Inkompetenzkompensationskompetenz. Ralf Lisch

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Inkompetenzkompensationskompetenz - Ralf Lisch Klarschiff

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zurückkehren – worüber die folgenden Geschichten berichten, klingt alles sehr vertraut und merkwürdig zugleich.

      Das macht es erforderlich festzustellen, dass alle Erzählungen der Realität entsprechen – und doch frei erfunden sind. Ähnlichkeiten mit wahren Begebenheiten oder Unternehmen, lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und sollte es sie dennoch geben, so sind sie zufällig. Allerdings beweisen Ähnlichkeiten mit der Managementrealität die Relevanz der Erzählungen.

      Nun sollte allerdings niemand versuchen, die Merkwürdigkeiten, die sich da auftun, ändern zu wollen. Es wäre vergebens und würde nur zu Enttäuschungen führen. Denn die Mechanismen, die hier beschrieben werden, sind systemimmanent. Man sollte sie jedoch kennen und verstehen, denn das eröffnet eine Perspektive, die es erlaubt darüber zu lachen. Genau dieses Lachen erleichtert ein Leben und Überleben im Management ganz ungemein.

      Fokussierung

      Einmal im Jahr schickte die Labora GmbH ihre Manager zum Managementtraining. Diese jährlichen Schulungen wurden allgemein als großer Erfolg betrachtet, denn sie boten allen Beteiligten erhebliche Vorteile. Die Labora hatte sich auf diesem Wege zu Recht den Ruf eines erfolgs- und zukunftsorientierten – kurz: eines modernen – Unternehmens erworben, das sich stets auf Augenhöhe mit den jüngsten Entwicklungen im Management befand.

      Da von der Geschäftsführung der Labora stets nur ein Mitglied zum Training erschien, das dann aber nach einem Grußwort und einer Tasse Kaffee schon bald wieder ging, boten die Seminare die Gelegenheit, eindrucksvoll zu demonstrieren, dass die Unternehmensleitung ein derartiges Training nicht nötig hatte. Das war für alle Beteiligten durchaus nachvollziehbar, denn immerhin hatten diese Damen und Herren bereits die oberste Führungsebene erreicht, was jedoch kaum möglich gewesen wäre, wenn sie Schulungsbedarf gehabt hätten.

      Genau diese grundlegende Erkenntnis bestärkte wiederum die Manager, die am jährlichen Training teilnahmen, in ihrer Überzeugung, dass sie dort etwas lernen, was ihnen auf dem weiteren Weg nach oben von Nutzen sein würde. So war es nur allzu verständlich, dass es inzwischen als Auszeichnung galt, zu diesen Seminaren eingeladen zu werden, und es wäre niemandem in den Sinn kommen, die Einladung abzulehnen, was allerdings ohnehin nicht vorgesehen war.

      Das Human Resources Department und insbesondere Frau Schön als dessen Leiterin sahen wiederum in den Fortbildungsveranstaltungen eine willkommene Gelegenheit zu demonstrieren, dass ihre Abteilung keineswegs nur für Gehaltsabrechnungen, Personalstatistiken und Urlaubsanträge zuständig war. Nein, was da gemeinhin – und meistens eher despektierlich, wie Frau Schön gelegentlich bedauernd feststellte – als Personalabteilung bezeichnet wurde, war bei näherer Betrachtung die treibende Kraft hinter dem großen Erfolg der alljährlichen Managementtrainings. Davon war Frau Schön überzeugt und in dieser Überzeugung fühlte sie sich auch immer wieder durch die zahlreichen Managementtrainer bestärkt, die mit der Labora inzwischen in engem Kontakt standen und Frau Schöns Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen im Management und entsprechenden Seminarthemen außerordentlich zu schätzen wussten.

      So war das jährlich stattfindende Managementtraining bei der Labora GmbH zu einer guten Tradition geworden und man hätte gar von einer perfekten Win-win-Situation sprechen können, wenn da nicht die Mitarbeiter gewesen wären, die jedes Mal, wenn die Manager von ihrem Training zurückkehrten und spontan begannen, ihr neu erworbenes Managementwissen in die Praxis umzusetzen, unter einer gewissen Orientierungslosigkeit litten. Diese nach jedem Training wiederkehrende Herausforderung wurde noch dadurch verstärkt, dass die Themen der Seminare von Jahr zu Jahr wechselten.

      Vor zwei Jahren hatte das Thema gelautet: Auf die Helikopterperspektive kommt es an. Der Blick des Managers für das große Ganze, war als Untertitel hinzugefügt worden. Es war ein durchaus erfolgreiches Training gewesen. Die Manager hatten das Gelernte nach ihrer Rückkehr schnell in die Praxis umgesetzt und kümmerten sich fortan nicht mehr um Kleinigkeiten. Ja, sie hatten verstanden, dass es im Management auf die große Linie ankommt. Davon konnte die Beschäftigung mit Details nur ablenken. Mitarbeiter, die sich trotzdem mit unbedeutenden Kleinigkeiten und sonstigen Feinheiten an ihre Manager wandten, wurden umgehend belehrt: auf das große Ganze kommt es an!

      In der Folgezeit hatte es dann allerdings einige unerwartete und leider auch unerwünschte Entwicklungen gegeben, die die Leitung der Labora zunächst noch als Kollateralschäden eines neuen Managementbewusstseins abgetan hatte. Ein paar Kleinigkeiten waren übersehen worden. Nun ja, das konnte passieren. Man konnte nicht alles sehen, wenn man von da oben aus dem Hubschrauber schaute. Aber die große Linie stimmte natürlich trotzdem. Zumindest anfangs. Erst als sich kritische Fälle häuften, war es selbst aus dem noch höher fliegenden Hubschrauber der Geschäftsleitung nicht länger zu übersehen, dass es da Verwerfungen gab im großen Ganzen. Frau Schön wurde deshalb gebeten, dieser Situation bei der Auswahl des nächsten Seminars Rechnung zu tragen und ein Thema zu wählen, das der unerwünschten Entwicklung entgegensteuern würde.

      So trafen sich die Manager der Labora im folgenden Jahr zu einem Seminar unter dem Titel: Details nicht aus den Augen verlieren. Zum besseren Verständnis hatte Frau Schön auch diesmal einen Untertitel hinzugefügt. Der Blick des Managers für Feinheiten, stand dort und versprach ein interessantes Seminar. Die Geschäftsleitung konnte sich gemeinsam mit Frau Schön auch diesmal darauf verlassen, dass das Seminar ein Erfolg würde. Ein Paradigmenwechsel war vorhersehbar. Nach zwei Tagen intensiver Vorträge, Rollenspiele und anderer Übungen war allen Teilnehmern klar geworden, dass ein Manager sich den Blick für Details bewahren musste, wenn er nicht plötzliche Überraschungen erleben wollte. Aber natürlich durfte er sich nicht mit zu vielen oder gar mit allen Kleinigkeiten beschäftigen, sondern nur mit den wichtigen. Eine Antwort auf die Frage, wie man als Manager eigentlich erkennt, welche Details wichtig und welche unwichtig sind, war nicht im Seminarpreis enthalten und blieb weitgehend unbeantwortet. In der abschließenden Befragung zur Beurteilung des Seminars führte dies zu leichten Punktabzügen beim praktischen Nutzen, wodurch sich das Gesamturteil geringfügig verschlechterte und nur sehr gut statt exzellent lautete.

      Die Mitarbeiter stellten verwundert fest, für welche Kleinigkeiten sich die Manager nach der Rückkehr vom Seminar plötzlich interessierten. Es waren Dinge, die bisher in den Händen der Mitarbeiter bestens aufgehoben waren. Doch nun waren sie unerwarteten Managementeinflüssen ausgesetzt, obwohl da doch nach ihrer Ansicht gar kein Handlungsbedarf bestand. Wer allerdings schon länger bei der Labora beschäftigt war, war mit den Auswirkungen von Managementseminaren vertraut und nahm es gelassen hin. Da war es auch irgendwie naheliegend, dass die Manager nicht nur einfach verstehen wollten, wie all die Details abliefen und zusammenhingen. Details nicht aus den Augen verlieren, hatte das Seminar geheißen und deshalb wollten sie nun mitreden. Immerhin waren sie Manager. Da wollten die Mitarbeiter, in deren Händen die Details bisher bestens aufgehoben waren, nicht länger im Wege stehen und überließen Detailentscheidungen in Zukunft ihren Managern.

      Die Manager kompensierten ihre immer noch begrenzte Detailkompetenz durch ihre grenzenlose Durchsetzungskraft und trafen zunehmend fragwürdige Entscheidungen, deren Auswirkungen allerdings lange Zeit verborgen blieben, weil sich niemand für das große Ganze interessierte.

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