Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens
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»Dort ist Winkle«, sagte Herr Tupman, seinen Freund an den Ellbogen stoßend.
»Wo?« fragte Herr Pickwick, seine Brille hervorziehend, die er glücklicherweise bis jetzt in der Tasche behalten hatte.
»Dort«, antwortete Herr Tupman, »auf jenem Dachgiebel.«
Und wirklich saß er in der bleiernen Traufrinne eines Ziegeldaches ganz behaglich auf einem Stuhle neben Madame Pott. Sie winkten zum Zeichen der Erkennung mit ihren Taschentüchern, und Herr Pickwick warf der Dame zur Erwiderung des Kompliments eine Kußhand zu.
Die Feierlichkeit hatte noch nicht begonnen, und da eine untätige Menge immer zu Späßen aufgelegt ist, so war diese höchst unschuldige Handlung hinreichend, ihre Spottlust zu wecken.
»He, du alter, schlechter Kerl«, rief eine Stimme, »schielst du noch nach Dirnen?«
»So ein grauer Sünder!« rief eine andere.
»Setzt seine Brille auf, um nach einer verheirateten Frau zu schielen«, sagte eine dritte.
»Wie er ihr zuwinkt mit seinem alten, verzwickten Auge«, rief eine vierte.
»Gib auf deine Frau acht, Pott«, kreischte eine fünfte – und dann erhob sich ein schallendes Gelächter.
Da diese Spottrcden von hämischen Vergleichen zwischen Herrn Pickwick und einem alten Bock und andern Witzeleien der Art begleitet waren, und überdies noch die Ehre einer unschuldigen Dame antasteten, kannte Herrn Pickwicks Zorn keine Grenzen. Da aber im nämlichen Augenblick Schweigen geboten wurde, begnügte er sich damit, auf die Menge einen Blick voll Mitleid über ihren beschränkten Verstand zu werfen, worauf sie ein noch brüllenderes Gelächter aufschlug, als je vorher.
»Stille!« riefen die Beisitzer des Bürgermeisters.
»Whiffin, gebietet Stille«, sagte der Bürgermeister mit einer Würde, wie sie seine hohe Stellung erforderte.
Auf diesen Befehl hin gab der Ausrufer ein zweites Konzert mit seiner Glocke, worauf ein Mann in der Menge ausrief: »Semmeln!« und ein neues Gelächter war die Folge.
»Meine Herren«, rief der Bürgermeister so laut, wie es nur immer die Kraft seiner Stimme gestattete. »Meine Herren, Brüder, Wahlmänner des Fleckens Eatanswill, wir sind heute hier versammelt, um einen Repräsentanten an die Stelle unseres letzteren –«
Hier wurde der Bürgermeister durch eine Stimme in der Menge unterbrochen:
»Glück dem Bürgermeister, und möge er nie den Nagel und die Drahtpfanne verlassen, wodurch er sein Geld erworben hat!«
Diese Anspielung auf das Gewerbe des Redners wurde mit ungeheurem Beifallsgeschrei aufgenommen, das unter Begleitung der Glockenmusik des öffentlichen Ausrufers den übrigen Teil seiner Rede, mit Ausnahme des Schlußsatzes, unverständlich machte. Darin nämlich dankte er der Versammlung für die stille Aufmerksamkcit, womit sie ihn von Anfang bis zu Ende angehört hätte – eine Dankbezeugung, die ein zweites Jubelgeschrei hervorrief, das ungefähr eine Viertelstunde dauerte.
Darnach bat ein großer, hagerer Mann mit einer sehr steifen weißen Halsbinde – nachdem er wiederholt von der Menge aufgefordert worden war, »einen Knaben nach Hause zu schicken und anzufragen, ob er seinen Stimmzettel nicht unter dem Kopfkissen habe liegen lassen« – die Versammlung um die Erlaubnis, eine taugliche und geeignete Person zu nennen, die ihre Interessen im Parlament vertreten könnte. Und als er Horatio Fizkin, Esq. von Fizkin Lodge bei Eatanswill, genannt hatte, erhoben die Fizkinisten ein beifälliges und die Slumkeyisten ein mißbilligendes Geschrei. Das hielt solange an und war so laut, daß er und sein Beistand, statt zu sprechen, ebensogut lustige Lieder hätten singen können, ohne daß dadurch irgendwer klüger geworden wäre.
Nachdem die Freunde Horatio Fizkins Esq. ihren Triumph gefeiert hatten, trat ein galliges Männchen mit einem rötlichgelben Gesicht auf, um eine andere taugliche und geeignete Person vorzuschlagen, die die Wahlbürger von Eatanswill im Parlament vertreten könnte. Ohne Zweifel würde der Rötlichgelbe trefflich davongekommen sein, wäre er nicht zu gallsüchtig gewesen, um nicht der Menge eine willkommene Zielscheibe des Witzes zu werden. Aber nachdem er einige Sätze voll blumenreicher Beredsamkeit vorgebracht hatte, klagte der Rötlichgelbe die von der Menge an, die ihn unterbrochen hatten. Er ging dann nach diesem fruchtlosen Bemühen zu Drohungen gegen die Herren auf der Wahlbühne über. Ein Aufruhr entstand, der ihn in die Notwendigkeit versetzte, seine Gefühle nur noch in einer ernsten Gebärdensprache auszudrücken. Darauf überließ er die Rednerbühne seinem Beistand, der eine Rede von halbstündiger Dauer vom Papier herunterlas und sich auf keine Weise hätte stören lassen. Denn er hatte sie obendrein der Eatanswill-Zeitung eingesandt, in der sie Wort für Wort abgedruckt war.
Dann trat Horatio Fizkin, Esq. von Fizkin Lodge, bei Eatanswill, in höchsteigener Person auf, um die Wahlversammlung anzureden. Aber er hatte kaum zu sprechen begonnen, als die Musikbande, die von dem ehrenwerten Samuel Slumkey aufgestellt war, mit einer Heftigkeit einfiel, gegen die ihre Leistungen am Morgen nur Kinderspiel waren. Zur Vergeltung fing die Partei der Gelben an, die Köpfe und Schultern der Blauen zu bearbeiten. Darauf machten die Blauen den Versuch, sich von der unangenehmen Nachbarschaft der Gelben zu befreien. Nun folgte eine Rauferei, ein Knuffen und Puffen, das wir ebensowenig billigen können, als es der Bürgermeister konnte. Dieser entsandte zwölf Mann von seinen Konstablern mit dem strikten Befehl, die Rädelsführer zu greifen, deren Anzahl sich ungefähr auf zweihundertfünfzig belaufen haben mag.
Diese Auftritte versetzten Horatio Fizkin, Esq. von Fizkin Lodge, und seine Freunde in Zorn und Wut, bis zuletzt Horatio Fizkin, Esq. von Fizkin Lodge, um die Erlaubnis bat, seinen Gegner, den ehrenwerten Samuel Slumkey von Slumkey Hall, zu fragen, ob diese Musikbande mit seiner Bewilligung spiele, eine Frage, deren Beantwortung der ehrenwerte Samuel Slumkey von sich ablehnte. Darauf wies Horatio Fizkin, Esq. von Fizkin Lodge, dem ehrenwerten Samuel Slumkey von Slumkey Hall die Faust, und der ehrenwerte Samuel Slumkey, dadurch gereizt, forderte den Horatio Fizkin, Esq., zum Kampf auf Leben und Tod heraus.
Nach solcher Verletzung aller bekannten Gesetze und Regeln befahl der Bürgermeister ein neues Glockenkonzert und erklärte, er werde sowohl Horatio Fizkin, Esq. von Fizkin Lodge, als auch den ehrenwerten Samuel Slumkey von Slumkey Hall vor sich rufen lassen, um den Frieden zu beschwören. Auf diese furchtbare Drohung legten sich die Beistände der beiden Kandidaten ins Mittel, und nachdem sich die Anhänger einer jeden der zwei Parteien drei Viertelstunden lang gegenseitig herumgezankt hatten, neigte Horatio Fizkin Esq. seinen Hut gegen den ehrenwerten Samuel Slumkey, und der ehrenwerte Samuel Slumkey den seinen gegen Horatio Fizkin Esq. Das klingende Spiel hörte auf. Die Menge war zum Teil beruhigt, und Horatio Fizkin Esq. konnte nun fortfahren.
Die Reden der beiden Kandidaten, so verschieden sie in jeder Rücksicht waren, ließen den großen Vorzügen und Verdiensten der Wahlbürger von Eatanswill volle Gerechtigkeit widerfahren. Jeder sprach sich dahin aus, daß die Welt noch nie freiere, aufgeklärtere, patriotischere, hochherzigere, uneigennützigere Männer gesehen habe, als die wären, die für ihn zu stimmen versprochen hätten. Jeder deutete dunkel darauf hin, daß die Wahlmänner auf der entgegengesetzten Partei an gewissen Schwächen leiden, die sie unfähig machen, die wichtigen Pflichten zu erfüllen, die ihnen obliegen. Fizkin drückte seine Bereitwilligkeit aus, alles zu tun, was man von ihm begehre; Slumkey seinen Entschluß, nichts zu unterlassen, was man von ihm verlange. Beide sagten, der Handel, die Industrie und der Wohlstand