Leni Behrendt Staffel 3 – Liebesroman. Leni Behrendt
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»Doch, die habe ich«, gab sie unbefangen zu. »Über einen Sohn freut sich wohl jeder Vater und ist stolz auf ihn. Doch nun komm, Trutzi, du mußt ins Bettchen, sonst wirst du vor Übermüdung unleidlich. Wir sehen uns ja dann beim Abendessen.«
Dann hob sie das Kind auf den Arm, nickte den anderen freundlich zu und schritt leichtfüßig davon. Und kaum, daß sich die Tür hinter ihr schloß, fragte Hermine schmunzelnd: »Hm, was sagst du nun zu deiner Frau?«
»Großmama, ich bin einfach überwältigt. Was ist nur aus dem sanftsäuselnden Tränensuslein geworden? Diese Verwandlung mutet direkt wie ein Wunder an.«
»Genauso wie bei dir«, kam es trocken zurück. »Na, na, zieh nicht die Stirn kraus, ich bin ja schon still. Sei froh, daß der Empfang so freundlich ausfiel. Brunhild und ich hatten ihn uns gewiß anders vorgestellt – nun aber ab mit dir in dein Reich, wo du alles unverändert vorfindest! Mach dich frisch und erscheine pünktlich zum Abendessen, das wie stets um sieben Uhr eingenommen wird. Also bleibt dir fast noch eine Stunde Zeit, um dich zurechtzufinden – was hier übrigens gar nicht schwierig ist, weil alles beim alten geblieben ist. Wir sind nämlich sehr konservativ, mein Sohn – in jeder Beziehung.«
Schweigend verließ er das Zimmer, und die alte Dame atmete erleichtert auf.
Trutz suchte sein Schlafzimmer auf, in dem er tatsächlich alles unverändert vorfand. Hinter der breiten Glastür, deren geschliffene Scheiben wie von Eisblumen bedeckt anmuteten, lag wohl das Reich seiner Frau, das ihm noch unbekannt war. Denn als er damals von der Hochzeitsreise sozusagen auf einen Sprung nach Hause zurückkehrte, hatten ihn die Zimmer nebenan absolut nicht interessiert, aber heute – ja. Also wollte er sie in Augenschein nehmen, allein die Tür war verschlossen.
Wieder einmal stieg ihm die Röte der Beschämung ins Gesicht. Die Zähne bissen sich so fest zusammen, daß die Wangenmuskeln spielten. Und wenn er trotz des unpersönlichen Empfangs dennoch eine kleine Hoffnung gehabt, so erlosch jetzt auch dieses kleine Fünkchen.
Hastig wandte er sich ab und betrat das Ankleidezimmer, wo er bereits alles zum Umkleiden bereit fand. Denn völlig wurden Schrank und Schübe nicht entleert, als er die Koffer packte, die jetzt noch auf der Bahn lagen. Der Diener Kilian hatte sogar noch Auswahl gehabt, als er die Sachen zurechtlegte.
Wie auf ein Stichwort trat der Mann ein, der seiner Herrschaft schon durch drei Jahrzehnte treu diente. Über das glatte, sonst so undurchdringliche Dienergesicht liefen die hellen Tränen. »Gott zum Gruß, Herr Baron«, flüsterte er. »Endlich ist der Tag, den wir alle hier so inbrünstig ersehnten.«
»Dank dir, Kilian«, sagte Trutz lächelnd und strich die Wange des Getreuen. »Du weißt doch für alles ein Sprüchlein, welches hast du mir nun zugedacht?«
Da zog ein Schmunzeln über das Gesicht des alternden Mannes. »Bis hierher und nicht weiter sollst du kommen, denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.«
»Ist doch nur gut, daß es weise Männer gab, die ihre Aussprüche prägten. Ob sie jedoch immer recht damit hatten, kann nur die Erfahrung lehren. Und nun werde ich erst einmal meinen äußeren Menschen auffrischen.«
Damit war er gerade fertig, als der Gong zum Abendessen rief. Tadellos gekleidet, betrat Trutz das Speisezimmer, wo über dem runden Tisch, der im Erker stand, eine Hängelampe brannte. Tausendfach brach sich ihr Licht in dem darunterstehenden Silber und Kristall.
Alles noch so wie früher, dachte Trutz beglückt. Tief sog er den Duft ein, der das ganze Haus durchwehte, ein Gemisch von Rosen und Lavendel, der Herz und Hirn umschmeichelt – und nach dem man sich krank sehnt in der Fremde.
»Da bist du ja«, sagte die Großmutter, mit heimlichem Stolz die rassige Männergestalt musternd. Und den gleichen Blick hatte sie für das junge Menschenkind, das gleich danach sichtbar wurde.
Nun, von dem sentimentalen Gänschen, wie Trutz es damals so spöttisch nannte, konnte hier gewiß nicht die Rede sein. Zwar war das Gesichtchen auch jetzt noch von einer sinnverwirrenden Süße, aber die Augen blickten nicht mehr so schwärmerisch, sondern leuchteten in so intensiver Bläue wie der Himmel an einem lachenden Maientag. Die mittelgroße Gestalt war nicht mehr so gebrechlich zart, sondern von graziler Schlankheit, und die Stimme, die früher immer einen wehleidigen Ton hatte, klang frisch und fröhlich. »Melde mich zu Stelle. Hoffentlich gibt es etwas Gutes zu essen. Ich habe mir nämlich vor lauter Hunger schon etwas von der Abendmahlzeit Trutzis stiebitzt.«
Dabei lachte sie den Gatten so lieblich an, daß ihm das Blut heiß in die Schläfen stieg. Am liebsten hätte er ja dieses bezaubernde Geschöpf an das hartschlagende Herz gedrückt und den blühenden Mund geküßt, wie er es sich in letzter Zeit so oft ausgemalt – aber ach, dieser heißen Sehnsucht würde er sicherlich fürs erste nicht nachgeben dürfen – vielleicht überhaupt nicht mehr.
Mit einem Seufzer nahm er seinen Stammplatz an der Tafel ein und blieb wortkarg, während die anderen sich angeregt unterhielten. Und wie sie es taten, daran konnte er erkennen, daß sie sozusagen ein Herz und eine Seele waren. Daß eine innige Gemeinschaft sie umschloß, zu der man ihn wohl längst nicht mehr rechnete.
*
Es gab in diesem Jahr frühe Ostern. Doch da der Frühling warme Sonnentage gebracht, hatte der Winter spurlos verschwinden müssen. Im Park waren die Rasenflächen von lustigbunten Krokussen übersät, einige Sträucher blühten bereits, und die Bäume zeigten hie und da schon frisches Grün.
Der goldigrote Sonnenball war erst eine knappe Stunde hinter dem Horizont emporgetaucht, als der junge Baron Swindbrecht sein Ankleidezimmer verließ, um einen geruhsamen Spaziergang durch den Park zu machen, da er seine Lieben noch schlafend glaubte.
Als Trutz dann später am Frühstückstisch erschien, fand er seinen Schwiegervater mit drei ihm noch fremden Menschen vor. Alfred Leinsen hatte nämlich vier Monate nach der Scheidung von Leila wieder geheiratet – und diesmal war seine Wahl auf die Witwe eines Geschäftsfreundes gefallen, die nach dem Tode des Gatten Aktionärin des großen Unternehmens geworden, in dem Leinsen führend war. Frau Ilka, die er seit Jahren kannte, hatte ihm schon immer gut gefallen, und nun sie Witwe war, durfte er frei um sie werben. Mit Freuden ging sie darauf ein und fand in Alfred einen besseren und lieberen Gatten, als der erheblich ältere ihr jemals hatte sein können. Sie legte vertrauensvoll ihr und ihrer Kinder Wohl in die Hände des Mannes und hatte das in der nunmehr zweijährigen Ehe noch nicht eine Stunde bereut; denn Alfred wurde ihr ein guter Gatte und Sohn und Tochter ein guter Stiefvater, den er jedoch nie herauskehrte, wofür man ihm dankbar war.
Von dieser neuen Verwandtschaft erfuhr Trutz erst, als er nach Hause zurückkehrte, und zwar von der Großmutter, die unter vier Augen mit ihm darüber sprach. Sie sagte ihm auch offen, daß der damals neunzehnjährige Gisbert sich gleich über Kopf und Kragen in die gleichaltrige Stiefschwester verliebt hätte, und als Trutz fragte, wie Ragnilt zu dem jungen Mann stehe, entgegnete Hermine achselzuckend:
»Mit einer Unbekümmertheit, die schon fast an Einfalt grenzt. Sie betrachtet wahrscheinlich die Männer als Wesen, denen zum Unterschied von der Weiblichkeit der Schnurrbart wächst. Nun, du wirst ja sehen und dir dann selbst dein Urteil bilden können.«
Wozu sich dann heute Gelegenheit bot, als Familie Leinsen erschien, um den Heimgekehrten zu begrüßen. Herzlich streckte der Schwiegervater ihm beide Hände entgegen und betrachtete ihn schmunzelnd.
»Potztausend, Junge, was bist du doch bloß für ein schneidiger, kräftiger Kerl geworden. Findest du das nicht auch, Frauchen?«