Frankfurter Einladung 2. Группа авторов

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Frankfurter Einladung 2 - Группа авторов

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Soll ich mitgehen oder hierbleiben? Eine Mischung aus Schreck, Sorge und Mitgefühl schnürt meine Brust zusammen. Ich laufe langsam dorthin, starre gespannt zwischen die Bäume zum Weiher. Dutzende Menschen stehen dort beisammen, das Blaulicht blinkt. Eine Trage mit einer kleinen Person darauf wird in den Krankenwagen geschoben. Noch bevor ich da bin, zerstreuen sich die besorgten Beobachter langsam wieder. Eine Frau in Sportbekleidung kommt mir entgegen.

      »Was ist denn passiert?«, frage ich sie besorgt.

      »Ein Kleinkind ist ins Wasser gefallen. Die Mutter hatte den Kleinen einen Moment lang aus den Augen verloren, furchtbar!«, schildert mir die Frau. »Zum Glück konnte das Kind gerettet und wiederbelebt werden«, fügt die Joggerin erleichtert hinzu, während sie sich mit der Hand ihren Schweiß von der Stirn wischt.

      Ich atme beruhigt auf, hebe meinen Blick und sehe das Schlösschen weiß durch die Bäume schimmern. Das Rascheln der Blätter im Wind verdrängt die noch in der Luft liegende Anspannung. Der Holzhausenpark ist nun wieder eine grüne Oase der Ruhe im Nordend.

      Nasrin Siege

      Eine botanische Reise

      »I

      ch will Eis«, Lena zog mich zu dem kleinen Kiosk.

      »Warte«, ich zeigte auf die Reihe der Wartenden. »Wir müssen uns erst an das Ende der Schlange stellen …«

      »Wo? Mama?« Lena sprang erschrocken zur Seite. »Wo Schlange? Wo, Mama?«

      Erinnerungen sind Zeitreisen in Momente des Lebens, die in der Vergangenheit liegen. Sie werden von Farben, Gerüchen, Bildern und von Plätzen ausgelöst. Ich will hier von den Erinnerungen sprechen, die mich im Laufe von dreißig Jahren mit dem Palmengarten in Frankfurt verbinden, einem Ort, der mir während meiner mehr oder weniger kurzen Aufenthalte zwischen meinen Auslandseinsätzen Ruhe, Gelassenheit, Vertrautheit und auch Heimat gegeben hat. Mit Wehmut schaue ich zurück in das Vergangene, das nicht mehr Veränderbare, Abgeschlossene, ausgelöst von dem Kind, das mit erstaunten Augen auf die sich im Wind bewegenden Zweige der Bäume zeigt, von den sich fröhlich oder auch ernsthaft unterhaltenden jungen Müttern mit ihren Buggys, von dem Vater mit dem Baby im Tragesack, von der alten Dame auf der Bank, den Erstbesuchern, die mit den wegweisenden Flyern das Palmenhaus, die Galerie und das Tropicarium durchlaufen, mit dem Ziel, so viel wie möglich an einem Tag zu sehen. Beim Vorübergen schnappe ich Worte aus verschiedenen Sprachen auf. Vielleicht, so denke ich, suchen auch sie hier, die aus fernen Ländern kommen, in der multikulturellen Pflanzenwelt des Tropicariums das Vertraute, das an die Heimat erinnert?

      Lena, meine Fünfjährige, wusste, wo Juma in unserem Garten eine Puffotter gesehen hatte und sie war dabei, als eine Speikobra Abedis Augen mit ihrer giftigen Spucke haarscharf verfehlte. Sie kannte viele Geschichten über Schlangen. Solche, die es wirklich gab und solche, die von bösen Wachawi – Zauberern geschaffen wurden.

      Milch, am besten Muttermilch, sei das beste Mittel gegen das von einer Speikobra attackierte Auge. Zum Glück hatten wir keine stillende Mutter auftreiben müssen, doch der Angriff der Speikobra auf ihren tansanischen Freund hatte sich tief in Lenas Gedächtnis eingegraben.

      Ich erklärte Lena, dass es im Palmengarten keine Speikobras gäbe, dass sie keine Angst haben müsste, und was ich mit der »Schlange« vor dem Kiosk meinte. So richtig verstanden hatte sie das damals nicht, denn immer wieder suchte sie nervös ihre Umgebung ab, bis sie endlich diesen gefährlichen Ort mit einem Eis verlassen konnte. Das war 1986. Wir waren gerade nach einem dreijährigen Aufenthalt in Tansania nach Frankfurt zurückgekehrt und der Palmengarten wurde für uns ein oft besuchter Ort.

      Besonders gerne hielten wir uns im Palmenhaus auf. Jedes Mal nach dem Eintritt durch die breite Tür schlug uns die schwere warme Luft, durchtränkt von dem Duft der Pflanzen entgegen.

      Die tropische Temperatur mit ihren Pflanzendüften, das Geflatter der sich hierher verirrten Spatzen, ihre vereinzelten Laute versetzen mich bis heute zurück nach Tanga in Tansania, Kabompo in Sambia, Antananarivo in Madagaskar und Addis Abeba in Äthiopien – den Ländern Afrikas, in denen ich insgesamt fast dreißig Jahre mit meiner Familie gelebt habe.

      Unser Weg führte uns im Palmenhaus zu dem kleinen Teich mit den Goldfischen, in dem die Münzen von Wünschenden lagen, auch meine und die von Lena. Dieser Brauch hat sich bis heute erhalten. Von dort gingen wir weiter in die Grotte, die sich unterhalb einer Anhöhe befindet. Früher war die Grotte der Aufenthaltsraum der Gärtner. Seit 1979 ist er auch für Besucher zugänglich, die hier in kleinen beleuchteten Aquarien Süßwasserfische aus tropischen Regionen bewundern können. Eine zauberhafte farbenfrohe Vielfalt, die den Gang durch die Grotte zu einer Entdeckungsreise macht. Vor den beiden Eingängen der Grotte führen unregelmäßig geschnittene Steinstufen nach oben, wo immer noch in einem großen Käfig der männliche Gelbhauben-Kakadu Maximilian und der weibliche Weißhauben-Kakadu Einstein wohnen. Obwohl sie unterschiedlichen Arten angehören, sind sie die besten Freunde, streiten sich nie, schmusen manchmal miteinander wie ein Liebespaar. Der Besuch der Kakadus war der absolute Höhepunkt für meine Kinder, die ihnen so lange »Hallo« und »Einstein« zuriefen, bis diese ihnen mit »Hallo« und »Einstein« antworteten.

      Auf der Liegewiese stolziert eine Familie ägyptischer Gänse an mir vorbei. Ich begrüße sie leise, und wie eine Momentaufnahme sehe ich sie in ihrer heimischen Welt an einem der vielen Seen Afrikas. Für sie gibt es keine Grenzen, keinen Stacheldraht, keine schwer überwindbaren Wege, keine Polizei, keine Formalitäten, die sie in ihrer Migration nach Europa behindern. Sie fragen nicht um Erlaubnis, ob sie einreisen dürfen, sie kommen einfach, geleitet von einem geheimnisvollen inneren Wissen über einen fernen Platz, der ihnen Nahrung und Sicherheit für die Aufzucht ihrer Küken geben wird. So haben sie nun auch in der kleinen Enklave Palmengarten eine neue Heimat gefunden. Ich schaue ihnen nach und hoffe, dass sie hier bleiben dürfen, denn immer wieder höre und lese ich, dass sie Schädlinge seien. Dabei fällt mir die alte Frau ein, der ich immer begegnete, wenn ich mit meinen Kindern in den Palmengarten ging. Sie hätte diese neu zugezogenen Gänse geliebt. Ich sehe sie vor mir mit ihrer verrutschten blonden Perücke und dem Einkaufswagen voll mit Brotresten und Salatblättern. Sie kam zu jeder Jahreszeit an die Teiche im Palmengarten und fütterte solange die Wasservögel, bis alle ihre Vorräte verbraucht waren. Ihre Lieblinge waren zwei schwarze Schwäne, die sie als Erste fütterte. Oh, wie böse konnte sie dann mit den anderen Wasservögeln schimpfen, wenn diese ihren Lieblingen etwas wegschnappten. Einmal, als wir – meine Tochter Lena, mein Sohn Andreas und ich – sie kurz vor Weihnachten im Palmengarten trafen, sahen wir die schwarzen Schwäne ihr, die dabei ein seliges Gesicht machte, aus der Hand fressen. Wir blieben stehen, warteten, wollten diese intime Fütterung nicht stören, und als sich die Schwäne satt und zufrieden, ihre majestätische Schönheit stolz präsentierend, auf den See zurückzogen, sprach sie uns an, bevor sie sich den ungeduldig schnatternden Enten zuwandte: »Ich komme jeden Tag«, sagte sie. »Heilig Abend feiere ich mit ihnen und bringe ihnen etwas Besonderes zum Essen!«

      Ich setze mich auf die Bank am See, auf der sie damals gesessen hat. Ein junges Paar geht Hand in Hand an mir vorbei. Enteneltern bringen ihren Kleinen das Tauchen bei. Ein Mann rudert auf dem See. Ich drehe mich zur Seite und sehe für einen Augenblick die Vogelfrau – so wurde sie von meinen Kindern genannt – neben mir auf der Bank sitzen. Ihre Perücke ist etwas verrutscht. Neben sich abgestellt hat sie ihren Einkaufswagen. Vor ihr recken die schwarzen Schwäne ihre langen Hälse nach den Salatblättern, die sie ihnen entgegenhält.

      Das Füttern der Tiere im Palmengarten ist seit Langem verboten. Mit sicherlich gutem Grund und dennoch hoffe ich, dass das Verbot nicht zu Lebzeiten der Vogelfrau und ihrer schwarzen Schwäne ausgesprochen wurde. Es hätte ihr das Herz gebrochen.

      Der Palmengarten hat sich verändert. Viel Neues ist dazugekommen, es wird viel gebaut und es wird renoviert. Eine große Stellwand weist auf

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