Reich mit Raritäten. Gerald Pilz
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ACHTUNG
In der Realität erzielen die meisten Briefmarken nämlich leider nur 15 bis 25 Prozent des Katalogwertes; die übliche Massenware kommt sogar nur auf weniger als zehn Prozent. Die meisten renommierten Nachschlagewerke setzen einen extrem hohen Standard voraus und präsentieren vorwiegend Spitzenexemplare, und selbst diese müssen oft drastische Abschläge hinnehmen. Selbst herausragende Meisterwerke der Briefmarkengeschichte erzielen oft nur 30 Prozent des Katalogpreises. Gutachter betrachten akribisch jede kleinste Auffälligkeit unter der Lupe – die „Zähne“ der Briefmarke müssen völlig einwandfrei sein; und auch die Gummierung (die klebrige Rückseite) darf keinerlei Mängel aufweisen. Bei wertvollen Stücken müssen nicht selten Gutachten angefertigt werden, um ein endgültiges Urteil fällen zu können.
Der Briefmarkensammler wurde – vielleicht zu Unrecht oder zum Verdruss der ambitionierten Anhänger – bisweilen mit dem Image des Sonderlings assoziiert, der zu Hause im Ohrensessel unter der Lupe in stundenlanger mühseliger und verdienstvoller Arbeit die biedermeierlichen Kleinodien alter Zeiten mustert. Eine Tätigkeit, die von heutigen Zeitgenossen eher mit der Mühsal eines Archivars oder eines Beamten in Verbindung gebracht wird und im Zeitalter von Facebook und After-Work-Partys keinen hippen Charme ausstrahlt.
Seitdem die Post individuell gestaltbare Briefmarken anbietet, auf denen sich jeder selbst porträtieren kann, und moderne Frankiersysteme Postwertzeichen mit Firmenlogo ermöglichen, hat die Briefmarke erheblich an Stellenwert eingebüßt. Selbst Privathaushalte erreicht kaum noch ein Schreiben, das eine richtige Briefmarke schmückt. Häufig begnügen sich auch renommierte Unternehmen mit einem aufgedruckten Logo, das das Wertzeichnen vertritt.
Vielleicht ist der Briefmarke eines Tages dasselbe unerbittliche Schicksal beschieden wie der Telefonguthabenkarte, die Anfang der neunziger Jahre noch euphorisch gesammelt wurde. Mittlerweile fällt die knallbunte, neonfarbene Plastikkarte der Vergessenheit anheim. In der Ära der Smartphones verschwand sie schnell und unwiderruflich von der Bildfläche.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahl der Briefe stetig zurückgeht. Selbst Weihnachts- oder Urlaubskarten werden heute kaum noch verschickt, sondern durch Fotos ersetzt, die über soziale Netzwerke in Sekundenschnelle verbreitet werden. Jede Nachricht ist heute mit wenigen Klicks verschickt. Die Briefmarke wird nur noch als historisches Relikt oder Kunstwerk eine Chance haben. Ihre goldene Ära zelebrierte die Briefmarke um 1900, als der Transport mit der Eisenbahn den Postverkehr beflügelte und die Postkutsche ablöste. Damals wurden selbst in Österreich gängige Briefmarken in Milliardenhöhe aufgelegt.
Lohnen sich Briefmarken als Wertanlage?
Anfang der achtziger Jahre, als die Inflation noch relativ hoch war, hätte man diese Frage uneingeschränkt bejaht. Die Philatelie konnte sich über viele Jahrzehnte behaupten.
Einen wahren Boom gab es in Deutschland nach der Wiedervereinigung im Jahr 1991.
Damals legten Briefmarken aus der DDR innerhalb weniger Monate um ein Vielfaches zu und erzielten exorbitante Preise. Die einst geschmähten Wertzeichen aus dem Osten wurden zu begehrten Raritäten. Denn Sammler hierzulande hatten kaum Postwertzeichen aus Ostdeutschland und so schnellte deren Wert empor. Doch schon zehn Jahre später machte sich allenthalben Ernüchterung breit, und der gesamte Markt fiel. Immer weniger junge Leute konnten für das angestaubte Hobby gewonnen werden.
Falls Sie nun denken, Sie könnten dieses Kapitel getrost überschlagen und sich der nächsten Sachwertanlage widmen, dann sollten Sie etwas Geduld aufbringen und nicht vorschnell urteilen.
Einige Briefmarken erzielen durchaus respektable Wertsteigerungen, und außerdem haben die kleinen Bildchen noch weitere entscheidende Vorteile, die nur wenige andere Wertanlagen für sich beanspruchen können.
Überlegen Sie einmal: Mit welchem Sachwert könnten Sie am ehesten einer Diktatur oder einem Krisengebiet entkommen? Stellen Sie sich zudem vor, Sie hätten zur Zeit des Ersten oder Zweiten Weltkriegs oder in einer anderen schwierigen Epoche gelebt. Als die galoppierende Inflation von 1923 kam und ein Brot mehrere hundert Milliarden Reichsmark kostete, hätten Sie mit Ihren gesamten Ersparnissen auf dem Konto höchstens eine Streichholzschachtel kaufen können. Damals wurden sogar Löhne in der Mittagspause ausbezahlt, damit die Menschen noch schnell einkaufen gehen konnten. Ihr gesamtes Sparbuch hätte nicht ausgereicht, um nur ein Brötchen zu erstehen.
Viel besser wären Sie mit einer sorgfältig zusammengestellten Briefmarkensammlung aufgestellt gewesen; denn ein solches Album hätte auch in der Zeit der Hyperinflation nicht an Wert verloren. Voraussetzung ist natürlich, Sie hätten nicht überall erhältliche Allerweltsbriefmarken, sondern begehrte Exemplare aus dem 19. Jahrhundert Ihr Eigen genannt.
Sie werden nun einwenden, dass andere Wertanlagen in Ihren Augen aber doch etwas besser sind – beispielsweise Gold oder Immobilien. Doch sind Sie wirklich sicher?
Wer 1923 ein Haus besaß und die Inflation unbeschadet überstand, musste danach hohe Ausgleichsabgaben an den Staat entrichten. Sogar nach der Währungsreform von 1948 gab es in Westdeutschland eine drastische Hypothekengewinnabgabe, die Hauseigentümer schröpfte. Eine staatlich eingetragene Zwangshypothek musste über mehrere Jahrzehnte an den Staat zurückgezahlt werden. Gerade Immobilieneigentümer werden in Krisenzeiten gerne zur Kasse gebeten. Immerhin stehen sie im Grundbuch und können so ohne bürokratische Probleme für Abgaben herangezogen werden.
Und wie wäre es mit Gold? Während der NS-Zeit stand auf Goldbesitz die Todesstrafe. Und in einer Diktatur wäre das Verschweigen von Goldvermögen ein gefährliches Unterfangen. Selbst in den USA war der Besitz von Gold bis Mitte der siebziger Jahre – also fast ein halbes Jahrhundert lang – verboten. Als Präsident Roosevelt 1933 das Goldverbot einführte, durften Schließfächer in Banken nur noch in der Gegenwart eines Beamten geöffnet werden. Unabhängig vom aufgedruckten Wert können Briefmarken nur dann als Renditeobjekte punkten, wenn sie äußerst selten sind.
Wer das Gold trotz Aufforderung nicht rechtzeitig zum staatlich festgelegten Kurs angegeben hatte, wurde mit einer drakonischen Geld- oder Freiheitsstrafe belegt.
Und falls Sie aus einer Diktatur (wie nach 1933) fliehen müssen, ist Gold eher ungünstig. Goldmünzen und Goldbarren können Sie kaum unauffällig über mehrere Grenzen transportieren, vor allem wenn es verschärfte Kontrollen gibt.
Eine kostbare und unscheinbare Briefmarke hingegen lässt sich nahezu unauffällig und unverdächtig in einem Geldbeutel, einem Buch, einer Schuhsohle, einer Armbanduhr oder in einem Gürtel verstecken. Und welcher Grenzbeamte kann schon den Wert einer Briefmarke einschätzen? Insofern sollten Sie der Briefmarke doch noch eine Chance einräumen.
Welche Briefmarken sind wertvoll?
Welche Postwertzeichen, wie sie amtlich heißen, lohnen sich wirklich? Vergessen Sie die Briefmarken, die in Millionenauflage erscheinen. Ihr Wert steigt nicht, sondern fällt kontinuierlich. Früher hatte man wenigstens noch die beruhigende Gewissheit, dass der aufgedruckte Wert sich zumindest zum Frankieren eignet. Doch mit der Einführung des Euro dürfen die alten DM-Briefmarken nicht mehr verwendet werden.
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