Reise Know-How Praxis: Sicherheit in Bärengebieten: Mit vielen praxisnahen Tipps und Informationen. Rainer Höh
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Diese ganze Entwicklung kann sehr rasch verlaufen oder sich über Jahre hinziehen – aber das Ende ist fast immer dasselbe: Es kommt zu einem Bärenunfall, der Bär wird als „blutrünstige Bestie“ verschrien und muss entfernt oder getötet werden.
Grizzlys können schon nach wenigen Erfahrungen dieser Art zu einer echten Gefahr werden, während Provianträuber unter den Schwarzbären vergleichsweise (!) harmloser bleiben. Inzwischen ist das Risiko seit vielen Jahren bekannt und in den Parks werden alle Anstrengungen unternommen, es zu minimieren. Durch zunehmende Aufklärung wissen die meisten Parkbesucher heute, was sie beachten müssen – es kommt nur darauf an, dass sie sich auch tatsächlich daran halten.
Verhalten der Bären
„Die beste Waffe, um das Risiko eines Bärenangriffes auf ein Minimum zu reduzieren, ist Ihr Verstand“, schreibt Stephen Herrero in seinem Buch „Bear Attacks“ (s. Anhang). „Benutzen Sie ihn, sobald Sie anfangen, eine Tour in ein Bärengebiet zu planen – und benutzen Sie hn während Ihres gesamten Aufenthalts.“
Je besser man die Bären und ihr Verhalten kennt und versteht, desto besser kann man mögliche Risiken einschätzen und vermeiden – und desto eher weiß man, wie man sich in kritischen Situationen verhalten muss, um die Gefahr eines Unfalls zu minimieren oder um im schlimmsten Fall sogar eine Bären-Attacke glimpflich zu überstehen. Nutzen Sie daher jede Möglichkeit, um sich über Bären zu informieren. So erhöhen Sie nicht nur Ihre objektive Sicherheit, sondern Sie werden sich auch sicherer fühlen und Ihre Tour besser genießen können.
Entwicklungsgeschichte und Besonderheiten
Manche Verhaltensweisen der Bären versteht man besser, wenn man ihre Abstammung und Entwicklung kennt.
Vom kleinen Raubtier zum großen Allesfresser
Die heutigen Bären sind vor ca. 30 Millionen Jahren aus einer etwa fuchsgroßen Art von Fleischfressern hervorgegangen, weshalb sie zoologisch auch zu den Raubtieren gerechnet werden. Ihre Vorfahren, aus denen auch die heutigen Hunde hervorgegangen sind, haben überwiegend von tierischer Beute gelebt, aber – wie unsere Haushunde – gelegentlich auch etwas leicht verdauliche Pflanzenkost (z. B. Obst) zu sich genommen. Im Laufe ihrer Entwicklung haben sie sich, wenn die Jagd schlecht war, immer häufiger mit Pflanzenkost beholfen, die zu bestimmten Jahreszeiten sehr reichhaltig vorhanden und leicht zu bekommen war. Während reine Fleischfresser zwischen Überfluss und Hunger leben, konnten sie auf diese Weise eine gleichmäßigere Energieversorgung sichern. Da sie Zeiten mit knappem Wild leichter überlebten und durch die ständige Futteraufnahme größer und stärker wurden, hatten sie gegenüber den reinen Fleischfressern einen evolutionären Vorteil. Und so entwickelten sich aus den kleinen Raubtieren im Laufe der Jahrmillionen große Allesfresser.
Während sie sich immer mehr auf Pflanzenkost verlegten, verkümmerte ihre Fähigkeit zur Jagd, so dass Bären heute meist nicht mehr dazu in der Lage sind, gesundes Großwild zu schlagen, sobald es mehr als ein paar Wochen alt ist. Der Bärenkenner Andy Russell ist sogar der Auffassung, dass die meisten Bären es einfach nie gelernt haben, ein Tier zu als Beute zu betrachten, das größer als ein neugeborenes Elchkalb ist – und dass daher auch leicht zu erbeutende Haustiere (oder Menschen) gar nicht in ihr Beuteschema passen. In seinem Buch „Grizzly Country“ (s. Anhang) schildert Russel das Beispiel eines Trappers, der jahrelang mitten im „Grizzly Country“ Schweine hielt, die frei und ungeschützt ihre Nahrung suchten – oft in trautem Nebeneinander mit wilden Grizzlys, wie einst im Paradies. Nur ein einziges Mal kam ein Grizzly auf die Idee, dass man diese Kollegen Allesfresser auch verspeisen kann. Er musste erschossen werden – denn hat ein Bär erst einmal herausgefunden, wie leicht Haustiere zu erbeuten sind, dann verlegt er sich sofort auf diese bequeme Kost und kann enorme Schäden anrichten.
Als die großen Allrounder sind die heutigen Bären schlechtere Jäger als die echten Raubtiere und schlechtere Verwerter grober Pflanzenkost als die reinen Pflanzenfresser. Dafür haben sie den entscheidenden Vorteil, dass sie – wie wir Menschen – ein viel breiteres Nahrungsangebot nutzen können als diese Spezialisten.
Mit der schrittweisen Umstellung ihrer Nahrung haben sich die Bären auch physisch dem neuen Futterangebot angepasst. So verfügen sie zum Beispiel über ein modifiziertes Raubtiergebiss mit flacheren Backenzähnen und enormer Kaukraft zum Zermahlen von Wurzeln, Nüssen etc. (weshalb sie auch so erschreckend kräftig zubeißen können!) und über einen längeren Verdauungstrakt als reine Fleischfresser, um die schwerer verdauliche Pflanzenkost besser ausnutzen zu können. Im Vergleich zu reinen Vegetariern und Wiederkäuern hingegen können Bären nährstoffarme Pflanzenkost nur sehr schlecht nutzen. Sie haben nicht das komplexe Verdauungssystem der Wiederkäuer und nicht die Magenbakterien, die ihnen helfen, die Zellulose aufzuspalten und Energie daraus zu gewinnen. Deshalb sind Bären auf relativ leicht verdauliche und energiereiche Pflanzenkost angewiesen. Und dies wiederum erklärt, warum menschliche Nahrung und Abfälle so sehr interessant für Bären sind. Denn auch der Mensch ist wie die Bären ein Allesfresser mit einem ganz ähnlichen Verdauungssystem und braucht daher eine entsprechend aufbereitete kalorienreiche und leicht zu verdauende Nahrung.
Während z. B. Elche dank ihres überlegenen Verdauungssystems den Winter mit einer kargen Kost aus Zweigen, Rinde und notfalls sogar Tannennadeln überstehen können und Rentiere mit der Energie trockener Flechten, müssen sich Bären für den nahrungsarmen Winter einen Energievorrat an Fett zulegen und dann in einen Zustand mit niedrigem Energieverbrauch (Winterruhe) übergehen (s. S. 51).
Für diese „Vorratshaltung“ in Gestalt einer dicken Speckschicht indes sind sie weit besser ausgestattet als jeder Wiederkäuer. Denn während die Wiederkäuer nach jeder Futteraufnahme eine lange Pause machen müssen, um alles ein zweites Mal durchzukauen, können Bären in Zeiten reichhaltigen Futterangebots (z. B. wenn die Beeren reif sind) nahezu pausenlos fressen, dieser nahrhaften Kost sehr schnell die Energie entziehen und sie im Körper speichern. So können sie täglich bis zu einem Kilogramm Körpergewicht zulegen und sich so in nur zwei Monaten, zwischen August und Oktober, einen riesigen Energievorrat anlegen, von dem sie mehr als ein halbes Jahr lang zehren können!
Eine Festmahlzeit – auch für Bären! Daher kann man fast sicher sein, dass sich welche in der Nähe aufhalten!
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Futter = Erfolg
Je mehr ein Bär frisst, desto erfolgreicher ist er und desto eher kann er seine Gene weitergeben. Größe und Gewicht von Braun- und Schwarzbären sind nicht genetisch festgelegt, sondern wachsen mit Nahrungsangebot und Alter. Daher können die Bären in nahrungsreichen Küstenregionen mit kürzeren und recht milden Wintern mehr als doppelt so schwer werden wie ihre genetisch identischen Artgenossen im kargen Binnenland mit seinen langen Wintern.
Männliche Bären können sich umso häufiger paaren, je größer und stärker sie sind. Und für Bärinnen ist das Futterangebot sogar noch wichtiger, denn sie können ihre Jungen nur dann austragen und zur Welt bringen, wenn sie genügend Fettreserven haben, um sich selbst und die Jungen mehr als ein halbes Jahr lang zu ernähren. Andernfalls wird sich eine befruchtete Eizelle nicht weiter entwickeln. Das Nahrungsangebot steht sogar in einer direkten Relation zur Zahl der Nachkommen. Während zum Beispiel eine Grizzlybärin im Yukon erst mit neun Jahren Nachwuchs bekommt und danach nur etwa alle fünf Jahre durchschnittlich 1,6 Junge zur Welt bringt, werden Grizzlybärinnen an der Küste bereits im Alter von vier