Die kleine Trostapotheke. Anselm Grün

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Die kleine Trostapotheke - Anselm Grün

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damit viele Menschen darin Platz finden, damit ein Miteinander entstehen kann. Doch wie kann ich diese Bilder konkret umsetzen?

      Für mich könnte da helfen: Ich setze mich hin und atme langsam ein und aus. Ich stelle mir vor, dass sich beim Einatmen mein Brustkorb weitet. Und mit dem Brustkorb weitet sich mein Herz. In der Weite des Herzens wird auch meine Fixierung auf mein mangelndes Selbstvertrauen aufgebrochen. Da ahne ich etwas von der eigenen Würde, vom eigenen Selbstwert. Mein Herz wird offen für die Menschen, die ich kenne. In diesem weiten Herzen finden viele Platz. Da bin ich nicht mehr allein. Wenn ich mein Herz weite, sind noch keine anderen Menschen da, die in mein Zelt eintreten. Aber ich bin offen für sie. In dieser Offenheit spüre ich schon eine Beziehung zu ihnen. Ich isoliere mich nicht mehr, sondern ich öffne mich, dass andere Menschen bei mir eintreten können.

      Ansgar Stüfe

      Kürzlich saß ich mit mehreren Personen zusammen, die unterschiedlich alt waren. Der Älteste schilderte schließlich seine Empfindungen, die ihn plagten. Vor allem fühle er sich einsam, sagte er. Niemand besuche ihn, niemand frage nach seinen Gedanken, und überhaupt werde er nur noch als Auslaufmodell bezeichnet.

      Diese Schilderung hat mich getroffen, weil die Vorwürfe auch mich trafen. Ich fragte ihn nie nach seinen Ansichten und war auch noch nie auf die Idee gekommen, ihn zu besuchen. Warum wohl? Viele seiner Ansichten gefielen mir nicht und es war auch schon immer schwierig, ihm zu widersprechen. Dann wurde er in der Regel heftig und hielt bestimmte früher vorgetragene Ansichten nach Jahren noch als Vorwurf bereit. Ein solches Verhalten lädt andere nicht zur Unterhaltung ein. Andererseits traut sich auch niemand zu, genau diese Ursachen darzulegen. Denn auch das würde wieder zu Angriffen führen.

      Diese Art von Einsamkeit ist also letztlich selbst verursacht. Gerade im Alter tritt solches Verhalten vermehrt auf.

      Was könnte ihm also helfen? Offene Erklärungen sind meistens vergeblich, weil sie abgewiesen werden. Es hilft nur, Fragen zu stellen. Solche Menschen sollten sich erst einmal fragen, wen sie eigentlich mögen. Wie beurteilen sie ihre Umgebung? Gibt es Menschen, mit denen sie gern Kontakt haben möchten? Wenn sie sich über jemanden geärgert haben, sollten sie einmal darüber nachdenken, ob nicht eine Verzeihung fällig wäre. Oft erwarten sie eine Entschuldigung. Ohne Entschuldigung wollen sie nicht verzeihen. Jesus hat uns ein anderes Beispiel gegeben: Er verzeiht, bevor jemand in Reue und Zerknirschung fällt. Durch diese Verzeihung ohne Vorbedingungen öffnen sich die Menschen und können seine Liebe wahrnehmen. Es würde so vielen Menschen guttun, wenn sie mehr verzeihen könnten und ihre Zuneigung zeigen würden.

      Es ist erstaunlich, welche Bagatellen zu Beziehungsabbrüchen führen. In unseren Missionsklöstern lebten die Missionare in unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Es gab das große zentrale Kloster und die vielen Pfarreien in der Umgebung. Einige Male im Jahr kamen alle im Kloster zusammen, wenn ein Fest gefeiert wurde oder wenn wichtige Beschlüsse zu fassen waren. In der Zwischenzeit waren die Missionare auf den Außenstationen oft alleingelassen. Einer von ihnen kam nur wenige Tage nach dem letzten Treffen wieder ins Kloster, weil er etwas vergessen hatte. Als der Abt ihn sah, sagte er: »Du bist aber oft hier!« Wahrscheinlich hatte der Abt sich keine großen Gedanken zu dieser Bemerkung gemacht. Der Missionar war aber so getroffen und verärgert, dass er mehrere Jahre lang nicht mehr in die Abtei ging. Bis ins hohe Alter klagte er über diesen Vorfall. Die Einsamkeit war der Preis.

      Warum fällt es vielen Menschen so schwer zu verzeihen, obwohl so Zusammenleben erst möglich wird? Die Verzeihung ist ein wirkliches Medikament in unserer Trostapotheke. Sie ist auch keine bittere Medizin, wie manche meinen. Sie muss nur auf Dauer eingenommen werden. Jesus sagt, dass wir sieben Mal sieben Mal verzeihen sollen – und das an jedem Tag. Es geht also um eine Grundhaltung.

      Einsamkeit wird oft auch durch äußere Umstände ausgelöst. Jemand zieht in eine fremde Stadt, weil er einen neuen Arbeitsplatz bekommen hat. Das kann eine sehr schwierige Zeit werden. Zu allererst brauchen wir Geduld. Neue Bekanntschaften ergeben sich nicht in Sekunden. Trauen wir uns doch zu, Menschen kennenzulernen! Dazu gehört auch eine aktive Freizeitgestaltung. Jeder Mensch hat Vorlieben. Diese Lieben sollten wir pflegen, weil sie zu Kontakten mit anderen führen, die ähnliche Vorlieben haben. Dann kann Gedankenaustausch und gemeinsames Handeln die Einsamkeit beenden.

      Bedrückender ist die Einsamkeit für ältere und hochbetagte Menschen, denen Bekannte und Verwandte wegsterben. Meine Großmutter wurde 90 Jahre alt. Ein paar Jahre zuvor erzählte sie mir, sie habe ausgerechnet, dass fünfzig ihrer Bekannten bereits gestorben waren. Sie war aber eine fromme Frau und ging täglich zum Gottesdienst. Das half ihr, diese Zeit zu bewältigen. Wer also alt wird, muss sich dieser Realität stellen, Menschen zu verlieren, weil sie eher sterben als man selbst.

      In unserer Zeit erreichen sehr viele ein hohes Alter. Da wäre es wichtig, Kontakt zu Jüngeren zu haben, die man nicht so leicht überlebt. Menschen von heute haben oft niemanden, der ihnen zuhört. Das wäre die eigentliche Aufgabe vieler Älterer, sich als Hörer zur Verfügung zu stellen. Leider erzählen viele lieber über ihr eigenes Leben. Doch viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass ihr Leben so verlaufen ist wie das vieler anderer auch. Es ginge also darum, eine Haltung des Hörens zu entwickeln, die im Alter dann auch zur Verfügung steht.

      Was wäre das für ein Segen für junge Menschen, wenn sie mit jemandem reden könnten, der keine negativen Kommentare abliefert. Ältere könnten aus ihrer Lebenserfahrung heraus Gelassenheit vermitteln und Mut machen. Ich selbst spreche äußerst gern mit jungen Menschen. Immer wieder bin ich erstaunt, wie sie auch heute über vieles nachdenken und ihr Leben in die Hand nehmen wollen. Für die Älteren wäre damit die Einsamkeit beendet. Zuhören ist das große Geheimnis der menschlichen Begegnung.

      Anselm Grün

      Ich bin traurig, wenn mich ein Freund enttäuscht, wenn er sich nicht mehr meldet oder mein Vertrauen missbraucht hat. Ich bin traurig, wenn ich über mich selbst enttäuscht bin. Ich habe gedacht, dass ich an mir gearbeitet habe, ein reifer Mensch zu werden. Jetzt spüre ich kleinkariertes Denken, Feigheit und Konfliktscheue. Ich bin nicht so weit, wie ich kommen wollte. Das macht mich traurig. Ich bin traurig, wenn ich von der Krankheit eines lieben Freundes höre oder wenn ein lieber Mensch stirbt. Manchmal bin ich auch traurig und kann gar nicht erklären, warum. Ich spüre einfach Trauer in mir. Manche sagen dann, das Wetter mache traurig, vor allem im November, wenn es neblig und oft sehr dunkel ist.

      Evagrius Ponticus hat die Traurigkeit bei den Mönchen analysiert. Er kommt zu dem Ergebnis, dass oft infantile Wünsche, die nicht in Erfüllung gehen, der Grund für ihre Traurigkeit sind. Er unterscheidet zudem Trauer (penthos) von Traurigkeit (lype). Trauern ist etwas Aktives. Ich betrauere den Tod eines lieben Menschen, das Zerbrechen eines Lebenstraums oder das Verpassen einer Chance, die mir neue Türen geöffnet hätte. Betrauern heißt auch: Verabschieden des Vergangenen und Jasagen zu meinem jetzigen Zustand. Wenn ich meine eigene Durchschnittlichkeit betrauere, heißt das: ich verabschiede mich von den Illusionen, die ich mir von mir gemacht habe. Traurigkeit verbindet Evagrius mit Selbstmitleid: Ich bedauere mich selbst, dass das Leben nicht so schön ist, dass die Hoffnungen, die ich für mich und mein Leben hatte, keine Wirklichkeit geworden sind. Ich jammere wie ein kleines Kind, dass Gott oder das Schicksal meine Wünsche nicht erfüllt hat. Ich sehe dann alles durch meine traurige Brille, alles kommt mir so trist vor. Ich kann diese traurige Stimmung ganz schlecht aushalten. Aber ich finde auch keinen Weg, mich von ihr zu lösen.

      Jesus Sirach, der Weisheitslehrer des Alten Testaments, der jüdische mit griechischer Denkweise verbindet, weiß um die krankmachende Wirkung der Traurigkeit: »Aus Kummer entsteht Unheil; denn ein trauriges Herz bricht die Kraft« (Jesus Sirach 38,18). Traurigkeit tut nicht gut, es raubt uns alle Kraft. Evagrius meint, wir sollen betrauern, dass wir nicht so ideal sind, wie wir es gerne wären. Dann können wir Ja sagen zu uns, so, wie wir sind.

      Viele reagieren

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