Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche. Indrek Hargla
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Читать онлайн книгу Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche - Indrek Hargla страница 18
»Aus der Unterstadt waren gestern also drei Personen bei Clingenstain«, meinte Melchior nachdenklich. Fünf Tage lang kein Einziger und dann gleich mehrere nacheinander. Genau an dem Tag, an dem er umgebracht wird.
»Wenn Tweffell hier war, dann hat auch bestimmt sein Diener Ludke nicht gefehlt, denn ohne ihn geht der alte Kaufmann nirgends hin, selbst in die Kirche und ins Rathaus nicht. Manchmal trägt Ludke seinen Herren sogar die Treppe hoch«, warf Dorn ein.
»Das stimmt, seinen Diener hatte er dabei. Ein unglaublich starker und zäher Kerl, dieser Ludke, noch größer als unser Ordensmeister, der schon fast alle überragt. Wenn man dem ein Beil in die Hand gibt und ihn in die Schlacht schickt, kämpft er für drei, zweifellos. Warum einer wie er wohl Diener geworden ist? Wisst Ihr das?«
Melchior musste zugeben, dass er es nicht wusste. Der Oldermann Tweffell und Ludke schienen unzertrennlich zu sein. Mit Ludke, einem Mann undeutscher Herkunft, hatte er selten die Gelegenheit gehabt, sich zu unterhalten. Der Diener war nicht sehr gesprächig und machte einen etwas einfältigen Eindruck, war aber stark wie Goliath. Melchior überlegte, ob er jemals von Tweffell gehört hatte, dass dieser den gotländischen Ordensgebietiger kannte. Ja, von einem Streit um Gotland und ein Schiff war ihm tatsächlich etwas zu Ohren gekommen, aber an Genaueres konnte er sich nicht erinnern. In dem Moment erweckte der Komtur wieder Melchiors Aufmerksamkeit: Er hatte gerade Prior Eckell erwähnt.
»Baltazar Eckell, der Dominikanerprior?«, fragte Melchior überrascht.
»Ja, verdammt, das habe ich doch gerade gesagt«, schnappte der Komtur. »Er kam, um Clingenstain Respekt zu zollen, und Clingenstain – als frommer und gottesfürchtiger Ritter, der er war – bat, sich die Beichte abnehmen zu lassen. Hier in der Domkirche wurden ihm also kurz vor seinem Tode seine Sünden vergeben. Aber das, Melchior, hat mit dem Mord nicht das Geringste zu tun.«
»Beim heiligen Andreas, das hoffe ich«, murmelte Melchior.
»Was murmelst du da?«
»Ach, nichts ... nichts. Mir kommt es nur seltsam vor, dass er den Dominikanerprior um die Beichte bat, und nicht den Pastor der Domkirche.«
»Daran ist ganz und gar nichts seltsam. Der Orden ist schon seit langem Gönner der heiligen Dominikaner und Clingenstain hat sich oft in der Sankt-Nikolaus-Kirche zu Visby die Predigten der Brüder angehört. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war auch Prior Eckell früher einmal im Konvent von Visby tätig und vergiss nicht, Melchior, es waren die Dominikaner, die die Domkirche bauten.«
Das erzählte man sich tatsächlich, fiel Melchior nun wieder ein. Als die Dominikaner vor langer Zeit nach Reval gekommen waren, ließen sie sich auf dem Domberg nieder und genau an der Stelle der jetzigen Domkirche errichteten sie ihre erste Kirche. Und genau dort fand ein grauenhaftes Blutvergießen zwischen den Ordensleuten und den Dänen statt. Die Ritter hatten die Dänen in der Kirche erschlagen und ihre Leichen auf dem Altar aufgehäuft. Und hatte nicht der Orden die Dominikaner seitdem vom Domberg verbannt? Aber das war fast zweihundert Jahre her – bei der Suche nach Clingenstains Mörder bot dieses Wissen keine Hilfe.
»Fünf Revaler Bürger«, sagte nun Melchior. »Wir haben es also mit fünf Männern zu tun, die sich gestern mit Clingenstain getroffen haben. Es waren nicht etwa noch weitere Leute aus der Stadt auf dem Domberg?«
»Natürlich kann es sein, dass ein paar Müllersgesellen oder Schusterlehrlinge aus der Stadt hier waren«, erwiderte der Komtur verdrossen. »Aber ich erinnere mich nicht, dass von denen jemand mit Clingenstain zu tun gehabt hätte. Ach ja, noch bevor der Prior kam, bettelte dieser Laienbruder von den Dominikanern hier um Almosen, aber das ist nichts besonderes. Er kommt oft hierher.«
»Ach, Bruder Wunbaldus?«
»So heißt er wohl, ja. Der Laienbruder mit dem Buckel.«
»Das ist Bruder Wunbaldus«, nickte Melchior. »Ein armer und frommer Mann, der manchmal auch in meine Apotheke kommt und jedesmal verspricht, mich für die Arzneien in seine Gebete einzuschließen. Wie man hört, soll er ein ausgezeichneter Bierbrauer sein. Das Bier der Dominikaner schmeckt seit Wunbaldus‘ Aufnahme ins Kloster tatsächlich ganz anders als vorher. Dem Herren Komtur ist nicht etwa aufgefallen, ob Bruder Wunbaldus auch mit Clingenstain zusammentraf?«
»Wunbaldus bittet doch jeden um eine milde Gabe, dem er begegnet. Wahrscheinlich hat auch Clingenstain ihm etwas gespendet. Ja, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er etwas gespendet hat.«
Als der Komtur sie schließlich zum Gehen auffordern wollte, fiel ihm doch noch etwas ein: Er erkundigte sich bei Dorn, wie viel der Revaler Scharfrichter fürs Hängen verlange.
»Früher waren es vier Schilling und ein Fass Bier. Aber es ist schon eine ganze Weile her, seit wir zuletzt jemanden hängen mussten«, antwortete der Gerichtsherr.
»Vier Schilling! Das ist ja Wucher!«
Der Komtur hatte dem für den Domberg zuständigen Scharfrichter erlaubt, für eine Woche nach Wesenberg zu fahren. Dort lag der Vater des Scharfrichters schwer krank darnieder und der junge Mann hatte ihn noch ein letztes Mal sehen wollen. Eine trauriger Umstand, aber deshalb verfügte der Domberg derzeit über keinen eigenen Henker. Der Komtur erwog nun, den städtischen Henker zu beauftragen, den Mörder zu foltern und dann zu hängen oder zu vierteilen – je nachdem, wie das Manngericht entschied.
»Vierteilen ist teurer«, fiel Dorn dazu nur ein. »Fürs Vierteilen verlangt der Scharfrichter gleich sechs Schilling. Und zwei Fass Bier.«
»Euer Scharfrichter ist ein wahrer Halsabschneider«, schimpfte der Komtur. »Wenn ich in der Schlacht für jeden Kopf sechs Schilling bekäme, würde ich mir gleich den ganzen Domberg zu eigen machen!«
»Jemanden zu köpfen erfordert aber auch viel Geschick. Irgendein Dahergelaufener könnte das nicht«, meinte Melchior.
»Ein Dahergelaufener ...«, brummte Spanheim. »Ich sage Euch eins, Herr Gerichtsvogt: Dem Ordensmeister würde es am besten passen, wenn Clingenstains Mörder keiner wäre, der ... hmmm ... sagen wir, der Stadt eng verbunden ist, ein ehrenwerter und wohlhabender Mann, Ihr versteht schon. Einen solchen Streit zwischen der Stadt und dem Orden kann niemand brauchen, weder ich hier auf dem Domberg noch die Ratsherren in der Unterstadt. Bestimmt war es ein gewöhnlicher Landstreicher oder Dieb, solche tauchen doch immer wieder im Hafen und der Stadt auf. Ein Fremder. Nehmt ihn fest, leiht uns Euren Henker und bringen wir diese Sache rasch zu Ende, so wie wir bisher alle solche Angelegenheiten zwischen der Stadt und dem Domberg zu Ende gebracht haben.«
»So soll es sein und helfe uns der heilige Viktor dabei!«, stimmte Dorn sofort zu.
Sie hatten den Saal schon fast verlassen, da fiel Melchior noch etwas ein. Er verbeugte sich:
»Wenn der Komtur noch eine Frage erlaubt – mir ist etwas zu Ohren gekommen, dass dem seligen Clingenstain eine Münze in den Mund gesteckt worden war ...«
Spanheim zog die Augenbrauen hoch.
»Woher hast denn du das gehört?«
»Das sagte der Ordensdiener, der mich heute morgen aufgesucht hatte. Ich habe dann auch Melchior gegenüber ein Wörtchen verlauten lassen«, bemerkte Dorn.
»Diese verfluchten Schwatzmäuler! Nun fehlt nur noch, dass sie die Nachricht auf dem Markt verkünden! Ja, Jochen fand eine Münze im Munde seines Herren, als er den Kopf vom Haken abnahm ... Dieser Mörder ist ein Leichenschänder,