Sturm im Zollhaus. Heike Gerdes

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Sturm im Zollhaus - Heike Gerdes

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Hausbesuch. Das freundliche Lächeln, das die fensterlederartige, bleiche Haut spannte, vertiefte die Schatten um die tiefliegenden Augen, die hinter der getönten Brille fiebrig leuchteten. Volker Noormann, so stellte der Spuk sich mit überraschend kräftiger Stimme vor, pflegte allerdings ein höchst lebendiges Hobby: Er fotografierte. Seinen Motiven stellte er regelmäßig nach, genau nach Fahrplan, und an ausgefahrenen Gleisen. Gegenüber einem Tierfotografen war er als passionierter Eisenbahnknipser eindeutig im Vorteil, denn anders als Waschbären oder Blaukehlchen ließen die Züge der deutschen Bahn höchstens mal eine Stunde auf sich warten und waren deutlich spurtreuer. Vergleichsweise leichte Beute also. Für Roman reichte das allein nicht aus, um die Faszination zu erklären, die einen Menschen dazu brachte, seine Tage an staubigen Schotterbetten zu verbringen. Aber einen Vorteil lernte er schätzen, als Noormann den obersten Reißverschluss seiner großen, schwarzen Kameratasche aufzog und einen Packen Fotos auf den Tisch legte. Züge hielten sich gewohnheitsmäßig auf den Schienen zwischen zwei Bahnhöfen auf und traten an solchen Orten mehr oder weniger so zuverlässig auf wie die Tapire an der Tränke. Deshalb war auch Noormann gerne am Bahnhof und hatte im ersten Büchsenlicht des frühen Dienstagmorgens auf der Lauer gelegen. Direkt gegenüber vom Zollhaus. Am Dienstagmorgen war aber der Regionalexpress nach Münster nicht planmäßig um 5.02 Uhr gekommen, so dass Noormann die erhoffte Begegnung des RE 14103 mit der Regionalbahn RB 34530 entgangen war.

      Nicht entgangen war ihm aber, dass sich jemand am Zollhaus herumgedrückt hatte. Die Fotos, die Noormann geschossen hatte, waren trotz des Dämmerlichts erstaunlich scharf, die Anschaffung eines lichtstarken Objektivs hatte sich zumindest aus Sicht der Kripo gelohnt.

      »Ein bisschen weit weg ist es ja.« Zweifelnd nahm Lükka das klarste der Fotos in die Hand, drehte es um und hielt es verkehrt herum gegen das strahlende Sonnenlicht, das durch die fleckige Fensterscheibe fiel, um die Schärfe und den Kontrast einzuschätzen. »Aber vielleicht kann ich in unserem Bildbearbeitungsprogramm genug rauskitzeln, damit es für ein Fahndungsfoto reicht. Haben Sie die Bilder auf CD dabei oder können Sie uns den Speicherchip Ihrer Kamera hierlassen?«

      Noormann sah sie gekränkt an. Einen Speicherchip? Seine Kamera? Nicht doch! »Ich fotografiere noch richtig. Digitalbilder haben doch überhaupt keinen künstlerischen Wert.«

      Lükka seufzte leise und Roman konnte das gut verstehen. Ein Dinosaurier mit Kleinbildfilm. Den Nachmittag würde sie also nicht nur damit verbringen, Wilma Poppen ein paar Informationen zu entlocken, sondern auch mit dem Einscannen von Volker Noormanns hochkünstlerischen Technikidyllen. »Trotzdem vielen Dank. Sie haben uns sehr geholfen.«

      9.

      Brummend mühte sich der Lichtbalken unter der Glasplatte entlang, während der Scanner das Negativ Zeile für Zeile abtastete. Den Papierabzug des Fotos einzulesen, war reine Zeitverschwendung gewesen. Auch in der höchsten Auflösung konnte Lükka auf dem Bildschirm nicht mehr erkennen, als dass eine schlanke Gestalt mit langen, offenbar blonden Haaren beim Zollhaus herumgelaufen war. Lükka vermochte nicht einmal zu sagen, ob die Aufnahme einen Mann oder eine Frau zeigte. Direkt vom Negativ konnte sie hoffentlich mehr Details herauskitzeln, sonst brauchten sie erst gar keine Fahndung anzuleiern. Such mal in Ostfriesland einen bestimmten Blonden …

      Das Brummen stoppte, der Abtastbalken fuhr zurück in seine Ausgangsposition und das Foto baute sich langsam im Bildbearbeitungsprogramm auf. Na, mal schauen. Lükka markierte den hellen Fleck, an dem sie das Gesicht des – oder der – Unbekannten vermuten durfte, und vergrößerte ihn, bis er den Bildschirm beinahe ausfüllte.

      Fehlanzeige. Ein Gesicht war es wohl, aber die Darstellung war noch immer viel zu pixelig. Aus diesen unterschiedlich hellen Vierecken war nichts Verwertbares zu erkennen. Also noch mal.

      Die Arbeitsteilung heute war schon in Ordnung. Roman Sturm war am Seziertisch nicht schlechter aufgehoben als Lükka, aber am Computer war Lükka Tammling eindeutig die bessere Besetzung. Auch diesmal bereitete ihr der Kampf mit der Technik ein grimmiges Vergnügen. Ein Computer konnte ein hartnäckiger Gegner sein, aber in den meisten Fällen behielt die Kommissarin die Oberhand.

      Sie ließ den Ausschnitt wie beim vorigen Mal, stellte dafür aber die Auflösung doppelt so hoch ein. Vergrößerung 300 Prozent, Auflösung 1200 dpi, allerfeinste Druckqualität. Das Scanprogramm drohte mit einer enormen Dateigröße und bot eine geringere Auflösung an.

      »Denkste«, brummte Lükka. Sie klickte die Warnung weg und wählte stattdessen Scan akzeptieren. Die Mechanik ließ ein sonores Brummen hören. Lükka legte die Hand auf die Abdeckplatte des Scanners und das Vibrieren übertrug sich über ihren Arm in den ganzen Körper, bis es den Magen erreichte. Dort vereinte es sich mit dem Hunger, der sich schon seit geraumer Zeit zu Wort meldete. Mittag war vorbei, das Frühstück hatte sie ausfallen lassen. Auch jetzt hatte sie eigentlich keinen Appetit. Trotzdem zog Lükka einen Apfel aus der Tasche und legte ihn vor sich auf ihren Schreibtisch, der deutlich übersichtlicher war als der ihres Kollegen. Ein Wunder, dass Roman Sturm nicht alle Nase lang wichtige Dinge verschlampte.

      Das Brummen des Scanners stoppte und langsam, Zeile für Zeile, baute sich das Foto auf dem Bildschirm auf. Ein bisschen unscharf war es noch immer, aber die Gestalt hatte jetzt ein Gesicht, ziemlich sicher ein Männergesicht. Na also. Lükka speicherte das Bild und bereitete eine Rundmail mit dem Fahndungsaufruf an alle Dienststellen vor. Dann schob sie den Apfel an die Seite. Er musste warten. Jetzt fühlte sie sich bestens gewappnet für ein Telefongespräch mit Wilma Poppen.

      10.

      »Feierabend!«

      Sturm schaffte es, keine Miene zu verziehen und dem schnauzbärtigen Mann, der ihn erwartungsfroh anstrahlte, ungerührt die Hand zum Gruß entgegenzustrecken. Dr. med. Feierabend bewies seinerseits trotz seiner knappen einssechzig wahre Größe: Er ließ sich die Enttäuschung darüber nicht anmerken, dass der Kommissar nicht auf seinen Köder anbiss, weder überrascht die Augenbrauen hob, noch erstaunt fragte, ob er zu spät gekommen sei oder sich im Termin versehen hätte.

      »Kann gleich losgehen, Moment noch.« Mit einladender Handbewegung lotste der Gerichtsmediziner Sturm in sein Büro. Während Feierabend aus einer Plastikdose auf seinem Schreibtisch ein handfestes Leberwurstbrot nahm und herzhaft hineinbiss, sah sich der Kommissar in dem großen, dunkel möblierten Raum um. Von den deckenhohen Regalen erwiderten rund sechzig Paar Augenhöhlen seine Blicke. In der scheinbaren Gleichförmigkeit des fleischlosen Grinsens entdeckte Roman auf den zweiten Blick erstaunliche Vielfalt, kein Schädel glich dem anderen. Nicht nur die Größen zeigten deutliche Unterschiede, auch die Farben variierten zwischen einem hellen Elfenbeinton und dunkel rötlichem Graubraun. Glatte Oberflächen wechselten sich mit spröde abblätternder Struktur ab. Kantige Kiefer bleckten neben schmalen Gebissreihen. Hohe, gerade Stirnen sah Roman ebenso wie ausgeprägte Augenbrauenwülste. Von wegen: Der Tod macht alles gleich.

      Auf Augenhöhe lag neben einem der helleren Schädel ein Gegenstand im Regal. Roman ging näher heran und erkannte einen Zimmermannshammer.

      »Eines unserer schönsten Stücke.« Feierabend war auf leisen Sohlen neben Roman getreten und nahm nicht den Hammer, sondern den daneben liegenden Schädel vom Bord. »Hier, sehen Sie!« Er drehte die knöcherne Schale und deutete auf ein trapezförmiges Loch oberhalb der Hutkrempenlinie. »Das Loch hier ist ganz charakteristisch für das Tatwerkzeug, diesen Zimmermannshammer hier. Als Ihre Kollegen nach der Obduktion die Waffe kannten, hatten sie auch ganz rasch den Täter.«

      Roman brummte anerkennend und nickte. Er versprach sich von seinem heutigen Besuch keinen so unmittelbaren Erfolg. Er wollte diesen Pflichttermin im gerichtsmedizinischen Institut einfach nur möglichst schnell hinter sich bringen und war froh, dass Feierabend sich jetzt zur Tür wandte und ihm bedeutete mitzukommen. Na ja, ungefähr so froh, wie wenn eine Zahnarzthelferin ihn ins Behandlungszimmer bat.

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