Mörder-Quoten. Leo Lukas

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Mörder-Quoten - Leo Lukas

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Du, ich habe heute leider weder Zeit noch Kohle“, versuchte ich ihn abzuwimmeln. „Und einen Besprechungstermin.“

      „Richtig – mit mir. Gratuliere!“ Er breitete die Arme aus und strahlte dermaßen selig übers ganze rotwangige Gesicht, dass man ihm einfach nicht böse sein konnte. „Dein monetärer Engpass ist so gut wie behoben. Ich habe etwas aufgetan, eine neuartige Produktidee, deren Vermarktung eine Rendite abwirft, dass du mit den Ohren schlackerst. Praktisch eine Lizenz …“

      „Zum Geldverbrennen“, unterbrach ich ihn. „Kurtl, im Ernst …“

      „Sockenklemmen.“

      „Was?“

      „Jeder kennt das Problem, dass in der Waschmaschine Socken verloren gehen. Du legst sie als Paar hinein, aber danach findest du nur noch einen einzelnen wieder, während der andere verschollen ist. Dafür gibt es vielerlei Gründe. Sie sind jedoch allesamt sekundär, denn ich habe die Lösung: formschöne Klemmen, die über die gesamte Dauer des Waschgangs die Socken beisammenhalten.“

      „Kurtl, das gibt es bereits. Man nennt es Wäscheklammern oder Kluppen.“

      „Ha! Warum verwendet die dann niemand zu diesem Zweck? Ich werde es dir sagen, Pezi. Weil sie entweder die Trommel der Maschine beschädigen, oder doch nicht fest genug halten, oder schlichtweg hässlich sind. Weil die Welt immer noch sehnsüchtig wartet auf …“, er setzte eine Kunstpause: „Ta-taa! Die Cheesis.“

      Mit bombastischer Geste präsentierte Kurtl einen Ausdruck, der kleine gelbe Plastikfiguren zeigte; Käsemännchen, deren Mäuler die Spitzen zweier Socken einzwicken konnten. „Cheesi, von wegen Zehenkäse. Super, nicht wahr? Und der Clou ist, dass es einen ganzen Haufen verschiedene von ihnen gibt. Papa Cheesi, Mama Cheesi, die Kinder, die Onkel und Tanten und Omas und Opas … Die Sammler werden sich darauf stürzen. Hast du eine Ahnung, was bei Überraschungsei-Börsen abgeht? Manche Leute spekulieren hauptberuflich mit diesen Dingern.“

      Insgesamt klang das halbwegs aussichtsreich, verglichen mit Kurtls früheren Unternehmungen der Marke Wolkenkuckucksheim. Trotzdem lehnte ich das Angebot, mich an seiner speziellen Art von Crowdfunding zu beteiligen, dankend ab und überzeugte ihn schließlich mit dem neuerlichen Verweis auf meine nicht vorhandenen Mittel. Nicht im Mindesten enttäuscht oder beleidigt, zog der Gelddruck-Kurtl einen Tisch weiter.

      Das Winterholzner war einer jener selten gewordenen Orte, an denen die Wiener Kaffeehauskultur seit rund einem Jahrhundert weitgehend unverändert hochgehalten wurde. Auf drei Billardtischen spielte man Karambol, mit einer Ernsthaftigkeit, als handle es sich um das Finale der Staatsmeisterschaft in der Altersklasse Ü60. Etwas gemischter gestaltete sich das Teilnehmerfeld bei den Kartenrunden, wobei tendenziell die Herren zu Tarock, die Damen zu Bridge neigten.

      Eine Gruppe junger Leute unterhielt sich mit einem Spiel, das ich in diesem Ambiente nicht erwartet hätte. „Fliegen-Roulette“ verband ich eher mit den Landgasthöfen meiner südsteirischen Heimat. Man benötigte dazu nur einen großen, runden, gläsernen Gastro-Aschenbecher mit mindestens vier Einkerbungen am Rand für die Zigaretten sowie eine lebend gefangene Fliege. Diese wurde unter dem umgedrehten Aschenbecher eingesperrt, und man setzte darauf, aus welcher der Öffnungen das Tier entkommen würde. In meiner Jugend hatte es sich um Groschen- oder niedrige Schillingbeträge gehandelt. Die heitere Gesellschaft im Winterholzner hingegen hielt sich nicht mit Münzen auf. Vielmehr lagen als Einsatz etliche blaue 20-Euro-Scheine auf dem Tisch.

      Überhaupt erweckten die Mitglieder der recht homogen wirkenden Gruppe den Eindruck, samt und sonders aus gutbürgerlichem Haus zu stammen. Die Burschen, die in der Überzahl waren, hatten ausnahmslos hellblaue oder -graue Wollpullover um die Schultern ihrer Polohemden hängen, studierten also sehr wahrscheinlich Betriebswirtschaft oder Jus. Die jungen Frauen wirkten, als wären sie aus dem Sacré-Cœur-Gymnasium direkt an eine Model-Agentur gewechselt, wo sie primär für Modehäuser wie Brühl, Hämmerle oder Kleiderbauer posierten.

      Einen scharfen Kontrast dazu bildeten die drei Maler in farbbefleckten Arbeitsmonturen am Nebentisch, die mit Weißen Spritzern den Anbruch der Mittagspause zelebrierten. Aber das machte eben den Charme eines solchen Traditionskaffeehauses aus: Wie draußen auf dem Dombrowski-Platz verschwamm auch im Winterholzner die Grenzlinie zwischen gentrifizierten Grätzeln und noch unberührter, naturbelassener Vorstadt. Und wenn Hackler und Schnösel auch sonst nicht viel gemeinsam hatten, einte sie doch, dass sie die Avancen des Gelddruck-Kurtls gleichermaßen belustigt ablehnten.

      „Bitte vielmals um Vergebung“, keuchte Claudia Rappold, nachdem sie hereingestürmt war und sich abgebeutelt hatte wie ein nasser Pudel, ohne viel Rücksicht auf die nahe der Tür Sitzenden zu nehmen. Sie spannte den Regenschirm ab und steckte ihn in den bereits dicht gefüllten Ständer. „Die Redaktionskonferenz dauerte länger als üblich. Ach, bitte sind S’ so lieb, Herr Szily, und erinnern Sie mich beim Gehen, dass ich den Schirm nicht vergesse. Es wäre der dritte diesen Monat.“

      „Ich werde es versuchen“, versprach ich, während ich aufsprang, um ihr den Stuhl zurechtzurücken. „Aber ich warne Sie – mitdenken zählt nicht zu meinen herausragenden Fähigkeiten, und mein Gedächtnis ist dem Nudelsieb verwandter als dem Elefanten.“

      „Immer noch ein Meister der geschliffenen Formulierung“, sagte sie schmunzelnd. Wir setzten uns. Sie musterte mich unverhohlen. „Lange nicht mehr gesehen. Wie geht’s Ihnen?“

      „Schlecht, wie sonst? Obwohl, allzu sehr klagen darf ich auch nicht. Ehrlich gesagt, habe ich die Krise besser überstanden als viele andere Freischaffende, dank meiner zahlreichen verschiedenen Betätigungsfelder.“

      „Ein breit gestreutes Portfolio zahlt sich aus.“

      „Meine Mutter sagte immer, ich würde mit einem Hintern auf sieben Leintüchern tanzen. Ich bevorzuge die Bezeichnung ‚Hanswurst in allen Gassen‘.“

      Die Lokalreporterin lachte. Sie hatte schulterlange, brünette, mit weißen Strähnen durchzogene Locken. Bei den meisten anderen Frauen hätte die Frisur langweilig und altmodisch gewirkt. Bei Rappold jedoch unterstrich sie, zusammen mit den blitzenden Augen, den pfiffigen Elan der Trägerin. „Also, auf welche Weise kann ich dem österreichischen Film auf die Sprünge und Ihnen zu einer Oscar-Nominierung verhelfen?“

      „Sehr liebenswürdig, aber Ihre Chancen auf den Pulitzerpreis sind um ein Vielfaches höher.“ Ironisch Honig ums Mäulchen Schmieren konnte ich ebenfalls. „Es wird ein experimenteller Streifen, fürchte ich. Inhaltlich dreht er sich um Sport, Wetten und Betrug.“

      „Das haben Sie gestern schon angedeutet. Ist es ein Zufall, dass schräg gegenüber von hier kürzlich ein Wettbüro in die Luft geflogen ist?“

      Mit dieser Frage hatte ich gerechnet. „Nein. Der Regisseur, der auch Drehbuchautor und Produzent in Personalunion ist, hat das aufgeschnappt. Er giert nach aktuellen Bezügen, drum will er es einbauen und schreibt gerade alles um. Zur Stunde weiß ich nicht einmal, welche Rolle er mir letztendlich zuschanzen wird.“ Damit hoffte ich mein weitgespanntes Interesse zu rechtfertigen. „Da wir grade davon sprechen, was meinen eigentlich Ihre Kontaktleute bei der Polizei dazu? War es ein Unfall oder …?“

      „Mord? Strictly off records: Möglich wär’s. Die Spurensicherung ist noch am Auswerten. Aber falls bereits ein begründeter Verdacht bestünde, säße ich jetzt nicht gemütlich hier bei Ihnen. Vor allem ist noch niemand in den Fokus geraten, der ein Motiv haben könnte.“

      „Ah ja?“

      „In der überwiegenden Mehrzahl der Mordfälle kommt der Täter aus dem unmittelbaren persönlichen Umfeld. Der Verunglückte war seit 15 Jahren geschieden

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