Hopfenbitter. Alexander Bálly
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Anna war, anders als ihre Mutter, weit weniger aufgeregt. Sie wusste, dass sie sicher nichts falsch gemacht hatte, und auch der Opa nicht. Was immer es war, wofür man sie brauchte, war sicher nicht so schlimm wie die kommende Schulaufgabe. So nutzte sie die Zeit, um Englischvokabeln zu büffeln. Daschner saß ihr gegenüber und half gelegentlich bei unregelmäßigen Verben aus.
Als Karola zum siebzehnten Mal auf die Uhr sah, stellte sie fest, dass sie schon die Ewigkeit von achtundzwanzig Minuten warteten. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Dr. jur. Brauer, der Anwalt der Familie, trat ein. Er ließ sich kurz von Karola und Daschner auf dem Flur informieren, dann setzte er sich neben Anna und bat um eine kurze vertrauliche Unterredung mit seinen Mandantinnen.
Nun endlich konnte Daschner Anna befragen. »Du hast es ja schon mitbekommen. Herr Dirk Biss ist gestorben«, begann sie.
»Ja. Das habe ich mitbekommen.«
»Man hat vor einiger Zeit deinen Opa gesehen, wie er mit Herrn Biss in Wolnzach herumgefahren ist. Weißt du davon?«
»Ja, freilich. Der Opa hat mit Herrn Biss a bestimmtes Haus gesucht. Des war ned ganz einfach, weil … sie ham nämlich nur a uraltes Foto g’habt.«
»Weißt du, warum der Herr Biss das Haus gesucht hat?«
»Nein. Er hat es gesucht, als Detektiv, weil ein Klient oder Kunde ihn damit beauftragt hat.«
»Haben die beiden dieses Haus gefunden?«
»Was meinen S’ wohl? Klar hat der Opa raus’bracht, was des für a Haus war. Es war aber gar ned so leicht.«
»Hast du bei der Suche mitgeholfen?«
»Naa, mitg’sucht hab ich selbst ned. Aber i hab dem Opa mit dem Bild a bisserl geholfen, es am Computer vergrößert und so«, und sie berichtete von der Glühbirne als Maßstab.
Daschner lächelte. Dann fragte sie: »Hast du Herrn Biss selbst kennengelernt?«
Hier legte der Anwalt Anna eine Hand auf die Schulter. »Meine Mandantin wird sich zu dieser Frage nicht äußern. Ein Arbeiten am Rechner macht sie noch nicht mordverdächtig. Ein persönliches Kennen von Herrn Biss womöglich schon. Sie wird sich keinesfalls belasten.«
Anna wisperte dem Anwalt etwas ins Ohr. Der nickte. »Ist das so wirklich wahr?«
»Ja, klar. Und beweisen kann ich es auch!«, erklärte Anna. Dr. Brauer wog den Kopf hin und her und meinte dann: »Unter diesen Umständen ist eine Aussage doch sinnvoll.«
»Ich hab den Herrn Biss niemals kennengelernt. Ich hab ihn nie persönlich kenneng’lernt. Ich weiß nur, dass er bei uns angerufen hat. Da hat er mit dem Opa gesprochen. Mit mir nie. Und dann ist er wohl einmal bei uns gewesen. Am Tag darauf. Da bin ich aber in der Schule g’wesen. Das weiß ich, weil mir der Opa davon erzählt hat. Also … ich kenne den Mann ned. Und mein Beweis ist das Klassenbuch in der Schule. Da können S’ sehen, dass ich in der Schul war, als der Biss beim Opa war.«
Daschner lächelte. »Gut. Frau Kirner, können Sie diesen Anruf bestätigen?«
»Ja. Das kann ich. Und ich war auch da, als Herr Biss meinen Vater besucht hat. Und für gestern habe ich ein Alibi. Ich war in der Metzgerei. Unsere Fleischwarenfachverkäuferin und der Geselle werden Ihnen das bestätigen können.«
Daschner war damit zufrieden. »Dann lassen Sie uns das doch mal schriftlich festhalten«, meinte sie und klappte ihren Rechner auf.
Wimmer saß inzwischen Kriminaloberkommissar Konrad und Stimpfle gegenüber.
»So. Dann wollen wir deine Aussage noch einmal durchgehen«, sagte Konrad und griff die Ausdrucke von Stimpfles Protokoll aus dem Drucker.
Wimmer war entspannt. Er hatte sich nichts vorzuwerfen und hatte rückhaltlos alle Fragen der Polizisten beantwortet. Punkt um Punkt las nun Konrad vor, was Wimmer ihnen angegeben hatte. So hatten sie in zwei Dutzend Sätzen schließlich die Essenz der ganzen Geschichte, die Wimmer mit dem Toten verband, vorgelesen.
Am Ende runzelte Konrad die Stirn, und seine buschigen Brauen krochen halb die Stirn hinauf. »Da haben wir noch ein Detail vergessen. Wo war denn dann das Haus gewesen, das ihr gesucht habt?«
Wimmer gab bereitwillig die Adresse an, und Lukas Stimpfle ließ die Tastatur noch einmal klappern, um die Angabe ins Protokoll einzupflegen.
»Bin i jetzt g’strichen von eurer Verdächtigenliste?«, wollte Wimmer wissen.
Konrad seufzte. »Wir werden dein Alibi natürlich überprüfen. Endgültiges können wir jetzt noch nicht sagen. Das verstehst du sicher.«
»Freilich. Und wannst no was wissen willst, meld’st dich einfach. Aber jetzt hab i aa amal a Frage an euch. Was is denn überhaupt passiert?«
»Herr Wimmer, mer könnet unmöglich mehr sagen, als Sie schon wisset«, sagte Stimpfle streng.
»Lassen Sie es gut sein, Stimpfle. Morgen steht es eh in der Zeitung«, meinte Konrad. Als alter erfahrener Ermittler legte er die Regeln der Polizeiarbeit ein wenig großzügiger aus als sein Kollege. Damit war er meist sehr gut gefahren. Er folgte oft auch Spuren, die andere Kollegen längst wegen der Beweislage als Irrwege der Ermittlung abgelegt hätten. Wenn Konrad ein unbestimmtes Gefühl hatte, eine kriminalistische Ahnung, dann verfolgte er auch solche Irrwege länger als andere. Manch ein Beweis fing dann doch an zu wackeln, und plötzlich sah das Bild neu und völlig schlüssig aus. Meist war diese Mühe vergebens, doch immer wieder – oft genug – war er aber auch erfolgreich. Konrads Bonmot »die Welt ist so kompliziert, da können auch Tatsachen täuschen!« war unter den Kriminalpolizisten in Ingolstadt inzwischen ein geflügelter Ausdruck.
»Also gut: Den Biss haben wir gestern am Nachmittag in seinem Auto gefunden. Der Wagen ist von der Straße abgekommen und in einem Gebüsch gelandet. Biss selber war tot. Offenbar hat ihn eine Kugel getroffen. Der Gerichtsmediziner meint, wenn die am Tatort gemessene Temperatur der Leiche stimmt, dass er zwischen vierzehn und fünfzehn Uhr gestorben sein muss. Um die Zeit ist ein Jagdunfall eher unwahrscheinlich. Darum behandeln wir bis auf Weiteres diesen Fall als einen Mordfall.«
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