Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt. Karl Kraus H.

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Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt - Karl Kraus H.

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nicht leben.

      Das Christentum hat die Zollschranken zwischen Geist und Geschlecht aufgehoben. Aber die Durchsetzung des Sexuallebens mit dem Gedanken ist eine dürftige Entschädigung für die Durchsetzung des Gedankenlebens mit dem Sexuellen.

      Omne animal triste. Das ist die christliche Moral. Aber auch sie nur post, nicht propter hoc.

      Im Kampf zwischen Natur und Sitte ist die Perversität eine Trophäe oder eine Wunde. Je nachdem, ob die Natur sie erbeutet oder die Sitte sie geschlagen hat.

      Die Verbreitung der Lustseuche hat der Glaube bewirkt, dass die Lust eine Seuche sei.

      Religion und Sittlichkeit. Der Katholizismus (kata und holos) geht aufs Ganze; aber das Judentum ist Mosaik.

      Man setzt sich heutzutage genug Unannehmlichkeiten aus, wenn man von einem Kunstwerk sagt, dass es ein Kunstwerk sei. Aber man würde gesteinigt werden, wenn man das so laut von einem Frauenkörper sagte, wie es gesagt werden muss, um ihn neu zu beleben. Denn die Sitte will seine Zerstörung, und durch Worte kann man Anmut zusprechen.

      Es ist eine schlimme Zeit, in der das Pathos der Sinnlichkeit zur Galanterie einschrumpft.

      Der Schönheit sei es ein Trost, dass sich an den Mauern derselben Welt, die ihr den Quell absperrt, der Geist blutig stößt. Sie müssten sich beide verniedlichen, um erlaubt zu sein.

      Die den Freudenbecher gewährt haben, sterben an dem alkoholischen Gifttrunk, den ihnen die christliche Nächstenliebe reicht.

      Es war eine Flucht durch die Jahrtausende, als sie in der kältesten Winternacht von einem Theaterball halbnackt auf die Straße lief, in den tiefsten Prater hinein, Kellner, Kavaliere und Kutscher hinter ihr her … Eine Lungenentzündung und der Tod brachten sie in unser Jahrhundert zurück.

      Es ist eine durch alle Ewigkeit gültige Tatsache: dass Urkraft des Weibes nicht bloß die Schwachen anzieht und vertilgt, sondern die Starken belebt und verjüngt. […] Und dass Sinnengenuss und Schönheit nach dem wundervollen Plan der Weltordnung Zaubermittel sind und nach dem teuflischen Plan der Gesellschaftsordnung in den Giftschrank der Menschheit gesperrt wurden.

      2Wienerisch für Zuhälter.

      III. MENSCH UND NEBENMENSCH

      Das Gefühl, das man bei der Freude des andern hat, ist in jedem Fall selbstsüchtig. Hat man ihm die Freude selbst bereitet, so nimmt man die Hälfte der Freude für sich in Anspruch. Die Freude aber, die ihm ein anderer vor unseren Augen bereitet, fühlen wir ganz mit: Die Hälfte ist Neid, die Hälfte Eifersucht.

      Ich begeistere mich für den Ehrenpunkt, seitdem ich die Beobachtung gemacht habe, dass man einer unerledigten Affäre die Befreiung von lästiger Gesellschaft verdankt.

      Auch die Dummheit hat Ehre im Leib, und sie wehrt sich sogar heftiger gegen den Spott als die Gemeinheit gegen den Tadel. Denn diese weiß, dass die Kritik recht hat; jene aber glaubt’s nicht.

      Gesellschaft: Es war alles da, was da sein muss und was sonst nicht wüsste, wozu das Dasein ist, wenn es nicht eben dazu wäre, dass man da ist.

      Man beobachte einmal, wie die anständigen Herren eine Frau grüßen, von der »man spricht«. In dem Gruß ist der abweisende Stolz der Gesellschaftsstütze mit der einverständlichen Kennerschaft des Markthelfers vereinigt. Für beides möchte man ihnen an die Gurgel fahren.

      Ich hörte einen angeheiterten deutschen Mann einem Mädchen, das in eine Seitengasse einbog, die humoristisch deklamierten Worte nachrufen: »Da geht sie hin, die Schanddirne!« Es ist nicht anzunehmen, dass je ein Gesetz zustande kommt, welches erlaubt, deutsche Männer niederzuschießen, die mit einem einzigen Wort den vollständigen Beweis ihrer Unnützlichkeit auf Erden erbracht haben.

      Die Behörden werden gegen das Publikum erst dann höflich sein, wenn das Publikum sich entschließt, in die Redaktionen der Tagespresse einzutreten. Die Redakteure aber werden erst dann gegen das Publikum aufrichtig sein, wenn es zum Eintritt in die Bürokratie entschlossen ist.

      Wenn mich einer ansprechen will, hoffe ich noch bis zum letzten Augenblick, dass die Furcht, kompromittiert zu werden, ihn davon abhalten wird. Sie sind aber unerschrocken.

      Ich sehe durch ein Fenster, und der Horizont ist mir durch ein Laffengesicht verlegt. Das ist tragisch. Ich habe nichts dagegen, dass es abscheuliche Gesichter gibt. Aber warum hat es die Optik so eingerichtet, dass ein Mensch einen Wald verdecken kann? Man kann wohl den Menschen wieder durch einen vorgehaltenen Stock verdecken. Aber auf alle Fälle kommt man beim optischen Betrug zu kurz. So dienen die Lichtstrahlen der Vermehrung des Menschenhasses.

      Bei gleicher Geistlosigkeit kommt es auf den Unterschied der Körperfülle an. Ein Dummkopf sollte nicht zu viel Raum einnehmen.

      Der Mensch denkt, aber der Nebenmensch lenkt. Er denkt nicht einmal so viel, dass er sich denken könnte, dass ein anderer denken könnte.

      Gut und Blut

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