Frankfurter Einladung 2. Группа авторов

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»Schreiber« sagte man, weil sie ganz am Anfang einer Frau Schreiber, ihrer Vorgängerin und Nachbarin, zur Hand ging, bevor sie den Laden selbst übernahm. Da aber »Schreiber« und »Scheider« nicht nur leicht zu verwechseln sind, sondern man in der Siedlung auch wesentlich wichtigeres zu bedenken hatte als so eine kleine Namensdifferenz, blieb die Großmutter lange »die Fraa Schreiber«. Der Junge wurde in der logischen Folge »Schreiber ihr’n Klaane« genannt, obwohl er eigentlich ganz anders hieß.

      Die Großmutter, wir verzichten auf die Bezeichnung »Frau Schreiber« um die Missverständnisse nicht zu vertiefen, war also eine echte Persönlichkeit. Das war sie schon von Haus aus. Dafür hatte ihr Vater, ein Freidenker alter Schule, und die von ihm gezeugten acht Kinder bereits gesorgt. Und die Nazis. Die Familie war recht widerständig, folgte nicht den »Gewaltschleichern« (wie Georg Glaser die Nazis in seinem Roman »Geheimnis und Gewalt« nannte). So erlebten und erlitten sie einiges: Hausdurchsuchungen, Erzwingungshaft, Zuchthaus, Moor, Konzentrationslager, einer fiel im spanischen Bürgerkrieg und bekam 2012 einen Stolperstein. Die überlebenden sieben Geschwister bildeten einen eingeschworenen Haufen, fast alle später eingeheirateten Familienmitglieder wussten davon ein Lied zu singen. Die Großmutter, als ältestes Mädchen in diesem Kreis, war hier der natürliche Mittelpunkt. Und wenn sie nun in ihrem kleinen Laden stand, oft mit kurzem Kommentar versehen die »Bild« verkaufte, Lebenshilfe gab oder zu philosophieren ansetzte, dann hatten die Kundinnen für die paar Groschen meist viel mehr als nur bedruckte Zeitungsseiten mit nach Hause genommen. Es war auch möglich im kleinen Laden anschreiben zu lassen. Bezahlt wurde zum Wochenende oder wenn Geld da war - und bezahlt wurde so gut wie immer. Das waren beinah Ehrenschulden.

      Neben dem ganzen bedruckten Papier sind noch einige andere Verkaufsartikel zu erwähnen: Karten, Schulhefte und Zigaretten hatten wir schon. Es gab noch Schreibutensilien aller Art, wie Blei- und Buntstifte sortiert und einzeln. Füller gab es, die Patronen dazu (»geha« und »Pelikan«), anfangs sogar noch Tintenfässer und Schreibfedern mit bunten Federhaltern, dazu alles was man sonst noch für die Schule damals brauchte. Größere Dinge wie Schulranzen, oder akademisches Werkzeug wie Rechenschieber gab es nicht. Die waren entweder zu groß, oder in der Siedlung so gut wie kaum nachgefragt. Und zum Schulbeginn gab es Schultüten, kleine und riesengroße.

      Zweimal im Jahr verwandelte sich der Laden vollkommen, einiges wurde beiseite geräumt, um bunten und seltsamen Dingen Platz zu machen: Das war zu Weihnachten und an Fastnacht. Die Fastnacht hatte bei der Großmutter schon immer eine Rolle gespielt. Unvergessen bleibt, wie sie mit den meisten ihrer Geschwister Ende der zwanziger Jahre als Bajazzo-Gruppe verkleidet die Gasthäuser im Stadtteil unsicher machte. »Mir hatte net viel Geld, des habbe mir alles selber genäht. Da war was los…«. Deshalb gab es um die Fastnachtzeit im kleinen Laden auch allerlei Utensilien zu kaufen: Schminke, Papierhütchen, Tröten und Papp-Klatschen – die heute keiner mehr kennt. Es gab Modehefte mit Schnittmuster, an Fastnacht dann Sonderhefte mit Kostümen.

      Weihnachten kündigte sich damals noch Mitte November recht kurzfristig an, nicht so wie heute schon kurz nach den Sommerferien. Da kamen zunächst die Adventskalender ins Angebot. Verschiedene Größen, mit und ohne Glitzer oder Kunstschnee. Hinter den vierundzwanzig Türchen fanden die Kinder dann kleine bunte Bildchen – und freuten sich darüber. Kurz vor Weihnachten gab es dann vor allem noch Geschenkpapier in riesiger Auswahl und als einzelne Bogen. Da wurde minutenlang ausgesucht und zusammengestellt. Nikolaustüten gab es und für den Baum Kerzen, dicke, dünne, rote, weiße, bunte, außerdem »Engelshaar« und Lametta – ja, früher war mehr Lametta. An solchen Tagen reichte eine Kraft im kleinen Laden nicht aus. Man glaubt es kaum, aber hinter der Theke standen dann manchmal drei Familienmitglieder und halfen: Die Großmutter, ihre Tochter und Mutter des Jungen, dessen Vater, später sogar der Junge selbst.

      Um 14 Uhr war an Heiligabend das Ziel erreicht. Alle Zeitungen waren verkauft, der kleine Restposten an Weihnachtskarten für das nächste Jahr weggepackt. Ermattet von der Schlacht wurde der kleine Laden abgeschlossen und es ging die paar Meter nach Hause, denn heute kam auch hier »des Krisskinnsche«. Das war schon ein kleines Wunder, denn die Familie war alles andere als religiös. Die Großmutter war schon früh aus der Kirche ausgetreten, ihr Enkel und ihre Tochter, die Mutter des Jungen, noch nicht einmal getauft. Der Vater war aus Polen, aber inzwischen auch nicht mehr in der Kirche. Überhaupt die Kirche. Nicht belegt ist, ob jemals ein Pfarrer den kleinen Laden betreten hat. Wäre ihm wahrscheinlich auch nicht gut bekommen. Denn hier verlor die Großmutter alle Toleranz und Gutmütigkeit: »Kersch, des brauche merr net!« Die rüdesten Reden hielt sie auch dann, wenn dieses Thema aufkam und eine Kundin sich als mehr oder weniger »Scheinheilische« herausstellte. Da gab es schon einmal eine Portion kostenloser und ungewollter Lebensberatung extra, denn Kirche und alles Drum und Dran war für die Großmutter ein rotes – oder besser schwarzes – Tuch. »Dess aahle Kristsche! Was wolle die dann mit dem liebe Gott. Uns hat da noch kaaner jemals geholfe …«, so oder ähnlich klang das dann – in der harmlosen Version.

      Skurril war, dass anfangs die »Nationalzeitung« im Angebot war. Denn eigentlich hielt die Großmutter mit ihrer politischen Gesinnung nicht hinter dem Berg. Als der Junge das eines Tages ansprach, wurde dieses Angebot gestrichen. Man konnte ja auch etwas subtiler vorgehen. Zum Beispiel, indem man die Flugblätter gegen den Vietnamkrieg einfach der Bildzeitung beilegte. Es hat sich übrigens nie jemand darüber beschwert. Allerdings wurde auch keiner aus der Siedlung auf der Demo gesehen. Außer dem Jungen.

      Rolf Schwob

      Heimspielsamstag

      M

      it der Regionalbahn 70 bis zur Haltestelle »Sportfeld« fahren, bei Bubi noch schön einen zischen, kleines Stückchen durch den Wald und dann rein, Stehplatz versteht sich, gleich neben den ganz harten Fans im G-Block. So verliefen früher die Heimspielsamstage, als sein Vater jung und er noch gar nicht auf der Welt war. So hat es der Alte ihm erzählt, jedes Mal, wenn sie auf dem Weg raus ins Stadion waren. Heute sieht sich Rüdiger auf dem Bahnsteig um, sucht in den Gesichtern der alten Männer nach etwas, das er wiedererkennen könnte, findet aber nichts. Die anderen Fans sind so alt wie er oder jünger, Kinder natürlich auch und viel mehr Frauen als damals, hübsche noch dazu, sie tragen Trikots mit Spielernamen und haben sich die langen Haare zu wippenden Pferdeschwänzen zusammengebunden.

      Rüdiger nimmt einen Schluck aus der Dose, das Bier ist lauwarm und schmeckt abgestanden, obwohl er den Verschluss eben erst geknackt hat. Die S-Bahn fährt ein, Türen gleiten auf und er wird von der Menge auf dem Bahnsteig fast ohne eigenes Zutun ins Abteil geschoben. Die RB 70 fährt auch heute noch regelmäßig, aber die S7 fährt öfter, die Haltestelle »Sportfeld« wurde in »Stadion« umbenannt und »Bubis Bahnhof« schon vor Jahren dichtgemacht. Das alles nötigt Rüdiger nur ein Achselzucken ab, aber dass man das Waldstadion nach dem Umbau in Commerzbank-Arena umgetauft hat, daran kann und will er sich nicht gewöhnen.

      Die Bahn setzt sich mit einem Ruck in Bewegung und Rüdiger muss sich kurzzeitig an den Schultern seines Vordermannes festhalten, in der linken Hand hält er immer noch die Dose mit dem Billigbier. Augen zu und durch, sagt er sich und trinkt die Plörre in einem Zug aus. Die Sonne scheint durch die Fenster, als die S-Bahn über den Main setzt. Draußen sind es 20, 21, vielleicht sogar 22 Grad, windstill und kaum eine Wolke am Himmel – bestes Stadionwetter, würde der Alte jetzt sagen, aber für den war eigentlich jedes Wetter bestes Stadionwetter.

      Einmal waren sie vollkommen durchnässt von einem Spiel nach Hause gekommen und seine Mutter hatte sich furchtbar aufgeregt. Der Junge hole sich noch den Tod wegen dem Scheiß, schrie sie, woraufhin sein Vater sie packte und gegen die Wand im Flur drückte, und er, der kleine Rüdiger, stand dabei und dachte erst noch, es sei alles nur Spaß, aber dann sah er die Angst in den Augen seiner Mutter und fing an zu weinen. »Jungs heulen nicht!«, hatte ihn der Alte angebrüllt, von der Mutter abgelassen und war aus der Wohnung gestürmt, nur um später am Abend selbst als besoffenes, heulendes Elend zurückzukommen.

      Rüdiger zerdrückt die leere Dose zwischen seinen Fingern,

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