Nation, Europa, Christenheit. Группа авторов

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was sie tatsächlich tun: ob sie z. B. hilfsbereite Menschen sind, die Nächstenliebe und Barmherzigkeit in ihrem Alltag tatsächlich ernst nehmen und praktizieren. Das ist egal. Die Tat gilt nichts. Die öffentliche Bekundung gilt alles. Und umgekehrt ist das Gleiche der Fall: Befürworter der Migrationspolitik können sich im Schein des moralisch Guten sonnen, völlig unabhängig von dem, was sie wirklich tun. „Werte“ ersetzen Tugenden, genauer gesagt: die Affirmation der „Werte“ ersetzt die tugendhafte, sittliche Praxis. Das treffendste Beispiel für dieses Missverhältnis und der beste Beleg für Mohlers Aussage sind die Flüchtlingsbürgen, die dagegen klagten, dass aufgrund ihrer Bürgschaft Geld von ihnen verlangt wurde. Sie bekundeten öffentlich das moralisch vermeintlich Gute und Gebotene, aber mehr als eine Bekundung war es auch nicht. Man könnte Mohlers Aussage noch einmal herunterbrechen: Bei den viel beschworenen „Werten“ handelt es sich häufig um Facebook-Ethik: liken, fertig. Dass dies mit der christlichen Ethik nicht das Geringste gemein hat, muss klar sein.

      4.Dass „christliche Werte“ wie „Nächstenliebe“ und „Barmherzigkeit“ die „europäischen Werte“ seien oder gar die „Seele Europas“, ist, mit Verlaub, das geistige Äquivalent zum Schlager. Es ist Moralschmalz. Die „Seele Europas“ kann überhaupt nur in der Emanzipation vom antiken asiatischen und afrikanischen Gedanken des Gottkaisertums bestehen. Das christliche Europa, das christliche Abendland formierte sich in der Trennung von weltlicher und geistlicher Macht. Es entstand eine säkulare Sphäre, in der Politik nicht lediglich als Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln betrieben, sondern als davon unterschiedener Zuständigkeitsbereich aufgefasst wurde. Die „Seele Europas“ besteht in der Gewaltenteilung von Thron und Altar. Freilich gelang diese Unterscheidung selten idealtypisch, immer wieder in der Geschichte versuchten beide Seiten, sich der jeweils anderen zu bemächtigen und sie sich zu unterwerfen. Und freilich gab es ein von der Religion weitgehend emanzipiertes Herrschertum auch in Griechenland und in Rom. Die Versuchung war allerdings eminent: Alexander der Große verscherzte sich in Baktrien die Sympathien seiner Gefolgsleute dadurch, dass er die Proskynese von ihnen verlangte. Auch die Geschichte der römischen Kaiser zeigt die verhängnisvolle Tendenz hin zur Selbstvergottung. Und wenn heute Kirchenfürsten mit „christlichen Werten“ Politik sanktionieren und Politiker sich wiederum durch „christliche Werte“ unangreifbar machen, entsteht eine Dynamik, die sich vom Prinzip des Gottkaisertums letztlich nur in Nuancen unterscheidet. Das abendländische Christentum ist der Garant der Unterscheidung von Thron und Altar, denn im Namen Christi ist allen Versuchen eines theokratischen Upgrades entschieden zu widersprechen: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Mt 22,21)

      Das Framing ist die eine Seite, die Seite des Senders. Auf der anderen Seite stehen die Empfänger, und es stellt sich die Frage, warum das Framing so überaus erfolgreich wirkt. Die zwar schrumpfende, aber immer noch überwiegende Mehrheit der Bürger, die ja sonst durchaus zu vielerlei Kritik fähig ist, scheint im Zusammenhang mit der Migrationspolitik jede noch so absurde Aussage unreflektiert hinzunehmen, jede noch so bittere Pille bereitwillig zu schlucken.

      Die Kritiker der Migrationspolitik schütteln konsterniert den Kopf, reden von „Verblendung“, „Blase“, „Schlafschafen“. Die geballte Macht der Medien mag einen Teil des Phänomens erklären, aber das ist noch nicht alles. Die Frage ist, warum das im ARD-Manual empfohlene Framing überhaupt funktioniert, warum die moralische Rahmung politischer Entscheidungen eine Entwicklung zur politischen Alternativlosigkeit ermöglichen konnte. Diese Frage ist nicht nur von Bedeutung für die Analyse der aktuellen politischen Großwetterlage, sondern für die Art und Weise der künftigen politischen Kommunikation überhaupt.

      Genau diese mangelnde Unterscheidung (oder auch bewusste Vermischung) ist aber der Grund für die Wirksamkeit des Framings. Moralische Begriffe sind Begriffe der Mikroordnung, der kleinen Gruppe. Neben der „Nächstenliebe“ und der „Barmherzigkeit“ werden „Empathie“, „(Mit-)Menschlichkeit“ und „Zuwendung“ aufgerufen (und das auch noch zu „Leidenden“, „Verfolgten“ oder „Flüchtenden“, wie Migranten fälschlicherweise pauschal bezeichnet werden), und wir springen unwillkürlich, automatisch darauf an: Es ist die Terminologie des sozialen Nahraums, der uns im Blut liegt, von dem wir

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