«

Mittwoch

      6.

      Das Haus war leicht zu finden, in dem Joachim Thedinghausen das herstellte, was Vera Reifschneider mit ehrlicher Begeisterung als »kompromisslose, tief empfundene Kunst« geschildert hatte, »transzendental, vor allem in der Farbgebung, doch von einer geradezu bestürzenden Diesseitigkeit.«

      Bestürzend fand Roman zunächst vor allem, wie stinknormal das Domizil des gefeierten Künstlers in der Nähe des Ditzumer Hafens wirkte. Unter den blütenweißen Halbgardinen standen Geranientöpfe auf den weißlackierten Fensterbrettern, mit leuchtend roten Blüten, die auf den ersten Blick beinahe echt wirkten. An den Wänden hingen keine kompromittierenden Spiralnebel, sondern kolorierte Drucke, die bei näherer Betrachtung verdächtig nach Kalenderblättern aussahen. Irmgard Thedinghausen, die Lükka und Roman tatsächlich Tee aus einer bauchigen Kanne mit Ostfriesenrose eingoss, trug zwar weder Dutt noch Kittelschürze, sondern ein beiges Leinenkostüm und einen schwarzen Pagenkopf, in dem eine breite weiße Strähne ihr das Aussehen einer Dohle gab, dafür knisterte der Kandis vorschriftsmäßig in den kleinen, dünnwandigen Tässchen.

      »Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, was dieses schreckliche Unglück für meinen Mann bedeutet«, sagte sie leise. »Ich mache mir große Sorgen um ihn. Seit er von dem Feuer erfahren hat, habe ich ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Er vergräbt sich richtig in seinem Atelier.«

      »Sie haben ihm doch gesagt, dass wir hier sind?«, fragte Lükka zur Sicherheit, denn Thedinghausen ließ sich immer noch nicht blicken. »Am besten zeigen Sie uns, wo wir ihn finden.« Sie erhob sich.

      »Vielleicht haben Sie recht. Obwohl er es gar nicht mag, wenn Fremde ihn bei der Arbeit stören …« Zögernd stand Irmgard Thedinghausen auf und führte ihre Besucher durch die ordentliche Küche in einen kleinen, dunklen Flur. »Vorsicht, Stufe«, warnte sie und stieß eine grün gestrichene Holztür auf.

      Staunend trat Roman in einen weißgekalkten Raum, geräumig wie ein Wohnzimmer, aber bei weitem nicht so anheimelnd. Die Fenster waren klein und altersblind und ließen wenig Licht herein. Von der hohen Decke baumelte ein daumendickes Seil aus gedrehtem Stahl, an dessen unterer Schlaufe ein S-förmiger Haken in Augenhöhe gefährlich blinkte. Das Seil führte zu einer großen Winde an der Stirnseite, neben der aufgerollt ein altmodischer roter Gartenschlauch hing. Eine fußbreite Rinne zog sich durch die ganze Länge des Raumes bis zu einem Gully an der Rückwand. An einem armdicken runden Balken, den zwei starke Ketten etwas über Kopfhöhe hielten, gab es noch mehr dieser spitzen Haken. Die meisten waren leer, doch mitten im Raum hing ein blitzendes Beil, dessen Klinge so lang war wie Romans Unterarm. Unwillkürlich zog er den Kopf ein.

      »Was in aller Welt ist das hier?«, entfuhr es Lükka. »Ihre private Folterkammer?« Angewidert sah sie hinüber zu einem großen, grob gezimmerten Holztisch, auf dessen speckig glänzender Platte weitere Messer lagen.

      »Gruselig, nicht wahr?« Irmgard Thedinghausen lächelte halb stolz, halb verlegen. »Normalerweise hängen hier im Schlachthaus die Bilder meines Mannes. Aber jetzt hat er sie ja alle nach Leer gebracht zu dieser unglückseligen Ausstellung. Meinen Sie, die Kunstwerke sind noch zu retten?«

      Roman dachte an Katenhusens Sammlung von Plastikbeuteln, stellte sich die Reste der Nebelschweine hier an den Fleischerhaken vor und

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