Inkompetenzkompensationskompetenz. Ralf Lisch

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Inkompetenzkompensationskompetenz - Ralf Lisch Klarschiff

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frisch vom Friseur und im Gesicht ein siegesgewisses Lächeln – so fühlten sie sich bereit für eine steile Karriere im Management. Gelegentlich war da allerdings ein nervöses Zucken im Gesicht zu bemerken, und wenn sie die Jacke abgelegt hätten, dann wären die Schwitzflecken wohl kaum zu übersehen gewesen. Wenn doch nur erst einmal dieses Assessment Center hinter ihnen liegen würde.

      Dr. Winter hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich für ein Grußwort zu erscheinen. Von großartigen Karriereperspektiven, die sich in den nächsten Jahren im Unternehmen auftun würden, sprach er und dass er und seine Vorstandskollegen auf die junge Generation setzten, die bald das Ruder übernehmen würde, um dieses alteingesessene und überaus erfolgreiche Unternehmen auf Kurs zu halten. Das sei eine gewaltige Aufgabe. Dafür würde man die Besten brauchen und die würde man mit diesem Assessment Center ermitteln. Allein die Einladung sei schon eine Anerkennung. Darauf dürfe man durchaus stolz sein. Wer dann noch das Assessment Center bestünde, habe beste Aussichten auf eine große Karriere – auch wenn dies natürlich keine Garantie für eine umgehende Beförderung sei. Aber immerhin, der erste Schritt sei damit schon mal gemacht. Wer hingegen nicht bestehe, solle keinesfalls enttäuscht sein, denn dies sei nun einmal ein strenger Ausleseprozess. Schon damals im alten China habe man die Beamten nach einem ähnlichen Verfahren ausgewählt. Und damals bei der Reichswehr sei es ähnlich gewesen. Aber das sei vielleicht nicht so ein gutes Beispiel. Jedenfalls wünsche er allen viel Glück und Erfolg. Und während er das sagte, warf er noch einmal einen Blick auf die Agenda und war froh, dass er es bis zum Vorstandsvorsitzenden gebracht hatte, ohne jemals ein Assessment Center zu durchlaufen. Aber das ließ sich nicht vergleichen, seine Fähigkeiten waren ja auch so für jeden offensichtlich gewesen.

      Genug der Worte, es konnte endlich losgehen. Es möge sich doch bitte zunächst jeder einmal selbst vorstellen, sagte Frau Kluge, die allen aus der Personalabteilung bekannt war und die nun das Assessment Center leiten würde. Drei Minuten Zeit habe jeder und die solle man gut nutzen. Es ginge also darum, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, denn nach drei Minuten würde sie jedem rigoros das Wort entziehen. Zeitmanagement sei ganz entscheidend für Manager, sagte sie und hatte inzwischen selbst schon viel zu lange gesprochen. Doch niemand entzog ihr das Wort. Sie war ja die Vorsitzende. Da galten andere Regeln.

      Frau Kluge hätte gar nicht so viel erklären müssen, denn auf diese Aufgabe waren natürlich alle Kandidaten vorbereitet. Sie hatten sich gut informiert, wie solch ein Assessment Center abläuft. Einer nach dem anderen stand auf und präsentierte sich fast so, wie sie es zu Hause vor dem Spiegel geübt hatten. Ausbildung, Studium, derzeitige Aufgaben, vielleicht noch einen Hinweis auf ein Hobby oder einen Sport, den man pflegte – soweit die tägliche Arbeit für das Unternehmen dafür überhaupt genügend Zeit ließ, wie die Kandidaten nicht anzumerken vergaßen. Sonst entstand da womöglich noch ein falscher Eindruck. Ebenso wichtig war, dass das Hobby einen gewissen Anspruch verdeutlichte. Vielleicht klassische Musik. Anspruchsvolle Literatur? Oder doch lieber Sport? Fußball kam da allerdings nicht in Frage. Auch Tennis galt als durchaus steigerungsfähig. Nur die Beobachter wunderten sich etwas, wie viele Kandidaten gerade begonnen hatten, Golf zu spielen. Sie vermerkten es wohlwollend. Wenn sie später die Karriereorientierung der Kandidaten bewerteten, würden sie es berücksichtigen. Doch erst einmal ging es darum zu notieren, ob die Kandidaten bei ihrer Selbstpräsentation Blickkontakt mit ihren Zuhörern hielten. Das war ein Zeichen von Selbstbewusstsein und Offenheit. So hatten sie es von Frau Kluge im Beobachtertraining gelernt. Da gab es Punktabzüge, wenn der Blick auf den Boden gerichtet war oder gar an die Decke, weil die Kandidaten versuchten, sich an ihren zu Hause einstudierten Text zu erinnern.

      Die erste Aufgabe war geschafft. Eine Kaffeepause war in weiter Ferne. Und weil das alles doch noch nicht ganz so locker gelaufen war, wie sie es gerne gesehen hätte, hielt Frau Kluge einen Ice-Breaker bereit. Dafür wurden die Teilnehmer in vier Gruppen eingeteilt und jede Gruppe erhielt die Aufgabe, nun einen möglichst hohen Turm aus Papier zu bauen. Neben dem Kopierer stapelten sich ohnehin immer all die falsch kopierten Blätter, die man nun endlich mal einer sinnvollen Verwendung zuführen würde. Immerhin waren dafür jede Menge Bäume gefällt worden. Klebstoff sei nicht zugelassen, gab Frau Kluge zu bedenken, um die Aufgabe etwas schwieriger zu machen. Hier wurden ja zukünftige Manager gesucht. Aber dann stellte sie doch jedem Team eine Schachtel Büroklammern zur Verfügung. Das Team solle zunächst diskutieren, wie man die Aufgabe am besten anginge, und sich dann für ein Design entscheiden, bevor der Bau des Turms begänne und hoffentlich nicht gleich wieder einstürze. Die Uhr läuft. Jedes Team hat 20 Minuten.

      Frau Kluge war zufrieden. Diese Übung würde das Eis brechen. Sie hatte absichtlich keine Teamleiter benannt. Die Gruppen würden sich also auf einen Kompromiss einigen müssen. Und vielleicht würden sich dabei ja schon einmal einige natürliche Leader herauskristallisieren. Leadership und Teamfähigkeit, das war es, was im Management zählte. Hinzu kamen Kreativität und Innovationsfreude. Da war der Turm geradezu symbolisch. Wo er einstürzte, wäre es nicht weit her mit den Managementqualitäten. Die Beobachter sahen genau hin und machten sich Notizen. Sie hätten gerne eingegriffen. Als erfahrene Manager fühlten sie sich durch ihre Beobachterrolle erheblich eingeengt.

      Die nächste Übung würde nun aber deutlich ernsthafter, sagte Frau Kluge. Es ginge ja keineswegs um die Auswahl von Baumeistern, sondern um die Auswahl zukünftiger Manager. In dieser Rolle würde man sich mit anspruchsvollen Themen und Entscheidungen auseinandersetzen müssen. Das erfordere unternehmerisches Denken und Handeln. Deshalb sollten sich die Kandidaten doch bitte einmal vorstellen, sie würden im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzen, das die Übernahme eines bedeutenden, aber doch etwas kleineren Konkurrenten plane. Beide Unternehmen hätten eine lange Tradition und eine ausgeprägte, allerdings sehr unterschiedliche Firmenkultur. Nur in einem Punkt würden sich beide Unternehmen ähneln. Beide machten seit Jahren erhebliche Verluste, wobei das kleinere Unternehmen allerdings noch schlechter dastehe als das größere. Die optimistisch geschätzten jährlichen Synergieeffekte seien bemerkenswert, würden jedoch geringer ausfallen als die gemeinsamen Verluste. Da sei allerdings noch Potential durch zusätzliche Mitarbeiterfreisetzungen bei dem Übernahmekandidaten. Bei vorsichtiger Schätzung seien die Mergerkosten erheblich. Allerdings bewege man sich in einer Branche, in der Größe Vorteile biete. Leider würden die Experten für die Zukunft keine grundlegende Verbesserung der Marktsituation erwarten. Außerdem sehe man sich einem starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt. All das sollten sich die Kandidaten mal vorstellen und diskutieren. Wie sie da als Aufsichtsräte entscheiden würden. Als Manager müsse man ja Visionen für die Zukunft entwickeln und strategisch denken. Zwei Stunden würden für die Diskussion zur Verfügung stehen und in dieser Zeit solle man möglichst zu einer Entscheidung kommen. Denn Entscheidungsfreude sei eine wichtige Eigenschaft eines Managers.

      Wieder wurden Gruppen gebildet. Der Vorsitz würde während der zwei Stunden wechseln, damit sich jeder in unterschiedlichen Rollen beweisen könne. So saßen die Kandidaten zusammen und versuchten Visionen zu entwickeln und unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Etwas Zahlenmaterial hatten sie auch bekommen, was allerdings wenig daran änderte, dass das Szenario doch reichlich realitätsfern erschien. Über solch eine theoretische Situation musste man ja erst einmal nachdenken. Wer sich das wohl ausgedacht hatte?

      Das Schweigen währte allerdings nur kurz. Als zukünftige Manager fürchteten sie Missinterpretationen. Nichts zu sagen, könnte leicht als Schwäche ausgelegt werden. Man solle die Situation doch erst einmal strukturieren und in einzelne Punkte gliedern, meldete sich eine Teilnehmerin zu Wort, obwohl dieser Vorschlag doch vom Vorsitzenden der Diskussionsgruppe erwartet worden wäre. Die Beobachter notierten es in ihren Beobachtungsprotokollen unter dem Stichwort Initiative und gaben der Teilnehmerin zusätzlich Pluspunkte für analytisches Denken.

      Die Frage, inwieweit sich die unterschiedliche Unternehmenskultur nachteilig auf den Integrationsprozess nach der Firmenübernahme auswirken würde, wurde kontrovers diskutiert. Die einen hatten erhebliche Bedenken, weil kulturelle Veränderungen Zeit bräuchten. Häufig sei auch nach vielen Jahren der ursprüngliche Stallgeruch noch deutlich zu riechen, warnte einer. Er hätte da ein paar Beispiele. Bedenkenträger, notierte der Beobachter an dieser Stelle. Man müsse

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