Inkompetenzkompensationskompetenz. Ralf Lisch

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Inkompetenzkompensationskompetenz - Ralf Lisch Klarschiff

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sie sich bereit erklärt hatten, diese Rolle zu übernehmen. In ihrem Büro ging es eben doch weitaus ruhiger und entspannter zu. Zum Glück erfolgte die Auswertung der Postkorbübung vollautomatisch. Das war der Vorteil eines Computers. Schnell und objektiv lag das Ergebnis vor. Doch bevor man sich einen Drink zur Entspannung gönnen würde, standen noch die internen Beratungen an und danach würde man Abschlussgespräche mit den Kandidaten führen müssen.

      Die Beobachter einigten sich schnell auf die abschließenden Beurteilungen. Wo der Computer noch Interpretationsspielräume ließ, da halfen eigene Einschätzungen weiter. Zufrieden stellten alle fest, dass das Assessment Center die persönlichen Eindrücke, die sie schon lange hatten, eindrucksvoll bestätigte. Aber nun war diese Einschätzung natürlich weitaus systematischer und objektiver. Ja, die Beobachter waren geneigt festzustellen, dass ihre Beurteilungen nun wissenschaftlich abgesichert seien. Zumindest quasi-wissenschaftlich. Deshalb seien Assessment Center so erfolgreich, sagte Frau Kluge und die anderen nickten zustimmend. Es sei natürlich auch mit etwas mehr Aufwand verbunden, aber das Ergebnis würde das allemal rechtfertigen.

      So ging es an die Einzelgespräche, in denen die Kandidaten einer nach dem anderen hören würden, wie sie im Assessment Center abgeschnitten hatten und was die Beobachter über ihre weitere Karriere zu sagen hatten.

      Mal klang es hoffnungsvoll, mal eher zurückhaltend. Weichen wurden gestellt. Karrieren nahmen Wendungen. Und während sich die einen bestätigt fühlten und hoffnungsvoll in die Zukunft blickten, weil eine Beförderung nun wohl nur noch eine Frage von Tagen oder höchstens Wochen sein würde, waren auch einige Enttäuschungen unvermeidlich. Doch Frau Kluge machte den erfolglosen Kandidaten Mut. In ein, zwei Jahren hätten sie sicherlich noch einmal eine Chance. Nach den positiven Erfahrungen gäbe es nun häufiger ein Assessment Center. Manchmal brauchten die Dinge eben etwas mehr Zeit, um sich zu entwickeln. Man solle deshalb nicht enttäuscht sein.

      Als letzte war Sabrina dran. Frau Kluges Gesicht hellte sich merklich auf. Man müsse das mal deutlich sagen, wie sehr Sabrina alle Beobachter beeindruckt habe. Niemand habe so sehr überzeugt wie sie. Diese Ruhe und Selbstsicherheit, die sie da an den Tag gelegt habe. Außerdem natürlich ihr Durchsetzungsvermögen in der Gruppe. Besser könne man seine Führungsqualitäten gar nicht zum Ausdruck bringen. Auch beim Intelligenztest habe sie ein bemerkenswertes Ergebnis erzielt. Bei solch einer Punktzahl könne es ja überhaupt keine Zweifel im Hinblick auf ihre weitere Karriere im Hause geben. Man habe da schon ein paar Gedanken entwickelt, welche Position als nächster Schritt in Frage kommen könnte. Wenn sie sich weiter so entwickelte – und das Assessment Center ließe daran überhaupt keine Zweifel – dann hätte sie eine große Karriere vor sich. Sogar Dr. Winter, der extra angerufen habe, um sich nach den Ergebnissen zu erkundigen, obwohl sein Terminkalender ja auch so voll genug sei – aber er setze da nun einmal klare Prioritäten, wie man das von einem Top-Manager erwarte –, also Dr. Winter habe gesagt, dass ihn das Ergebnis in keinster Weise überraschen würde. In keinster Weise – ja, genauso habe er es ausgedrückt.

      Sabrina hatte sich die Lobeshymne geduldig angehört. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. Nun ja, sagte sie schließlich, das klinge alles sehr erfreulich. Allerdings sehe sie das aus einer etwas anderen Perspektive. So ein Assessment Center sei ja keine Einbahnstraße. Sie habe deshalb den Tag auch dazu genutzt, sich ein Bild von der Firma zu machen. Da habe sie bisher vielleicht manches nicht ganz richtig gesehen. Ihr seien nämlich im Verlauf des Assessment Centers einige Zweifel gekommen, ob ein Unternehmen, das die Zukunft seiner Mitarbeiter von einem Schauturnen auf einer künstlichen Bühne abhängig mache, das richtige Umfeld für ihren weiteren beruflichen Werdegang sein könne. Das erinnere sie doch ein bisschen an ihre Zeit damals im Kindergarten. Da hätten sie auch solche Spiele gespielt. Einen Turm aus Bauklötzen hätten sie gemeinsam gebaut und geguckt, ob er umfällt. Aber aus dem Alter sei sie inzwischen raus. Nun wolle sie ernsthafte Arbeit im Management leisten. Ja, sie habe viel gelernt im Assessment Center. Sie habe die Firma genau beobachtet und habe sich einige Notizen gemacht. Die habe sie inzwischen ausgewertet und das Ergebnis sei eindeutig: sie würde es wirklich bedauern, aber diese Firma sei nicht der richtige Ort für ihre weitere berufliche Karriere. Diese Erfahrung nehme sie aus dem Assessment Center mit und dafür würde sie sich gerne bedanken. Mit diesen Worten stand sie auf und verabschiedete sich von Frau Kluge mit einem kurzen Händedruck, bevor sie ging und die Tür hinter sich schloss.

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