Perry Rhodan 3078: Pluto. Susan Schwartz
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Nene war ein wenig neidisch auf dieses zweifellos gut programmierte Spektakel, wenngleich sie in Interviews stets betonte, dass es beim Gesang auf die inneren Werte und die Schlichtheit der reinen Stimme ankam. »Was führt dich zu mir?«, fragte sie.
»Es gibt einen kleinen Streit, ob unser Auftritt genehmigt werden soll.« Engine-Ones Stimme erklang volltönend aus allen Seiten der Pyramide zugleich. »Man ist sich im Gestänge des Pluto nicht ganz einig.«
Nene schaute hinaus ins Himalaja-Gebirge. »Hm«, machte sie. Wer sie kannte, wusste, dass sie damit um Zeit bat, um in Ruhe nachdenken zu können. Und Engine-One kannte sie gut.
Sie versuchte zu überlegen, doch ihre Gedanken schweiften ab. Konnte der Posbi Ungeduld verspüren? Langeweile? Oder schaltete er einfach ab – was aber nur für seine mechanischen Bestandteile möglich war, nicht für das Plasma, das seine Persönlichkeit ausmachte.
Wobei es an Bord der GIACOMO PUCCINI einen spitzfindigen Streit darüber gab, ob Engine-One überhaupt eine Persönlichkeit hatte; Nene fand bereits die Fragestellung absurd. Sie brauchte keine wissenschaftlichen Abhandlungen, um die Wahrheit zu spüren: Wer sang wie Engine-One, hatte ein Bewusstsein, eine Seele. Ohne jeden Zweifel. Wie konnte man das einem derart herausragenden Künstler absprechen?
»Lass mich raten«, sagte sie. »Pino Farr streitet mit Rebekka Klee.«
»Wer sonst?«, fragte Engine-One und fügte die sprichwörtliche Zeile in der melodramatischen Titelmelodie von M 87 revisited hinzu: »Es sind immer dieselben, die für Unfrieden sorgen – es sind immer dieselben, die rauben und morden!«
Illustration: Dirk Schulz
Nene lachte. Für einen Posbi war er wirklich witzig.
Pino Farr war der Direktor des im Gestänge des Pluto ansässigen Instituts zur Erforschung des Dyoversums – ein Vollblutwissenschaftler durch und durch. Rebekka Klee hingegen bekleidete seit einigen Jahren das Amt der Administratorin des gesamten Gestänges ... ihr Weg in die Politik hatte über die Künstlerszene geführt, und sie war NATHANS kreative Beraterin gewesen, als dieser seine bislang einzige Oper komponiert hatte – Die Algorithmen der Identität. Eine Oper, die NATHAN übrigens Nene gewidmet hatte, womit sich der Kreis schloss.
Rebekka hatte die GIACOMO PUCCINI ins Gestänge eingeladen; sie versuchte seit sage und schreibe zwei Jahren, einen Termin zu erhalten, um nicht nur die Algorithmen, sondern auch Rhodan im Wegasystem und das eine oder andere originale Werk von Giacomo Puccini im Gestänge aufführen zu lassen. Ein kultureller Höhepunkt, zweifelsohne.
Dass Pino Farr widersprach und den Auftritt zu verhindern versuchte, lag nicht etwa an der Qualität der Künstler an Bord – die war über jeden Zweifel erhoben. Sondern am Termin.
In zwei Tagen war der 29. Januar 2047 Neuer Galaktischer Zeitrechnung ... ein Tag, an dem entweder nichts geschehen oder sich die Galaktische Tastung zum dritten Mal seit der Ankunft der Terraner in dieser Hälfte des Dyoversums ereignen würde.
Man wusste es nicht, wie man im Zusammenhang mit dem Phänomen, das irgendwelche klugen Leute vor 177 Jahren auf den Namen Galaktische Tastung getauft hatten, ohnehin kaum etwas wusste.
Woher auch?
Nene brauchte keine wissenschaftlichen Abhandlungen, um zu begreifen, dass der menschlichen Erkenntnisfähigkeit Grenzen gesetzt waren. Und wenn es ein Phänomen wie die Tastung tatsächlich gab, überstieg es das Begreifen.
Warum sollte man sich also darum kümmern, zumal es aller Wahrscheinlichkeit nach keine Gefahr in sich trug?
Weshalb deswegen einen Auftritt absagen, in dem die Kunst Herzen berührte und Sinne erhob?
Aber zum Glück musste sie sich um derlei Hintergründe nicht kümmern. Das mussten andere ausfechten. Ihr Teil lag darin, zu singen. Oder eine Protestnote zu verkünden, sollte die Aufführung nicht zustande kommen. Was wiederum eine Solidaritätswelle ihrer Fans nach sich ziehen würde – schlechte Presse für das Institut, was Pino Farr wohl erst gar nicht riskieren würde. Schließlich war er kein Narr.
»Was glaubst du, Engine-One?«, fragte Nene. »Wird die Tastung stattfinden?«
»Als Künstler hoffe ich es«, sagte der Posbi. »Ein epochales Ereignis, das mich inspirieren würde. Der positronische Teil in mir vermag keine Aussage zu treffen. Es liegen zu wenige Daten vor. Die erste Tastung erlebten wir nach der Versetzung im Jahr 1693 NGZ – die zweite 177 Jahre später. Genauer gesagt, 177 Jahre, drei Tage, zwei Stunden, sechsundvierzig Minuten und zwölf Sekunden später. Es könnten zufällige Zeitpunkte gewesen sein. Sollte eine Periodizität vorliegen, wird die Tastung übermorgen wieder stattfinden. Willst du die genaue Uhrzeit wissen?«
»Nicht nötig«, sagte Nene. »Die Aussage des Künstlers in dir genügt mir übrigens völlig. Ich sehe es ebenso. Und ich kann keinen Grund erkennen, warum wir nicht vorher unsere Opern aufführen sollten.«
»Weil das Unruhe ins Gestänge und durch die höhere Besucherzahl auch ins Institut zur Erforschung des Dyoversums bringen würde«, sagte Engine-One. »So lautet jedenfalls die Argumentation von Pino Farr.«
»Die mich nicht überzeugt.«
»Den Künstler in mir ebenso wenig«, konstatierte der Posbi. »Die Kunst sollte leben! Feiern! Es gibt allen Grund dazu – wer hätte gedacht, dass Terraner und Topsider zusammenfinden und eine Allianz gründen könnten?«
»Die Orion-Allianz«, sagte Nene nachdenklich. »Ein Erfolg, den wir wohl Perry Rhodan zu verdanken haben.«
»Nicht nur ihm, wenngleich er maßgeblich beteiligt war«, präzisierte Engine-One. »Ohne große Vernunft aufseiten vieler Topsider, allen voran der Gelegemutter, wäre die Ochiu nicht möglich gewesen.«
»Die Ochiu?«
»So bezeichnen die Echsen die Orion-Allianz. Es bedeutet in ihrer Sprache Zuversicht, Hoffnung, Zukunftsvertrauen. Ein gutes Omen, wenn du meine Meinung wissen willst.«
Diese sprachliche Spitzfindigkeit war Nene neu, denn sie interessierte sich nicht sonderlich für die Topsider. Mehr noch, sie fand die Echsen unheimlich. Umso erleichterter war sie über den Friedensschluss.
»Ich gehöre übrigens zu den wenigen Individuen, die beide Tastungen erlebt haben«, sagte Engine-One, »und wohl auch die dritte erleben werden, sollte sie stattfinden. Daher erlaube ich mir das Urteil, dass die Tastung keine Gefahr birgt, aber erhebend ist. 1693 NGZ empfand ich den ersten kreativen Impuls, und beim zweiten entschloss ich mich zu singen.«
»Woher kommt die Tastung?«, fragte Nene.
»Niemand weiß es. Aber mir stellt sich eine ganz andere Frage.«
»Wie lautet sie?«
»Wer tastet nach uns? Und warum?«
1.
Yenren