Stahnke und der Spökenkieker. Peter Gerdes
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Читать онлайн книгу Stahnke und der Spökenkieker - Peter Gerdes страница 6
»In den Metallschränken nebenan«, sagte Kramer. »Steht jedenfalls dran. Die Dinger sind abgeschlossen. Aber da kommen wir schon ran. Soll ich den Przybilski rufen?«
»Przybilski.« Stahnke stutzte.
»Ja, Sie wissen doch, den Hausmeister …« Er unterbrach sich, weil Stahnke ungeduldig abwinkte. Da war etwas, kein Gedanke, keine Erinnerung, sondern nur ein Zipfelchen davon, irgend etwas Erhaschtes. Was?
»Die Zeitung«, sagte er. »Her das Ding.«
Kramer fragte nicht, sondern schob das Blatt wortlos über den Tisch.
Der Sportteil. Regionalsport, Bundesliga, Lokalsport? Nein. Huren- und sonstige Anzeigen auch nicht. Was war es?
Geboren, geheiratet, gestorben. Das war es. Die Todesanzeigen. Schnell überflog er die fett gedruckten Namen in den schwarz umrandeten Annoncen. Blätterte um, schaute, blätterte zurück. Nein, das war es nicht. Kein Przybilski. Kein kleines Kind dieses Namens, gestorben wegen ärztlicher Interesselosigkeit und Selbstüberschätzung, kein kleiner Engel, der nach Rache schrie.
Oder? Nicht so hastig, Stahnke, nicht so luschig. Schau genauer hin.
Er las die Lebensdaten der Verstorbenen. Erstaunlich, wie alt die Leute in Ostfriesland wurden … aber hier, geboren 1990, ein kleiner Junge. Aber er trug einen ganz anderen Namen und hatte auch nicht in Leer gelebt. Die Anzeige war mit einem Kreuz versehen und mit einem Spruch. Nein, kein Bibelwort: »Enttäuschtes Hoffen brennt heißer als die Hölle.« Ach herrje, wer ließ sich denn so was einfallen?
Stahnke sah zu Kramer hinüber. Der Oberkommissar hatte sich wieder hingesetzt, die Beine gespreizt, den Oberkörper geneigt, die Ellbogen auf die Schenkel gestützt, die Handflächen gegeneinander gepresst und den Blick zu Boden gerichtet. Oh ja, auch er hatte gehofft. Obwohl er gesehen hatte und wusste. Aber da war einer, der hatte seiner Hoffnung Nahrung gegeben. Nicht aus Bosheit, nein, aus reiner Bequemlichkeit und Besserwisserei. Was war wohl schlimmer?
Stahnke wandte sich ab. Sein Blick streifte den Heizkörper. Schau genau hin, verdammt noch mal.
Wieder las er die Anzeige: »Enttäuschtes Hoffen brennt heißer als die Hölle. Viel zu früh … nach langem Leiden … in Liebe…«, dann die Namen der Eltern und Großeltern, Geschwister gab es offenbar keine, aber da: »Dein Patenonkel.« Und dahinter der Name.
»Also doch«, sagte Stahnke. »Erich Przybilski.« Das Bauerngesicht. Er hatte genau hingeschaut: Die Augen hinter den vorgehaltenen Händen waren trocken gewesen.
»Was?« Wieder wurde Kramer aus seinen Gedanken hochgeschreckt.
»Holen Sie Przybilski her«, sagt Stahnke. »Bitte. Und seien Sie höflich zu ihm.«
DAS BLINZELN DES AUTOMATEN
Als er den Automaten sah, konnte sich Stahnke eines Grinsens nicht erwehren. »Kottan«, murmelte er leise vor sich hin. Tatsächlich erinnerte der ungeschlachte beigefarbene Kasten stark an den sadistischen Apparat aus der österreichischen Krimiserie. »Kein Kaffee für den Präsidenten«, zitierte der Hauptkommissar leise und stellte sich dabei seinen eigenen Chef vor, wie er versuchte, den Getränkeautomaten von einer Felsklippe zu stürzen.
»Wie bitte?«
Stahnke zuckte zusammen, aber es war nur Kramer.
»Nichts, nichts. Lassen Sie sich nicht stören.«
Kramer hob kurz eine Augenbraue und wandte sich ab. Spock, dachte Stahnke. Faszinierend. Dann schüttelte er den schweren, vom Vorabend her noch etwas umwölkten Kopf. Offenbar hatte er neben dem Wein- auch den Fernsehgenuss übertrieben, mangels anderweitiger Gesellschaft. Vielleicht sollte er es mal mit einem Kaffee versuchen.
Cappuccino sei alle, signalisierte ein rotes Lämpchen. Es schien ein wenig zu blinzeln. Also entschied sich Stahnke für »Kaffee mit Kaffeeweißer und Zucker«. Der Automat schluckte die Münzen und spie heiße Flüssigkeit aus. Allerdings keinen Becher, so dass die Plörre direkt in den Ausguss lief. Das Plätschern und Gurgeln erinnerte entfernt an unterdrücktes Lachen.
»Eigentlich wollten wir da ja noch Fingerabdrücke nehmen.« Der Vorwurf, der in Kramers Stimme mitschwang, wurde durch einen Anflug von Schadenfreude leicht gemildert.
»Oh.« Stahnke versteckte die kräftigen Hände in den Taschen seines Trenchcoats. Dort trug er sie ohnehin am liebsten. »Dann berichten Sie mal«, sagte er, denn ein Themenwechsel schien angebracht.
»Ein Küchenmesser«, referierte Kramer. »Klinge knapp zwanzig Zentimeter lang, sehr scharf. Glatt eingedrungen, genau zwischen zwei Rippen hindurch. Herzkammerperforation. Der Tod dürfte sofort eingetreten sein.«
Der Tote lag auf dem Rücken, längs vor der Spüle, von der Tür zur Redaktions-Teeküche halb verborgen. Stahnke runzelte die Stirn, während er die Leiche betrachtete. Eigentlich gab es nichts Ungewöhnliches zu sehen, wenn man einmal die Tatsache, dass da ein Mann von höchstens fünfunddreißig Jahren mit einem Messer in der Brust tot am Boden lag, nicht als ungewöhnlich einstufte; so etwas erlebte man eben gelegentlich in diesem Beruf. Nein, Leichen an sich irritierten den Hauptkommissar nicht mehr. Aber was dann?
Der Tote war mittelgroß und halbwegs schlank, trug braune Halbschuhe, blaue Jeans und ein schwarzblau kariertes Holzfällerhemd, auf dem sich rund um die Klinge, die zu etwa zwei Dritteln eingedrungen war, ein recht kleiner Blutfleck ausgebreitet hatte – bester Beleg für einen sauberen Stich und einen schnellen Tod. Das Gesicht war oval, die Frisur weder lang noch kurz, die Brille mittelgroß, das Gestell mittelstark. An diesem Mann gab es so gar nichts Auffälliges. War es womöglich das, was ihm aufgefallen war?
Nein. »Kramer«, sagte Stahnke, »schauen Sie doch mal, wie der liegt.«
Kramer schaute. Und zuckte die Achseln. »Auf dem Rücken«, sagte der Oberkommissar in einem Ton, als habe er noch niemals etwas Überflüssigeres ausgesprochen.
»Quatsch«, sagte Stahnke. »Oder ja, natürlich auf dem Rücken. Aber wie er daliegt! Total – na, ungeschickt eben, nicht wahr? Steif und irgendwie paddelig. So liegt man doch nicht.«
Kramer betrachtete seinen Vorgesetzten wie ein freundlicher Arzt einen eingebildeten Kranken. »Steif ist er jedenfalls«, sagte er dann. Den Rest ließ er unkommentiert, und das sagte alles.
»Wann ist der Tod denn eingetreten?«, fragte Stahnke.
»Gestern Abend zwischen halb elf und halb zwölf«, antwortete Kramer. »Um halb elf hat man ihn nämlich noch unten in der Technik gesehen. Irgendwann in der Stunde danach muss es ihn dann erwischt haben.«
»Was hatte er denn um diese Zeit noch hier zu suchen?«
»Der Mann«, Kramer blätterte in seinen Notizen, »übrigens ein gewisser Thomas Kretschmer, ist oder vielmehr war Sportredakteur der Ostfriesland-Nachrichten, gestern Abend hatte er Dienst, und Kickers Emden hat gespielt. Fußball-Oberliga. 0:3 verloren. Den Spielbericht hat Kretschmer noch aktuell geschrieben. Dann hat er sich in der Technik vergewissert, dass alles passte, und ist gegangen. Unten dachten alle, er sei nach Hause. Offensichtlich aber ist er noch einmal in den ersten Stock zurückgekehrt und in die Teeküche gegangen. Tja, und da liegt er immer noch.«
»Thomas Kretschmer also.«