Zeit für Weiblichkeit. Diana Richardson
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In dieser Zeit haben viele Paare die Making-Love-Seminare für Paare besucht, die ich zusammen mit meinem Partner Raja leite. In diesen Seminaren ereignen sich Tag für Tag wahrhaftige, sehr berührende Wunder. Viele Paare erleben hier wieder die dynamische Liebe, die sie ursprünglich zusammengebracht hatte, und es gelingt ihnen auch nach dem Seminar, in liebevoller Harmonie gemeinsam weiterzugehen.
Aber nicht alle Partnerbeziehungen verlaufen so, und manche Paare haben sich auch getrennt. Nach einer gewissen Zeit entstanden dann neue Beziehungen, und in Folge davon konnte ich in den Seminaren eine erstaunliche und ziemlich unerwartete Beobachtung machen: Männer, die bereits an meinen Gruppen teilgenommen hatten, tauchten plötzlich mit ihren neuen Partnerinnen wieder auf. Es sind die Männer, die wiederkommen, um diese andere Art von Sexualität mit der neuen Partnerin zu leben, weil sich durch diese tantrische Herangehensweise ihre Liebesfähigkeit erhöht. Überraschend war, dass die Frauen nicht so schnell wieder zum Seminar kamen, obwohl sie beim ersten Mal genauso begeistert waren wie ihre damaligen Partner. Erst in jüngster Zeit kommen manche Frauen wieder zum Seminar, mit dem neuen Liebsten im Schlepptau.
Die Tatsache, dass schon eine ganze Reihe von Männern, aber erst wenige Frauen mit neuen Liebespartnern in den Seminaren wieder aufgetaucht sind, hat mir zwei wichtige Einsichten vermittelt: Einerseits, dass wir Frauen offenbar Angst haben, mit unserem Partner über Sex zu reden, und uns scheuen, ihm offen zu sagen, was unser Körper am liebsten mag. Wir scheuen uns, den Partner auf Alternativen zum üblichen Sex aufmerksam zu machen.
Die größte Angst der Frau ist wohl, ihren Partner zu verlieren bzw. für ihn sexuell nicht mehr attraktiv zu sein, wenn sie neue Wege geht. Aber so traurig es ist: Wenn wir Frauen uns mit dem herkömmlichen Sex begnügen – der im Grunde eine Verzerrung männlicher Sexualität darstellt –, geben wir unseren einzigartigen femininen Zauber und unsere weibliche Kraft weg.
Die zweite Einsicht ist viel ermutigender und wird hoffentlich den Frauen Mut machen, sich im sexuellen Bereich stärker durchzusetzen: Die Tatsache, dass die Männer mit ihren neuen Partnerinnen wiederkommen, zeigt eindeutig, dass die Männer, wenn sie erst einmal eine Kostprobe von dieser anderen Form der Sexualität hatten, auf den Geschmack kommen. Aber wie soll der Mann auf den Geschmack kommen, wenn er es noch nie kennengelernt hat? Oft ist also ein Vorgeschmack tantrischer Sexualität notwendig, damit Sehnsucht danach entsteht.
Von Männern, aber auch von Frauen, die noch keine persönlichen Erfahrungen mit Tantra haben, höre ich öfter die Bemerkung: „Tantra scheint doch eher etwas für Frauen zu sein als für Männer!“
Durch meine eigenen Nachforschungen und aufgrund der positiven Reaktionen meiner männlichen Seminarteilnehmer kann ich aber mit aller Bestimmtheit sagen: „Nein, Tantra ist keineswegs nur für Frauen, es ist garantiert was für Männer!“
Tantra ist also nicht etwas, das nur dazu da ist, Frauen glücklich (und die Männer weniger glücklich) zu machen. Und es ist auch keine Taktik, um den Frauen mal für ein Weilchen das Ruder zu überlassen. Jeder Mann, der einmal auf den Geschmack von diesen wundervollen Tiefen und Höhen einer sich ausdehnenden sexuellen Energie gekommen ist, will es unweigerlich wieder erleben! Aber solange wir Frauen den Männern unsere wahre Weiblichkeit vorenthalten – wie und wo und wann sollen sie dann je auf den Geschmack kommen?
Hier und da findet man vielleicht eine Frau, die es auf natürliche Weise versteht, die sexuelle Energie des Mannes beim Sexakt in sich aufzunehmen und nach oben zu kanalisieren, sodass sie mit ihrem Partner eine höhere sexuelle Dimension erlebt. Es ist wichtig zu wissen, dass eine Frau diese Kunst bewusst lernen kann und so den Mann in eine Sphäre sich ausdehnender sexueller Energie mitnimmt – was ihr selbst größere sexuelle Erfüllung bringt. Die Frau hat von Natur aus allein aufgrund ihres weiblichen Geschlechts die Fähigkeit, in diese Sphäre einzutreten. Als rezeptiver Pol der männlich-weiblichen Dynamik kann die Frau nach innen gehen und den Mann mit sich ziehen bzw. mit emporheben. Das ist die Kraft, die ihr von Natur aus gegeben ist. Durch ihre Empfänglichkeit, ihr Mitfließen und ihre Hingabe wird eine solche innere Bewegung möglich.
Umgekehrt ist das nicht unbedingt der Fall. Für den Mann als aktiver Pol ist es im Allgemeinen nicht so einfach, diese Tür zu öffnen und die Frau in sich aufzunehmen. Um dazu in der Lage zu sein, muss der Mann eine große innere Stille und Klarheit über seine wirkliche männliche Autorität haben. Wenn das empfängliche (weibliche) Element nachgibt und das, was ihm entgegenkommt, wirklich aufnimmt, wird aufgrund dieser Empfänglichkeit die dynamische (männliche) Energie aktiviert und kommt ins Fließen. Dadurch kann der Mann auf mühelose und natürliche Weise der Frau in höhere Energiebereiche folgen und wortlos mitfließen – wenn er in der glücklichen Lage ist, auf solch eine rezeptive weibliche Energie zu treffen.
Eine sexuelle Neuorientierung ist notwendig, und sie muss im Wesentlichen von der Frau ausgehen. Diese neue Erziehung in Sachen Sex muss in den Frauen Wurzeln schlagen und sich von ihnen ausgehend in der Gesellschaft verbreiten – über die Ehemänner, Liebhaber, One-Night Stands, über Mütter, die es ihren Töchtern vermitteln, und Väter, die es den Söhnen beibringen. Was es braucht sind Frauen, die anfangen für sich selbst zu sprechen, sich äußern über ihre wirklichen Bedürfnisse und Empfindungen – und dass die Männer diese Botschaften unbedingt beachten. Das höchste Potenzial wirklicher sexueller Erfüllung und Liebe zwischen Frau und Mann liegt auf ihrem gemeinsamen Weg der sexuellen Selbsterforschung.
Nichtsdestotrotz kann die Frau auch ohne bewusste Mitwirkung des Mannes viel bewirken. Sex ist uns so nahe wie nur irgendetwas, Sex erreicht, berührt und verändert jede einzelne Zelle unseres Körpers. Durch das Erforschen unserer Sexualität können wir – jenseits aller gesellschaftlichen Fassaden und Konventionen, hinter denen wir für gewöhnlich unser tieferes sexuelles Selbst verbergen – entdecken, wer wir in Wirklichkeit sind.
Die Quelle meiner tantrischen Inspiration und Unterweisung ist Osho, mein spiritueller Meister. Osho lehrt Meditation nicht als bloße Übung, sondern als Lebensweise. Er ist ein Mystiker, der die zeitlose Weisheit des Ostens auf die drängenden Fragen anwendet, mit denen Männer und Frauen in unserer heutigen Zeit konfrontiert sind. Er spricht vom Streben nach Harmonie, Ganzheit und Liebe, das den Kern sämtlicher religiöser und spiritueller Traditionen bildet, und beleuchtet für uns die Essenz von Christentum, Hassidismus, Buddhismus, Sufismus, Tantra, Tao, Yoga und Zen.
Es fehlen mir die Worte, um meiner großen Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen – für seinen tief gehenden, anhaltenden Einfluss auf mein Leben. Oshos Interpretationen der alten tantrischen Schriften stellen eine herausragende, umfangreiche Sammlung von Wissen und Erkenntnis dar, die mir glücklicherweise zugänglich gewesen ist, seit ich Mitte zwanzig war.
Tantra ist jenseits aller Techniken. Es ist ein tiefgreifender Weg der Selbstentdeckung und Selbsttransformation, ein alchemistischer Umwandlungsprozess der Basisenergien in höhere, spirituelle Erscheinungsformen verwandelt. Auf diesem Weg kann zwar manche Technik benutzt werden, aber das Geheimnis von Tantra besteht darin, unser sexuell Unbewusstes ins volle Licht der Bewusstheit zu bringen.
„Tantra ist die Umwandlung von Sex in Liebe – durch Bewusstheit“, sagt Osho. Das bedeutet, dass es unendlich viel wichtiger ist, wie wir etwas tun, als was wir tun.
Es ist mir eine Ehre, einige Kostproben von Oshos tantrischen Inspirationen hier und da in dieses Buch einzustreuen. Vielleicht mag es die Leserin und den Leser interessieren, dass Oshos Worte, die hier als schriftliche Texte wiedergegeben sind, ursprünglich in spontanen mündlichen Vorträgen völlig aus dem Stegreif und ohne jede Vorbereitung in Zusammenkünften mit Schülern und einem interessierten Publikum in Indien übermittelt wurden. Erst später wurden sie in Buchform veröffentlicht. Ich möchte